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Frauen, Männer und Kinder ohne Papiere 
in Deutschland
Ihr Recht auf Gesundheit
(2007)
Die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere in Deutschland ist defizitär. Dieser Befund geht klar aus Praxisberichten und wissenschaftlichen Untersuchungen hervor. Insbesondere Ärztinnen und Ärzte berichten, dass Menschen ohne Papiere, wenn überhaupt, erst zu spät medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. In vielen Fällen wird die Chance einer frühzeitigen Diagnose und Behandlung vertan. Der Krankheitsverlauf droht schwerer zu werden, vermeidbare stationäre Aufenthalte und die Gefahr einer Chronifizierung der Beschwerden können die Folge sein. Besondere Schwierigkeiten bestehen bei Schwangerschaft und Geburt von Kindern im Status der „aufenthaltsrechtlichen Illegalität“.

Maßgeblicher Grund für die strukturell bedingte medizinische Unterversorgung von Menschen ohne Papiere sind die behördlichen Übermittlungspflichten des Aufenthaltsgesetzes. Danach haben öffentliche Stellen (etwa die Sozialämter) die Ausländerbehörden zu unterrichten, wenn sie Kenntnis vom illegalen Aufenthalt eines Ausländers oder einer Ausländerin erlangen. Übermittlungspflichten im elementaren Bereich der gesundheitlichen Versorgung sind in dieser Form unter den anderen europäischen Staaten einmalig. Aus der Sicht der Menschen ohne Papiere bilden die Übermittlungspflichten die zentrale Zugangsbarriere zur gesundheitlichen Versorgung. Sie nehmen deshalb ihr gesetzlich zugesprochenes Recht auf ärztliche Behandlung nur im äußersten Notfall wahr.....

Unzureichende Behandlung

Patient, 45 Jahre, stellt sich mit akuten Bauchschmerzen im Krankenhaus vor. Bei der Aufnahme wird eine prall gefüllte Harnblase als Ursache der Schmerzen vorgefunden. Auf Nachfrage berichtet der Mann über zunehmende Probleme beim Wasserlassen in den letzten zwei Jahren. Letztlich liegt ein bereits fortgeschrittener bösartiger Tumor der Prostata vor. Die Operation und Folgebehandlung gestaltet sich deutlich aufwendiger und teurer als bei frühzeitig diagnostizierter Erkrankung.

Patient, Anfang 40, hat seit zwei Monaten immer wiederkehrende Magenschmerzen. Seit einigen Tagen sind die Schmerzen so stark, dass er nicht mehr essen und nicht mehr schlafen kann. Er wird in einer internistischen Praxis untersucht und unter dem Verdacht einer starken Gastritis (Entzündung der Magenschleimhaut) medikamentös versorgt. Zwei Tage später bricht er auf der Straße zusammen und wird mit dem Rettungswagen in die Notaufnahme einer Klinik gebracht. Dort diagnostizieren die Ärzte eine obere gastrointestinale Blutung (Blutung im Bereich des Magen-Darm-Trakts) und führen sofort eine Operation durch. Die frühzeitige Behandlung einer Magenschleimhautentzündung ist wenig aufwendig und nicht kostenintensiv, eine Magen-Darm-Blutung ist bei Nichtbehandlung lebensbedrohlich.

Patient, 40 Jahre, sucht die Notfallambulanz auf wegen Durchfall, Erbrechen und Kopfschmerzen. Er wird mit der Diagnose „Milde Blutarmut, Brechdurchfall, Kopfschmerzen sowie erhöhte Entzündungszeichen“ wieder nach Hause geschickt. Ein Arzt weist ihn eine Woche später mit der Diagnose „Cerebrales Anfallsleiden“ (epileptischer Anfall) in das gleiche Krankenhaus ein. Weder dort noch in einem weiteren Krankenhaus wird diese Diagnose bestätigt. Eine Behandlung erfolgt nicht. Drei Tage später wird der Mann in seiner Wohnung leblos aufgefunden. Eine Obduktion ergibt einen Pilzbefall des Gehirns bei fortgeschrittener HIV-Infektion. Vermutlich war er bei einem Krampfanfall erstickt. Bei rechtzeitiger Diagnose wäre diese Pilzerkrankung behandelbar gewesen. Die HIV-Infektion war nicht erkannt worden.

Schutzimpfungen/Kinder
Kind, 2 Jahre, wird mit ausgeprägter hochfieberhafter Maserninfektion notfallmäßig stationär aufgenommen. Bei regulärer Durchführung der in der BRD üblichen Schutzimpfungen für alle Kinder, wie es von der Ständigen Impfkommission empfohlen wird, wäre eine solch schwerwiegende Infektion mit Notwendigkeit einer stationären Behandlung voraussichtlich nicht aufgetreten.

Schwangerschaft
35 jährige Mutter von 2 Kindern, in der 24. Schwangerschaftswoche, hat seit drei Wochen zunehmenden Scheidenausfluss. Plötzlich treten Bauchschmerzen auf, die nach einiger Zeit so stark werden, dass die Frau die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsucht. Bei Ankunft im Krankenhaus treten Anhang 1: Fälle zur Veranschaulichung bereits Blutungen mit Abgang von Wasser auf. Die Frau erleidet eine Totgeburt und eine hochfieberhafte Infektion tritt auf. Eine Schwangerschaftsvorsorge erfolgte nicht aus Mangel an finanziellen Ressourcen und Angst vor Statusaufdeckung. Bei regulärer medizinischer Grundversorgung hätte die für die Totgeburt ursächliche zunächst leichte Scheideninfektion im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen frühzeitig erkannt und behandelt werden können; bei geringfügigen Kosten von zirka zehn Euro für eine ambulante antibiotische Tablettentherapie.

Quelle:   
Deutsches Institut für Menschenrechte – 
Auszüge aus dem Bericht der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit / Illegalität - November 2007