zur Hauptseite                                                    Zusammenfassung  2004

Kürzel-Erklärung

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und
ihre tödlichen Folgen 
2004

 

3. Januar 04

 

Mecklenburg-Vorpommern. In dem Rostocker Lokal "Hühnerhof" wird ein Asylbewerber aus Togo von einer 15-köpfigen Gruppe zunächst mit Beleidigungen, wie "Affe" und "Scheiß Neger", verbal attackiert. Als der Flüchtling das Lokal verlassen will, erhält er zahlreiche Faustschläge ins Gesicht, wird mit Holzstühlen zu Boden geschlagen und – am Boden liegend – getreten.

    Zwei zunächst außenstehenden Gästen des Lokals gelingt es, das Geschehen vorübergehend zu stoppen, bis der Afrikaner erneut attackiert wird. Jetzt gelingt es dem stark blutenden Mann, sich zu wehren und zu fliehen. Wegen des Blutverlustes wird er mehrmals bewußtlos. Er kommt in die Universitätsklinik, wo seine Prellungen und Platzwunden stationär behandelt werden müssen.

LOBBI

 

4. Januar 04

 

Stade in Niedersachsen. Die Flüchtlingsunterkunft in der Freiburger Straße 194 brennt in der Nacht völlig aus. Am Gebäude, einer heruntergekommenen früheren "Femina-Bar", entsteht Totalschaden.

    Während ein Bewohner sich mit einer Rauchvergiftung in medizinische Behandlung begeben muß, kommen die anderen BewohnerInnen mit dem Schrecken davon. Nach den Ermittlungen der Polizei soll ein Vietnamese, der in dem Heim wohnte, den Brand gelegt haben. Ihm stand seine Abschiebung kurz bevor.

HA 5.1.04; taz 5.1.04;

HM 8.1.04;

StTb 15.6.04

 

5. Januar 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Am Abend fügt sich ein 21 Jahre alter Afrikaner mit einem Einmalrasierer lebensgefährliche Schnittwunden am Hals und über dem Kehlkopf zu. Er verliert viel Blut und kommt umgehend in das DRK-Krankenhaus Köpenick. Nach einer lebensrettenden Operation erfolgt seine Rückverlegung in die Abschiebehaft am nächsten Tag. Von dort wird er noch am gleichen Tag in die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses Hedwigshöhe verlegt.

    Der Afrikaner, von dem die Gefängnisseelsorger sagen, daß er psychisch krank sei und in diesem Zustand gar nicht in Haft gehöre, befand sich bereits seit September 2003 im Abschiebegefängnis. Anfang Dezember war er in eine Einzelzelle verlegt worden, weil er sich auf der Etage in keiner Weise integrieren konnte.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst; Pfarrer D. Ziebarth;

 Polizei Berlin 6.1.04; epd 6.1.04;

BM 7.1.04¸ TS 7.1.04; BeZ 7.1.04

 

7. Januar 04

 

Ein 33 Jahre alter Mann aus Aserbaidschan, der sich vor dem Berliner Reichstagsgebäude mit Diesel übergossen hat, wird von der Polizei überwältigt und in die psychiatrische Abteilung der Charité gebracht. Der Mann hatte den türkischen TV-Sender TRT darüber informiert, daß er sich um 15 Uhr selbst verbrennen werde. Der abgelehnte Asylbewerber hat mehrere Schriftstücke bei sich, in denen er die schlechte Behandlung durch die deutschen Behörden anprangert.

taz 8.1.04;
Polizei Berlin

 

7. Januar 04

 

Regensburg in Bayern. In einem Streifenwagen fügt sich ein 32-jähriger Flüchtling um 15.20 Uhr mit seinem Taschenmesser Stichverletzungen im Bauchbereich zu. Statt in die Justizvollzugsanstalt, wie von der Polizei geplant, wird der Mann nun vorerst ins Regensburger Krankenhaus gefahren. Gegen ihn liegt ein Abschiebebefehl vor.

Donau-Post 9.1.04;

AK Asyl Regensburg

 

7. Januar 04

 

Berlin – Nöldnerstraße. Eine 33 Jahre alte Kosovo-Albanerin wird bei ihrem Vorsprachetermin in der Ausländerbehörde festgenommen und ins Abschiebegefängnis Köpenick gebracht. Damit wird die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die fünf und sieben Jahre alt sind, getrennt.

Flüchtlingsrat Berlin

 

12. Januar 04

 

Altentreptow in Mecklenburg-Vorpommern. Abends gegen 20 Uhr wird der 25-jährige Yasir Mohammed während eines Spazierganges von zwei Männern überfallen. Mit Fausthieben, Fußtritten und dem Hals einer zerschlagenen Flasche und mit Äußerungen wie "Scheiß-Asylant" oder "Ausländer raus" traktieren und beleidigen die Angreifer den syrischen Flüchtling.

    Yasir Mohammed erleidet Prellungen, Hautabschürfungen und Schnittverletzungen am ganzen Körper. Die Rassisten entkommen unerkannt.

NK 13.2.04; LOBBI

 

Mitte Januar 04

 

Sachsenheim bei Ludwigsburg in Baden-Württemberg. Frau und Herr Duraku sind Kosovo-"Ägypter" und leben seit zwölf Jahren in der BRD, wo auch ihre vier Kinder geboren sind. Aus Panik über ihre angekündigte Abschiebung geriet Herr Duraku so sehr außer sich, daß er bereits am Vortag in Handschellen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden mußte.

    Seine Frau und zwei kleine Kinder werden von Polizei-Beamten mitgenommen und zum Flughafen Baden-Baden gebracht. Erst hier bemerken die BGS-Beamten, daß zwei Kinder, neun und 24 Monate alt, fehlen. Trotzdem wird die Abschiebung durchgesetzt. Die beiden Kleinkinder bleiben ohne Mutter zurück und werden bei Verwandten untergebracht.

    Obwohl Herrn Duraku nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus die Abschiebung nicht unmittelbar droht, erfährt er, daß Polizeibeamte in der Wohnung seiner Mutter nach ihm fahnden. Er taucht unter.

    Als er zwei Monate später seine kleinen Kinder bei Verwandten besucht, erfolgt seine Festnahme, und er kommt in Abschiebehaft in die JVA Mannheim.

    Im Frühsommer, also sechs Monate nach der Abschiebung der Mutter, werden ihr die Kleinkinder von einem Verwandten in den Kosovo gebracht.

StZ 28.1.04;

Familientrennung durch Abschiebung – Dezember 2004;

AK Asyl BaWü

 

18. Januar 04

 

Landkreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Zwei Iraner sind morgens um fünf Uhr in der Ortschaft Raguhn mit Fahrrädern unterwegs, als sie auf der Elbbrücke von drei Jugendlichen beschimpft und beleidigt werden. Einem Iraner gelingt die Flucht, so daß er die Polizei verständigen kann. Sein Freund, ein 59 Jahre alter Flüchtling, wird vom Rad gezerrt und mit Sätzen wie "Mach dich hier weg!" oder "Du klaust uns alles!" beschimpft. Dann schlagen die Angreifer ihm mehrmals auf den Kopf und Oberkörper und versuchen ihn in Richtung des Brückengeländers zu ziehen. Der Iraner schreit laut um Hilfe, und die Jugendlichen lassen von ihm ab.

    Er bleibt verletzt zurück. Wegen eines Kiefernbruches, zahlreicher Prellungen am Kopf und Schürfwunden am Oberkörper muß er stationär im Krankenhaus behandelt werden.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

20. Januar 04

 

Justizvollzugsanstalt Ottweiler im Saarland. Nach fünf Monaten Abschiebehaft wird die 14-jährige Nigerianerin A. K. entlassen.

    Die Jugendliche war am 29. August 2003 von französischen Grenzbeamten mit gefälschten spanischen Papieren aufgegriffen worden. Weil sie in einem Zug aus Deutschland saß, wurde sie den Behörden in Saarbrücken übergeben und in Abschiebehaft gebracht.

    Nachdem sie sich dort etwa einen Monat aufhalten mußte, schrieb der Direktor der JVA an das Amtsgericht und das Justizministerium in Saarbrücken, daß er einen weiteren "Vollzug der Abschiebehaft" wegen des zwangsläufigen Kontakts der 14-Jährigen mit den hier wegen Mordes, Mordversuchs oder Totschlags verurteilten Frauen für sehr bedenklich halte – vergeblich. Die zuständige Ressortchefin vertrat die Ansicht, daß ein illegal Eingereister sich gefallen lassen müsse, "daß er entsprechend behandelt wird".

    Bei einem Abschiebeversuch im November wehrte sich A. K. dermaßen, daß die Beamten sie vom Flughafen Frankfurt wieder zurück ins Saarland brachten. Als sie im Dezember einen Asylantrag stellte, wurde erstmals deutlich, warum sie aus Nigeria geflohen war: Sie sollte sich einer rituellen Genitalverstümmelung unterziehen.

    Bei der Anhörung am 19. Januar 2004 wurde die Zwangsbeschneidung als nicht asylrelevant bezeichnet und der Asylantrag abgelehnt. Da sie ihre begründete Angst jedoch glaubhaft machen kann, erhält A. K. nach § 53 (6) eine Duldung und nach längeren Paßbeschaffungsformalitäten eine Aufenthaltsbefugnis.

    Nach der Entlassung aus der JVA Ottweiler wird die Jugendliche in die Landesaufnahmestelle Lebach eingewiesen. Auch hier ist sie nicht sicher. Nach mehreren Übergriffen von Mitbewohnern lebt A. K. jetzt in einer betreuten Wohngruppe.

SZ 21.1.04;

JWB 28.1.04;

Antirassistische Initiative Berlin

 

24. Januar 04

 

Sachsen-Anhalt. In einer Magdeburger Straßenbahn wird ein 21 Jahre alter Flüchtling aus Sierra Leone von zwei Männern  rassistisch beschimpft und mit einer Bierflasche am Kopf verletzt.

    Die Polizei nimmt die Täter fest, legt dem verletzten Afrikaner Handschellen an und nimmt auch ihn mit auf das Polizeirevier. Später entschuldigen sich die Beamten bei dem Flüchtling.

taz 26.1.04;JWB 4.2.04;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

25. Januar 04

 

Quedlinburg in Sachsen-Anhalt. Morgens um 4.00 Uhr wird einem kurdischen Flüchtling in einer Diskothek nach einer verbalen Provokation ein Bierglas ins Gesicht geschlagen. Er stürzt zu Boden und wird jetzt von ca. fünf Männern geschlagen und getreten.

    Als die Polizei eintrifft, fallen Äußerungen wie "Hier ist Deutschland". Der Kurde muß seine Gesichtsverletzungen ambulant behandeln lassen.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

25. Januar 04

 

Schleswig-Holstein. In der Justizvollzugsanstalt Kiel versucht ein Abschiebegefangener aus Liberia, sich mit einem Bettlaken zu erhängen.

    Der Mann, der bereits in Norwegen Asyl beantragt hatte, war kurz vor der dänischen Grenze von Beamten des Bundesgrenzschutzes aus dem Zug geholt und dann auf einer BGS-Wache mehrfach geschlagen worden.

    Nach dem Selbsttötungsversuch wird er einige Wochen in der Psychiatrie der Universitätsklinik Kiel behandelt – danach erfolgt seine Rückverlegung in die JVA.

    Anfang März wird er nach Norwegen zurückgeschoben.

FRat SH; jW 19.2.04

 

26. Januar 04

 

Dessau in Sachsen-Anhalt. Ein Flüchtling aus Burkina Faso wird auf dem Hauptbahnhof von drei rechtsradikalen Jugendlichen beleidigt und bedroht. Er flieht und findet in einem Zeitungsladen Schutz vor seinen Verfolgern.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

27. Januar 04

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Der HIV-infizierte Togoer S. K. soll abgeschoben werden. Er hat innerhalb weniger Wochen 10 kg Körpergewicht verloren und panische Angst, mit seiner Krankheit in Togo nicht zu überleben. An Bord des Flugzeuges gelingt es ihm, sich gegen die Abschiebung zur Wehr zu setzen.

    Flüchtlingsrat und die AIDS-Hilfe Kiel protestieren gegen die Praxis der Abschiebung von HIV-positiven und an AIDS erkrankten Flüchtlingen. Die Feststellung des Bundesamtes für die Anerkennung von Flüchtlingen dazu: "... wegen des hohen Verseuchungsgrades" in Togo sei es nichts Ungewöhnliches und könne dort gut behandelt werden. Daß AIDS-Medikamente in Togo Importprodukte sind, deren Handel von einer korrupten Mafia kontrolliert wird und daß arme Menschen sich diese Medikamente nicht leisten können, wird wissentlich ignoriert.

FRat SH und AIDS-Hilfe Kiel 30.1.04

Der Schlepper Nr. 26 Frühjahr 2004

 

31. Januar 04

 

Mecklenburg-Vorpommern. Am Busbahnhof und am Bahnhof werden zwei Asylbewerberinnen aus Togo von einem deutschen Mann beleidigt, bedrängt, angespuckt und mit einer Bierflasche bedroht.

LOBBI

 

Januar 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der 39 Jahre alte Ghanaer Peter Kwasi Gyamah befindet sich seit über acht Monaten in Abschiebehaft, als er im Januar beschließt, gegen die Haft zu protestieren. Er beginnt einen Hungerstreik, unterbricht ihn wieder, nimmt ihn wieder auf und hört zeitweise sogar auf, Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Der ohnehin an schwerer Diabetes, Bluthochdruck und Magenproblemen leidende Mann bringt sich damit in Lebensgefahr. Er kommt ins Haftkrankenhaus der JVA Moabit, wo die Ärzte ihn erst nach 16 Tagen überzeugen können, wieder Nahrung zu sich zu nehmen. Dann kommt er zurück in das Abschiebegefängnis.

    Erst als seine Anwältin eine Verfassungsbeschwerde einreicht, erfolgt seine sofortige Entlassung aus der Abschiebehaft. Das Berliner Verfassungsgericht stellt im Januar 2005 fest, daß die Verlängerung der Abschiebehaft rechtswidrig war. (siehe auch: 12. November 03)

Greenpeace Magazin 3/04; jW 2.2.08;

Beate Böhler – Rechtsanwältin

 

Anfang Februar 04

 

Auf dem deutschen Frachter "Tinsdal" werden im nordspanischen Hafen Aviles zwei tote junge Männer entdeckt. Sie haben keine Papiere bei sich. Sie hatten sich wahrscheinlich in Marokko in dem Schiff versteckt und sind dann durch Sauerstoffmangel zu Tode gekommen.

taz 4.2.04

 

2. Februar 04

 

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Markus-Krankenhaus in Frankfurt am Main. Die 38 Jahre alte Patientin Suneya Ayari wird von sieben BGS-Beamten in Begleitung einer Dolmetscherin und eines amtlich bestellten Arztes aus der Klinik wegtransportiert. Sie wirft sich – noch im Krankenhaus – verzweifelt auf den Boden, schlägt sich ins Gesicht und zerkratzt sich die Haut. Eine Mitpatientin erleidet ebenfalls einen Nervenzusammenbruch.

    Frau Ayani war am 27. Dezember 2003 aus der Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main wegen Suizidalität ins Markus-Krankenhaus verlegt worden. Sie blieb auch hier unter ständiger Bewachung durch Beamte des BGS.

    Am 28. Januar hatte die Klinik auf Anfrage des BGS eine ausführliche Stellungnahme mit Empfehlungen für eine weitere Therapie abgegeben. Außerdem schlugen die behandelnden Ärzte vor, Frau Ayari für die weitergehende medizinische Behandlung in die BRD einreisen zu lassen. Am nächsten Tag wird das Krankenhaus vom BGS schriftlich darüber informiert, daß Suneya Ayari am 2. Februar einem Amtsarzt und einem amtlich bestellten Psychiater vorgestellt werden soll. Von der geplanten Abschiebung erfahren die Ärzte nichts.

    Im Transitbereich des Flughafens wird Suneya Ayari von dem Leiter des Westfälischen Zentrums für forensische Psychiatrie in Lippstadt-Eickelborn untersucht. Der Arzt Dr. Rainer Gliemann hat vom BGS den Auftrag, die "Flugtauglichkeit" von Frau Ayari zu bestätigen. Im Hinblick auf die von den behandelnden Ärzten gemachte Äußerung, daß bei einer Abschiebung mit "einer erheblichen Zunahme der Suizidgefahr zu rechnen" sei, schreibt er in seinem Gutachten: "Die intelligente Probandin weiß natürlich, dass suizidale Handlungen unter Umständen den Rücktransport erschweren oder verunmöglichen." Deshalb sei eine "Zweckreaktion" wahrscheinlich. Zwar sei die Asylbewerberin "fast nicht in der Lage, zum Untersuchungsraum zu gehen" und höre "imperative Stimmen", doch in ärztlicher Begleitung sei sie "reisefähig".

    Am nächsten Tag wird Suneya Ayari nach Tunesien abgeschoben.

    Die behandelnden Ärzte gehen davon aus, daß ihre Patientin nach einer ärztlichen Begutachtung wieder auf ihre Station kommt und halten dort über das Wochenende das Bett frei. Sie fühlen sich vom BGS getäuscht, und Ärzteorganisationen sprechen von einer "Entführung aus einer Krankenhausstation" und von "berufsrechtlich fragwürdigem Verhalten".

    Im März 2004 wird der für die Abschiebung einer schwerkranken Frau verantwortliche Dr. Gliemann beurlaubt – sein Arbeitsvertrag wird nicht mehr verlängert.

FR 12.2.04; Pro Asyl 12.2.04;

Diakonie in Hessen und Nassau 13.2.04;

Markus-Krankenhaus Mitte Februar 04;

FR 14.2.04; Ärzte Ztg 16.2.04; FR 17.2.04;

FR 20.2.04; FR 21.2.04;

taz 9.3.04; FR 12.3.04;

Objektive Gutachter Juli 2004

 

4. Februar 04

 

Bundesland Thüringen. In einer Nacht- und Nebelaktion wird die Familie Tuan aus ihrem Haus in Bleicherode geholt und nach Vietnam abgeschoben.

    Der 12-jährige Le Da ("Don"), seine Schwester Le Huyen ("Jule") und der fünfjährige Le Ngoe ("Paulchen"), die alle in Thüringen geboren sind, kommen nach der Abschiebung mit ihren Eltern provisorisch bei den Großeltern unter.

    Das Sparbuch von Frau Tuan wird beschlagnahmt und die darauf befindlichen 5000 Euro für Abschiebekosten verbraucht. Was aus dem Haus und dem Auto der Familie wird, ist vorerst unklar, weil niemand in Bleicherode darüber verfügen darf.

    Die Eheleute waren 1987 als VertragsarbeiterInnen in die DDR gekommen, und als ihre Betriebe aufgelöst wurden, wurde der Aufenthalt unsicherer, so daß in den letzten zehn Jahren von der Ausländerbehörde nur noch Duldungen ausgestellt wurden. Erschwerend kam hinzu, daß Herr Tuan wegen Handels mit unverzollten Zigaretten Probleme mit dem Gesetz bekommen hatte.

    Nach der Abschiebung der Familie entwickelt sich in Bleicherode eine Bürgerinitiative. Wöchentlich treffen sich 50 bis 200 Menschen im Ort, sammeln Spenden, übernehmen Patenschaften und arbeiten intensiv und öffentlichkeitswirksam an der eventuellen Rückkehr der Familie. Als schließlich in einem Bericht der Deutschen Botschaft in Vietnam die Rückkehr der Familie aus humanitären Gründen empfohlen wird, weil vor allem die Kinder orientierungslos und deprimiert sind, eröffnet sich der Weg der Wiederkehr.

    Nachdem die UnterstützerInnen die Abschiebekosten von 12.000 Euro bezahlt haben, kann Frau Tuan mit den Kindern im Dezember 2005 zurückkehren. Der Vater muß in Vietnam bleiben.

Evangelische Wochenzeitung 7.3.04; TA 4.6.04;

Die Grünen PM 089/05 am 13.7.05;

ND 12.12.05

 

6. Februar 04

 

Herr N. wird aus Nürtingen über Amsterdam und Nairobi nach Kinshasa in den Kongo abgeschoben. Hier, am Flughafen N'dili verweigern die Behörden ihm die Einreise, weil sie ihn für einen angolanischen Staatsbürger halten, und schicken ihn nach zwei Tagen nach Nairobi zurück.

    Hier am Jomo Kenyatta International Airport stellt Herr N. sich den Einwanderungsbehörden und lebt die nächsten vier Wochen in einer Art Wartesaal, bis er am 11. März nach Stuttgart zurückgeflogen wird.

    Hier erlebt Herr N., daß sein Lohn gepfändet ist, weil das Regierungspräsidium Stuttgart ihm die nicht unerheblichen Abschiebekosten und die Kosten für eine dreimonatige Abschiebehaft auferlegt.

    Obwohl sein langjähriger Arbeitgeber ihn wieder einstellen will, verweigert die Ausländerbehörde die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.

AK Asyl Nürtingen, Rundbrief, April 2004

 

7. Februar 04

 

Jüterbog in Brandenburg. Nachdem ein palästinensischer Flüchtling schon in der Diskothek von Rechtsradikalen angepöbelt und geschlagen worden ist, verläßt er mit seinem alge-rischen Freund das Tanzlokal. Draußen werden die beide Flüchtlinge von einer größeren Gruppe Rechtsradikaler angegriffen und zusammengeschlagen.

    Im Krankenhaus werden die Platzwunde am rechten Auge und die zahlreichen Prellung am Unterarm, an der rechten Stirn, am Rücken und Nacken ambulant behandelt.

Opferperspektive

 

11. Februar 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Die Kosovo-Albanerin Sedana X. versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Nach der Erstversorgung im Krankenhaus kommt sie zurück ins Gefängnis und steht auf der Isolierstation unter besonderer Beobachtung des Personals. Trotzdem schneidet sie sich erneut die Handgelenke auf – und nur durch Zufall entdecken die Wachleute die Blutlache rechtzeitig.

taz 18.2.04

 

16. Februar 04

 

Rendsburg in Schleswig-Holstein. Im Abschiebegefängnis zündet am Morgen ein Gefangener mehrere Decken an und setzt damit seine Zelle in Brand. Der 47-jährige Rom kommt mit einer Rauchvergiftung in ein Krankenhaus.

    Dies geschieht einen Tag vor seiner geplanten Abschiebung nach Bosnien. Der schwer gehbehinderte Mann sollte ohne seine Frau und ohne seine fünf minderjährigen Kinder nach 10-jährigem Aufenthalt in der BRD nach Bosnien abgeschoben werden.

    Im Sommer wird Herr M. tatsächlich ohne seine Familie abgeschoben. Unter diesem Druck folgt seine Frau mit den Kindern einige Wochen später auf dem Landweg.

dpa 16.2.04;  FRat SH 17.2.04;

taz-Nord 18.2.04; jW 19.2.04;

Familientrennung durch Abschiebung – Dezember 2004;

Landesbeirat – Jahresbericht 2004

 

17. Februar 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein libanesischer Gefangener hat einen heftigen Wortwechsel mit einem oder mehreren auf seiner Etage diensttuenden Polizisten, die ihm nicht erlauben, zu telefonieren. Er kehrt in seine Zelle zurück.

    Kurz darauf kommen 6 oder 8 Polizisten in die Zelle und fordern ihn auf mitzukommen. Er soll ins Erdgeschoß gebracht werden, wo sich die Einzelzellen befinden. Der Gefangene versucht erneut ein Gespräch mit den Polizisten, wird jedoch zu Boden geworfen, seine Hände werden mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt, und ein Polizist drückt seinen Oberkörper zu Boden, indem er sich mit einem Bein auf den Rücken stellt. Der Libanese hat anschließend Schürfwunden und schwere Prellungen an den Handgelenken sowie eine Schürfwunde auf dem Nasenrücken.

    Die Anstaltsärztin hält es für nötig, die Handgelenke röntgen zu lassen. Offenbar waren die metallenen Hand-schellen sehr stark angezogen. Der am gleichen Tag zu Besuch kommende katholische Seelsorger kann noch den Schuhabdruck auf der Rückseite des Hemdes des Mannes feststellen. Im Gespräch äußert der Gefangene, wie sehr er sich durch den auf seinem Körper aufgesetzten Schuh gedemütigt fühlt und gibt an, er hätte kurzzeitig gar Suizidabsichten gehabt. Der Seelsorger rät dringend zur Anzeige. Der Gefangene möchte jedoch nur seinen inneren Frieden wiederfinden und baldmöglichst in den Libanon abgeschoben werden. Zumindest stimmt er zu, daß der Vorfall an den Beirat und den Leiter des Abschiebgefängnisses weitergemeldet wird. Anfang März wird er dann abgeschoben.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

17. Februar 04

 

Bundesland Niedersachsen. In Emmerthal bei Hameln wird morgens um 3.30 Uhr die Familie Kisiwu/Nguya. aus dem Schlaf gerissen. Dies geschieht ohne vorherige Ankündigung seitens der Behörden. Polizisten und eine Vertreterin der Ausländerbehörde teilen den Eheleuten Tschiana Nguya

(34 Jahre alt) und Freddy Kisiwu. (41 Jahre alt) mit, sie würden jetzt mit ihren Kindern (14, 9 und knapp 2 Jahre alt) abgeschoben.

    Wegen politischer Aktivitäten mußte die Familie aus der Demokratischen Republik Kongo fliehen. Seit fast zehn Jahren lebt sie in der BRD, ist gut integriert und durch eine unbefristete Tätigkeit von Herrn Kisiwu. seit zwei Jahren nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen. Alle Asylanträge wurden abgelehnt; beim Antrag der am 7. April 2002 in Deutschland geborenen Tochter Priscilla ist das Urteil zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht rechtskräftig.

    Während Mutter und Kinder in der Wohnung bleiben und packen sollen, wird Herr Kisiwu in Handschellen abgeführt und zum Amtsgericht gebracht, das erst jetzt einen Abschiebungsbeschluß formuliert. Als die Polizisten bemerken, daß der 14-jährige Sohn nicht mehr in der Wohnung ist, fordern sie die Familie auf, sofort mit dem Packen ihrer Sachen aufzuhören. So kommt es, daß Frau Tschiana Nguya für die kleine Priscilla nur eine Windel und keine Babynahrung eingepackt hat. Dann werden die Eltern und die zwei jüngeren Kinder zum Flughafen gebracht.

    Herr Kisiwu, dem schon mehrmals während dieser überfallartigen Aktion schlecht geworden war, erleidet während des Fluges nach Amsterdam einen Atemstillstand, so daß er nach der Landung umgehend in eine Klinik gebracht werden muß. Als er – im Rollstuhl sitzend – am selben Tag zum Flughafen zurückgebracht wird, ist der Flug nach Afrika weg; der nächste soll in zwei Tagen stattfinden.

    Die Familie verbringt die Nacht auf dem Boden des Flughafenareals. Am nächsten Tag bekommen sie von der niederländischen Polizei zwei Euro, um telefonisch nach ihrem älteren Sohn zu forschen. Er ist auf der Flucht und bleibt verschwunden. Die niederländischen Behörden unterbrechen daher die Abschiebung und organisieren den Rückflug der Familie in die BRD. Aus Angst vor der weiterhin drohenden Abschiebung kehrt die Familie nicht nach Emmerthal zurück. (siehe auch: 7. Dezember 04)

FRat NieSa Heft 102 Okt. 2004;

Emmi Gleim-Msemo – Rechtsanwältin

 

18. Februar 04

 

Auf offener Straße in Köln-Mühlheim übergießt sich der 23 Jahre alte Kurde Ümit Abay mit Benzin und zündet sich an. Im Kölner Krankenhaus werden seine Überlebenschancen aufgrund der schweren und großflächigen Verbrennungen als sehr gering eingeschätzt. Nach zwei Operationen erliegt Ümit

Abay am 27. Februar einem Nieren- und Lungenversagen.

    Ümit Abay war wegen seiner politischen Arbeit für die Untergrund-Partei TIKB (Revolutionäre Kommunistische Union der Türkei) mehrmals inhaftiert und gefoltert worden. Das Staatssicherheitsgericht ihn zu einer Strafe von vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Als die Strafe vom Kassationsgericht bestätigt wurde, entschloß er sich zur Flucht. Im Dezember 2003 stellte er in Braunschweig einen Asylantrag.

    Seine Unterbringung in einer ehemaligen russischen Militärkaserne in Jena empfand er als "offenes Gefängnis". Er litt unter den schlechten Lebensbedingungen und wurde psychisch krank. Er besprach noch am 10. Februar mit seinem Anwalt die Möglichkeit eines Antrages auf Umverteilung in eine Wohnunterkunft nach Köln, und dieser zeigte die geringen Chancen eines solchen Antrages auf.

    Vor seiner Selbsttötung hatte Ümit Abay sich beunruhigt über den Ausgang seines Asylverfahrens geäußert, weil es bei seinen Papieren zu Übersetzungsfehlern gekommen war, wodurch sich das Verfahren verzögern würde.

Hanswerner Odendahl – Rechtsanwalt 27.2.04;

AZADI 1.3.04; jW 3.3.04;

taz-Köln 4.3.04;AZADI 8.3.04; JWB 10.3.04;

Pro Asyl Infodienst Nr. 88

 

18. Februar 04

 

Döbeln in Sachsen. Um 22 Uhr stürmen über zehn Polizeibeamte die Wohnung der Familie Shala, um die Abschiebung durchzusetzen. Die durch den Kosovo-Krieg schwer traumatisierte Frau Shala wird hinausgeführt und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Die 18-jährige Tochter Arlinda muß von den Beamten hinausgetragen werden. Herr Shala, dessen Abschiebung aufgrund seiner schweren Herzerkrankung noch nicht entschieden ist und der noch bleiben könnte, will sich nicht von seiner Familie trennen. Er wird in Handschellen gelegt und derart schlecht behandelt, daß er mit einem gebrochenen Arm und Prellungen ins Krankenhaus gebracht werden muß. Seine Frau kommt in ein anderes Krankenhaus.

    Nach den beiden 18 und 19 Jahre alten Söhnen, die an diesem Abend nicht Zuhause sind, wird gefahndet.

    Die 18-jährige Arlinda wird in dieser Nacht alleine abgeschoben.

jW 4.8.04 – Beilage;

Familientrennung durch Abschiebung – Dezember 2004

 

20. Februar 04

 

Bundesland Brandenburg. In einem Waggon der Straßenbahnlinie 92 in Potsdam wird ein 21 Jahre alter libanesischer Flüchtling von Rechtsradikalen geschlagen.

Opferperspektive

 

21. Februar 04

 

Oststeinbeck bei Glinde in Schleswig-Holstein. Um ein Uhr nachts brennt es in einem Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft, durch das zwei Bewohner verletzt werden. Die Ermittlungen der Polizei ergeben, daß das Feuer durch fahrlässige Brandstiftung entstanden ist.

HM 23.2.04;

Polizei Reinbek

 

23. Februar 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 23 Jahre alter bosnischer Gefangener versucht, sich mit angesammelten Tabletten zu vergiften. Wegen seiner Homosexualität und wegen Desertierens vor dem Wehrdienst hat er große Angst vor der Abschiebung. "Das wäre mein Todesurteil", sagt er, eine dreijährige Haft würde er nicht überleben und: "Homosexuelle sind in meiner Heimat vor religiösen Fanatikern ihres Lebens nicht sicher."

    Am 4. Juni wird der Mann schließlich nach Sarajewo abgeschoben und kommt dort unmittelbar ins Gefängnis.

Siegessäule 20.3.04;

anders TREND (AZ MEDIA auf RTL) 5.4.04

 

23. Februar 04

 

Das Landgericht Berlin verurteilt einen 28 Jahre alten Flüchtling aus Kamerun zu fünf Monaten Haft ohne Bewährung. Der HIV-infizierte Mann wird dafür bestraft, daß er dreimal ohne gültiges Ticket mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren ist (Beförderungserschleichung). "Im Namen des Volkes" wird damit entschieden, daß ein Schaden von dreimal 2 Euro mit fünf Monaten Freiheitsstrafe zu sühnen ist.

Antirassistische Initiative Berlin

 

24. Februar 04

 

In einem Zimmer der Flüchtlingsunterkunft der bayerischen Ortschaft Landsberg bricht um 13.30 Uhr ein Feuer aus. Beide Bewohner, zwei Algerier, sind zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend. Nach den vergeblichen Versuchen der BewohnerInnen des Heimes, die Flammen zu löschen, gelingt dies schließlich einer Atemschutztruppe der Feuerwehr. Drei verletzte BewohnerInnen können ambulant behandelt werden; acht weitere kommen mit leichter Rauchvergiftung in die Krankenhäuser nach Landsberg, Kaufbeuren und Buchloe.

    Bemerkenswert ist das Verhalten der Heimleitung nach dem Feuer. Obwohl sie für die Presse "nicht erreichbar" ist, weist sie ihr Wachpersonal an, Zutritt zum Gebäude und Fotoaufnahmen durch die Presse zu unterbinden.

Landsberger Tageblatt 25.2.04

 

25. Februar 04

 

Die Flüchtlingsunterkunft in der baden-württembergischen Ortschaft Meßkirch in der Graf-Mangold-Straße. Morgens um 2.00 Uhr bemerkt ein irakischer Bewohner ein Feuer in der Waschküche im Untergeschoß des Gebäudes und alarmiert Feuerwehr und Polizei. Da es ihm wegen der starken Rauchentwicklung nicht gelingt, innerhalb des Gebäudes zum Brandherd zu kommen, zerschlägt er von außen die Fensterscheibe der Waschküche und bekämpft den Brand mit einem Feuerlöscher von dort aus. Dabei zieht sich der 20-Jährige leichte Schnittverletzungen zu.

    Die BewohnerInnen des Heimes, zwei Frauen, zwei Kinder und elf Männer, werden evakuiert und in der Gemeinschaftsunterkunft Sigmaringen-Laiz untergebracht.

    Die Ermittlungen ergeben, daß zwei auf einem Küchenunterschrank und einer Teppichrolle abgelegte Schaumstoffmatratzen offenbar absichtlich in Brand gesetzt worden waren. Das Heim, dessen Schließung für die kommenden Monate geplant war, wird jetzt vorzeitig geschlossen.

Schwäbische Ztg 27.2.04

 

25. Februar 04

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In einem Wohngebiet am Rande von Rostock wird der 25 Jahre alte Mehmet Turgut in dem Imbiß seines Bekannten "Mister Kebap" zwischen 10.10 Uhr und 10.20 Uhr durch zwei Kugeln in den Kopf und eine in den Hals niedergeschossen. Wenige Minuten später findet ihn der Besitzer des Imbisses blutüberströmt – da ist er bereits tot.

    Mehmet Turgut hat keine Aufenthaltspapiere. Er ist zum dritten Mal in der BRD, um zu arbeiten und Geld zu verdienen – für seine Hochzeit und seine Familie. Zweimal wurde er bereits abgeschoben.

    Er ist der fünfte Tote in der sogenannten Döner-Mord-Serie, der bis zum Jahre 2007 acht Türken, ein Grieche und eine deutsche Polizistin zum Opfer fallen. Sie alle wurden am hellichten Tag getötet, mit Schüssen aus einer Pistole der Marke Ceska 85, Kaliber 7,65.

    Die Sonderkommission "Bosporus" in Nürnberg, wo der erste Mord an einem Imbiß verübt worden war, wertet im Laufe der Jahre 33 Millionen Datensätze aus, überprüft 11.000 Alibis und geht rund 3.500 Spuren nach. Die Ergebnisse füllen schließlich 1.200 Aktenordner. Die Ermittlungen laufen ausschließlich in zwei Richtungen: für die BeamtInnen kommen nur eine organisierte kriminelle Bande oder eine Einzelperson als Täter in Frage.

    Erst ab dem 4. November 2011, als sich zwei polizeibekannte Männer nach einem Banküberfall erschießen und eine Komplizin versucht, Beweismaterial durch Brandstiftung zu vernichten, wird klar, daß die Mörder Aktivisten des rechtsradikalen Spektrums und Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) sind.

    Neben vielen Ermittlungspannen über Jahre kommt jetzt auch die fragwürdige Rolle des bundesdeutschen Verfassungsschutzes und seiner vielen staatlich bezahlten V-Leuten ins Licht der Öffentlichkeit.

    Wochen nach dem Tod der Mörder von Mehmet Turgut haben seine Eltern, die in dem kleinen kurdischen Dorf Kayalik in den Bergen Ostanatoliens leben, immer noch keine aktuellen Informationen von deutschen Behörden bekommen. Erst ein Fernsehteam der ARD, das vor Ort recherchiert, berichtet den Angehörigen, daß ihr Sohn aus rassistischen Motiven getötet wurde.

    Mit dieser Wahrheit werden viele Ängste von den Angehörigen genommen, denn die deutschen Polizisten, die im Jahre 2004 zu ihnen gereist waren, hatten immer wieder nach angeblichen Feinden der Familie gefragt, weil sie den Verdacht der "Blutrache" als Tatmotiv verfolgten. So hatte die Familie schließlich jahrelang in großer Angst vor vermeintlichen Feinden und einem weiteren "Anschlag" leben müssen.

    Auf dem Dorffriedhof wundern sich die JournalistInnen über den Namen auf dem Grabstein. Dort steht Mehmet Turgut – sie hatten aber entsprechend der offiziellen Pressemitteilungen der Polizei den Namen Yunus Turgut erwartet.

    Diese Irritation geht auf eine Verwechslung der türkischen Paßbehörden zurück, die die Fotos der beiden Brüder bei der Ausstellung vertauscht hatten. Die Brüder reisten dann mit den Daten des jeweils anderen, aber einem identischen Paßfoto in die BRD, um hier arbeiten zu können.

    Ein halbes Jahr nach dem Mord an Mehmut Turgut wird sein Bruder Yunus in die Türkei abgeschoben.

    Eine Kundgebung am 25. Februar 12, die in Gedenken an den Mord von Mehmet Turgut in Rostock stattfindet, wird von bewaffneten und vermummten Rechten brutal angegriffen. Bei der anschließenden Auseinandersetzung mit der Polizei wird ein Beamter mit einer Eisenstange verletzt. Im Vorfeld hatte es Drohungen gegeben, und am Kundgebungsort sind neonazistische Symbole und Parolen gesprüht wie zum Beispiel: "Dönermorde – Ha Ha Ha!"

    Rostocker Initiativen erheben im März 2012 die Forderung, den Ort des Mordes, den Neu-Dierkower-Weg, in Mehmet-Turgut-Weg umzubenennen.

SVZ 5.4.11;

HM 23.11.11;

Spiegel 12.12.11 ; FAZ 15.11.11;

ard "Menschen und Schlagzeilen" 13.12.11;

HA 15.12.11; Weser-Ems 16.12.11;

Kampagne Stop it! 12.3.12;

LOBBI

 

29. Februar 04

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Ortschaft Beverungen werfen unbekannte Täter eine mit Brandbeschleuniger gefüllte und mit einer Stofflunte versehene Bierflasche gegen das Flüchtlingsheim. Die Flasche zerschellt an der Außenwand, so daß nur leichter Sachschaden entsteht. Die Täter entkommen unerkannt.

VS-Bericht NRW 2004

 

1. März 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Um 0.20 Uhr fügt sich ein 24 Jahre alter Gefangener mit einem Einweg-Rasierer Schnittverletzungen am Unterarm und am Hals zu. Nach einer medizinischen Behandlung in einem Krankenhaus erfolgt sein Rücktransport in das Abschiebegefängnis.

Polizei Berlin 1.3.04

 

3. März 04

 

Kamlanvi K., togoischer Abschiebegefangener aus dem Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick, soll am Hamburger Flughafen in eine Maschine der Air France steigen. Er wehrt sich heftig gegen die Abschiebung nach Lomé und gegen die Zwangsmaßnahmen der BGS-Beamten, bis der Pilot der Maschine sich schließlich weigert, ihn mitzunehmen. Mit einer Fußverletzung kommt er zurück nach Berlin in die Abschiebehaft. Nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus zur Untersuchung seines Fußes erfolgt seine Verlegung in die Krankenstation der Haftanstalt.

KuB 3.3.04

 

3. März 04

 

Markkleeberg bei Leipzig im Bundesland Sachsen. Nach Einbruch der Dunkelheit, um 20.06 Uhr, brechen Polizeibeamte in der Spinnereistraße 9 die Wohnungstür der albanischen Familie Bajrami auf und überwältigen die völlig überraschten und verängstigten Menschen. Die 20 Beamten der Polizeidirektion Grimma wollen in Amtshilfe für die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) Chemnitz die Abschiebung der Familie in den Kosovo, nach elfjährigem Deutschland-Aufenthalt, einleiten. Die Polizeitruppe wird auf 30 Personen aufgestockt, weil AnwohnerInnen versuchen, die Abschiebung zu verhindern.

    Der 10-jährige Hacif, die 13 Jahre alte Liridona und die 14-jährige Emine werden geweckt und gewaltsam aus den Betten gerissen. Der erwachsene Sohn Agim wird die Treppe heruntergezogen, geschlagen und gefesselt. Als Emine den Anwalt und Freunde informieren will, wird ihr das Telefon weggenommen und fortgeworfen. Die Eltern und die Söhne Agim und Bulatin müssen sich auf den Boden legen und dort ausharren. "Wo habt ihr das geklaut?", fragen die Beamten, als sie sich im Wohnzimmer umsehen, und äußern weitere Beleidigungen.

    Ein von der Ausländerbehörde beauftragter Arzt verabreicht dem 20-jährigen Bulatin gegen seinen Willen eine Beruhigungsspritze.

    Dem herbeigerufenen Anwalt und der Ärztin der Eltern wird kein Zutritt zur Wohnung gewährt. Dies gelingt dem Anwalt erst durch massive Intervention nach drei (!) Stunden. Nun erlebt der Anwalt, wie der an Diabetes und hohem Blutdruck leidende Ekrem Bajrami eine Kreislaufkrise bekommt. In Lebensgefahr muß er mit einem Rettungswagen ins nächstgelegene Akutkrankenhaus gefahren werden.

    Auch seine Frau und Mutter ihrer sechs Kinder, die 47 Jahre alte Miradije Berisha ist schwerkrank. Durch die Verfolgungserlebnisse im Kosovo ist sie seit 1993 schwer traumatisiert. Seit 1995 wurde ihr deshalb von den Behörden immer wieder ein Bleiberecht eingeräumt. Sie war mindestens siebenmal im Elisabeth-Krankenhaus in Leipzig und in der Psychiatrischen Klinik der Park-Krankenhaus-Südost GmbH in stationärer Behandlung. Aufgrund ihrer Erkrankung bekam sie das Recht zur Arbeitsaufnahme zugestanden und ging bisher einer regelmäßigen Beschäftigung nach.

    Die beiden per Injektionsnadel 'beruhigten' Söhne werden mit ihrer 14 Jahre alten Schwester Emine in drei verschiede-nen Polizeifahrzeugen zunächst zum Zentralen Polizeigewahrsam nach Leipzig gebracht. Von dort aus werden sie in einer siebenstündigen Fahrt in einem unbeheizten Bus der Bereitschaftspolizei ohne Nahrung und Getränke zum Düsseldorfer Flughafen gebracht. Während der Fahrt sind sie gefesselt.

    Die Jugendlichen sollen abgeschoben werden – jedoch weigert sich die UNMIK (United Nation Administration Mission in Kosovo) der "Rückführung" der Jugendlichen zuzustimmen, und beruft sich dabei auf den bilateralen Vertrag "Memorandum of Understanding" vom 31. März 2002, weil zum einen eine Familientrennung nicht zulässig ist und andererseits eine Information der Behörde im Kosovo nicht erfolgt ist. Erst die Intervention des Innenministeriums in Düsseldorf kann dem Drängen des sächsischen Staatsministeriums Einhalt gebieten, so daß zumindest Emine nicht abgeschoben wird. Ihre Brüder werden unter Schlägen auf Hinterkopf, Rücken und Beine und mit Plastikfesseln an den Handgelenken in einen Raum auf dem Flughafen Düsseldorf gebracht, wo sie auf den Abflug warten sollen. Dann verbringen sie lange Zeit in Einzelzellen eines Polizeiwagens – weiterhin gefesselt und kaltem Wind aus der Lüftungsanlage ausgesetzt. Danach werden sie von je sechs BGS-Beamten zum Flugzeug gebracht und wiederum geschlagen und beleidigt. Durch das Flugzeugpersonal werden ihnen die einschnürenden Plastikfesseln dort endlich gelöst.

    Herr Bajrami befindet sich am 11. März immer noch wegen seines lebensbedrohlichen Zustandes im Krankenhaus. Frau Berisha, die kleineren Kinder und auch Emine müssen sich nach dem brutalen Polizeieinsatz in ärztliche Behandlung begeben. Bei den Kindern wird jeweils ein akutes psychisches Trauma diagnostiziert, das behandelt werden muß.

    Ab 20. April 2004 begibt sich die Familie Bajrami wegen der weiteren Abschiebebedrohung ins Kirchenasyl.

Petition an den Sächsischen LT 11.3.04; jW 17.3.04; ND 10.9.04;

Familientrennung durch Abschiebung – Dezember 2004;

nah & fern Heft 30;

Brief von Agim Bajrami

 

4. März 04

 

Der 18-jährige Raphael Sanko, Flüchtling aus Sierra Leone, trifft von Worbis in Thüringen kommend am Bahnhof Göttingen ein, weil er einen Termin bei seiner Rechtsanwältin wahrnehmen will. Zwei Männer kommen auf ihn zu und fordern ihn auf, sich auszuweisen. Als Raphael Sanko nach ihrer Legitimation und nach dem Grund fragt, antwortet einer der Männer, daß sie Polizisten seien und daß das Ausländergesetz sie zu einer verdachtsunabhängigen Personenkontrolle berechtige. Sein Kollege ruft bereits Verstärkung.

    Als vier weitere Zivil-Beamte eintreffen, drücken sie den überraschten Flüchtling gewaltsam zu Boden und legen ihm mit brutaler Gewalt Handschellen an. Dann tragen sie ihn in die BGS-Wache, die sich am Bahnhof befindet. Hier werden die Kleider des Flüchtlings durchsucht und die Personalien überprüft.

    Raphael Sanko ist durch die Zwangsmaßnahmen der Beamten derart verletzt, daß er von der BGS-Wache mit einem Krankenwagen in die Notaufnahme des Universitätsklinikums gebracht werden muß. Die Ärzte diagnostizieren folgende Verletzungen: eine Kniegelenksdistorsion links, eine Handgelenksdistorsion links, Verletzungen im Halswirbelbereich und an einer Schulter sowie Prellungen.

    Raphael Sanko, der auch schon als Mitglied der Flüchtlingsorganisation The VOICE gegen die "Residenzpflicht" und "verdachtsunabhängige Kontrollen" protestiert hat, erstattet Anzeige gegen die Polizeibeamten. Die Ermittlungen gegen die Beamten werden eingestellt. Für April 2005 ist der Prozeß gegen Raphael Sanko geplant.

The VOICE Refugee Forum Jena 5.3.04;

AK Asyl Göttingen 6.3.04;

AK Asyl Göttingen 9.3.04; jW 11.3.04;

jW 7.7.04

 

4. März 04

 

Als Beamte der JVA Fuhlsbüttel ("Santa Fu") den 33-jährigen togoischen Flüchtling Kokou D. zur Abschiebung abholen wollen, finden sie ihn blutend in seiner Zelle vor. Er hat sich mit einer Rasierklinge selbst Schnittverletzungen an Hand und Bauch zugefügt. Aber erst als Kolou D. "mehrmals mit voller Wucht mit dem Kopf gegen die Wand" rennt (Gefangenenpersonalakte), wird die Abschiebung abgebrochen. Vor einer ärztlichen Untersuchung seines Schädels schlägt er ihn erneut gegen eine Wand.

    Dann kommt er für die folgenden fünf Tage in eine Einzelzelle und Kokou D. verweigert die Nahrungsaufnahme. Die 'Behandlung' des Abschiebegefangenen besteht darin, ihn zu verbinden und ihn nackt ans Bett zu fesseln.

    Am 9. März kommt Kokou D. nach Holstenglacis zur Haftprüfung. Hier wird der richterliche Vermerk ignoriert, D. sei wegen "Suizidabsicht umgehend" einem Arzt vorzuführen. Kokou D. rammt sich in seiner Verzweiflung über die Haftverlängerung eine Kugelschreibermine in die Luftröhre, rammt erneut seinen Kopf gegen eine Wand und kommt schließlich ins Marienkrankenhaus. Kurz nach der Operation und umittelbar nach Abflauen der Narkose wird Kokou D. – noch mit Magensonde – mit einem Gefangenentransporter zum Gefängniskrankenhaus zurückgefahren. Da die dortigen Ärzte aus Haus 1 und auch aus dem Zentralkrankenhaus der U-Haft seine Aufnahme wegen der Schwere der Erkrankung verweigern, muß er in dem oben beschriebenen Zustand mehrere Stunden im Gefangenentransporter verbringen, bevor er in das Marienkrankenhaus zurückgefahren wird. Von hier aus wird die Aufnahme in das Klinikum Nord Heidberg-Ochsenzoll veranlaßt. Ab jetzt gilt er als aus der Abschiebehaft entlassen.

    Während der gesamten Krisensituation des Togoers wurde er nie von einer psychologischen Fachkraft besucht. Erst nach seiner Entlassung wird er zwei Monate lang in der Psychiatrie Ochsenzoll stationär behandelt und verläßt diese mit der Diagnose: "Schwere depressive Erkrankung mit fortschreitender Suizidalität aufgrund traumatischer Erfahrungen und persistierender Ängste" und paranoide Ideen und Halluzinationen.

taz 9.6.04; taz 10.6.04; taz 22.7.04;

taz 6.8.04; taz Hamburg 22.11.04;

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/459;

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/685;

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/686;

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/1039

 

4. März 04

 

Landkreis Cloppenburg in Niedersachsen. Der 34 Jahre alte Tschetschene Musa  schneidet sich die Pulsadern auf und verblutet. Dies geschieht, nachdem er am Vortag erneut einen

Ablehnungsbescheid seines Asylantrages erhalten hat. Er hinterläßt seine Frau und seine Kinder im Alter von zehn, acht und sieben Jahren.

  Herr Musa hatte sich aktiv am bewaffneten Kampf der TschetschenInnen beteiligt und war als Kämpfer von russischen Einheiten festgenommen worden. In viermonatiger Haft wurde er schwer gefoltert. Seine Eltern fanden ihn und konnten ihn gegen die Zahlung eines Lösegeldes aus dem Gefängnis freikaufen. Das war im Jahre 2002. Er folgte seiner Frau und seinen Kindern in die BRD, die wegen der vielen Schika-nen und "Besuche" von russischen Soldaten schon vorher geflohen waren.

    Herr Musa litt unter einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung. Als er die Ablehnung des Asylantrags bekam und auch ein zweiter Asylantrag abgelehnt wurde, geriet er immer tiefer in eine Depression, die auch stationär behandelt werden mußte.

    Seiner Witwe gelingt es im Jahre 2005, eine Aufenthaltserlaubnis für sich und ihre Kinder zu bekommen. Ihnen werden Abschiebehindernisse nach § 53 Abs. 6 zuerkannt.

GfbV März 2006;

GfbV Dezember 2006

 

7. März 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Um 16 Uhr geht ein 30-jähriger Gefangener in den Toilettenraum und schneidet sich mit einer Rasierklinge in den linken Unterarm und in die linke Halsseite. Mit einem Polizeiwagen wird er zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus gebracht.

Polizei Berlin 8.3.04

 

8. März 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Als ein kurdischer Gefangener nach der Freistunde einen Ball in den Zellentrakt mitnehmen will, wird ihm dies von einem Beamten untersagt. Als der Kurde argumentiert, daß der Ball immer mitgenommen werden durfte, wird er von zehn Beamten im Erdgeschoß wegen "Widersetzlichkeit" malträtiert. Nach diesem Übergriff ist der Gefangene ohnmächtig, und sein Oberarm ist zweimal gebrochen.

    Nach erster medizinischer Versorgung im DRK-Krankenhaus Köpenick kommt er ins Unfall-Krankenhaus Marzahn, in dem er eine 10- bis14-tägige stationäre Behandlung bekommen soll. Stattdessen erfolgt seine Verlegung ins Haftkrankenhaus der JVA-Moabit. Nach Abschluß der staatsanwaltlichen Ermittlungen zu der Verletzung des Kurden erfolgt seine Abschiebung im Juli 2004. Ein Gerichtsverfahren hat auch im Januar 2005 noch nicht stattgefunden.

Pfarrer D. Ziebarth

 

8. März 04

 

In der Umgebung des Flüchtlingsheimes im nordrhein-westfälischen Iserlohn werden einige Straßenzüge abgesperrt, bevor in einem Großeinsatz das Gebäude von der Polizei gestürmt wird. Fast alle Türen werden aufgebrochen oder eingetreten, Menschen werden mit Plastikbändern gefesselt und angewiesen, sich auf den Boden zu legen. Ein Mann aus Niger berichtet, daß ihm zusätzlich noch eine Stoffmütze über das Gesicht gezogen wurde. Alle 25 Räume des Gebäudes werden unter vielen Zerstörungen und Sachschäden durchsucht. An dem schikanösen Einsatz gegen die 21 BewohnerInnen des Heimes beteiligen sich 160 Polizeibeamte.

    Vier Personen werden wegen angeblich illegalem Aufenthalt festgenommen, was sich jedoch später als unwahr herausstellt. Zwei 16-jährige Flüchtlinge kommen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz mit zum Revier.

    Tatsächlich ist es, laut Einsatzleiter Lorenz Schnadt, auch nicht vorrangiges Ziel der Polizei, Drogen zu finden. Er meint später, daß der Einsatz von Hubschraubern und Hunden nötig gewesen wäre, um zu zeigen, "wer Herr im Hause ist".

    Die Einschnürungen an den Gelenken der mit Plastikkabel Gefesselten sind auch nach einer Woche noch deutlich zu erkennen.

Antifa Iserlohn;

jW 17.3.04; GT 17.5.04

 

10. März 04

 

In der Hamburger Untersuchungshaftanstalt begeht ein 33 Jahre alter Abschiebegefangener aus Togo einen Suizidversuch.

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469

 

 

14. März 04

 

Justizvollzugsanstalt Dresden. Die 47 Jahre alte Vietnamesin Nguyen X. winkt aus dem Fenster einem vietnamesischen Gefangenen zu, der sich im Gefängnishof aufhält, und redet mit ihm. Die Aufseherin unterbindet das Gespräch abrupt und bringt die Gefangene in eine Einzelzelle. Diese gerät in Panik, schreit laut und schlägt mit voller Kraft immer wieder ihren Kopf gegen die Wand ("Im Moment wollte ich nur sterben").

    Nach ca. 15 Minuten erscheinen mehrere Männer und Frauen des Aufsichtspersonals, legen die Gefangene in Handschellen und bringen sie in eine andere Zelle. Sie entkleiden die Frau bis auf die Unterwäsche, fesseln die Hände hinter dem Rücken, legen ihre Füße in Schellen und verbinden rücklings die Hand- und Fußschellen mit einer weiteren Schelle. In dieser Schaukelfesselung muß die Gefangene mit großen Schmerzen bis zum Abend ausharren. Dann werden ihr die Fesseln gelöst, und sie kommt erst am nächsten Nachmittag zurück in ihren Trakt. Die Zelle ist so kalt, daß sie um eine Decke bittet, die sie allerdings nicht bekommt.

    Von einem Arzt bekommt Nguyen X. eine Salbe zur Versorgung der Wunden an Hand- und Fußgelenken. Noch zwei Wochen nach der Tortur hat sie heftige Schmerzen.

    Der Leiter der Justizvollzugsanstalt verteidigt diese Foltermaßnahme mit der Begründung, daß sie zum Selbstschutz der Gefangenen notwendig gewesen sei. Er berichtet außerdem, daß ihr während der Fesselung ein Schutzhelm aufgesetzt worden sei, da sie ihren Kopf auf den Fliesenboden geschlagen habe: "Da die Gefangene auch schon während ihrer Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Berlin wiederholt Suizidgedanken für den Fall ihrer Abschiebung nach Vietnam geäußert hatte, konnte aufgrund ihres Verhaltens eine Suizidgefahr nicht ausgeschlossen werden."

(siehe auch: 2. November 04)

 Bericht der Betroffenen;

JVA Dresden 4.5.04;

pax christi – Flüchtlingskontakte Dresden 20.11.04

 

14. März 04

 

Untersuchungsgefängnis Holstenglacis in Hamburg. Aus Angst vor der drohenden Abschiebungen versucht der 31 Jahre alte Abschiebegefangene Orhan B., sich mit Spiegelscherben die Pulsadern zu öffnen. Er wird daraufhin in eine Beobachtungszelle verlegt, kommt aber nach vier Tagen mit Zustimmung des Gefängnispsychologen wieder in seine Zelle zurück. (siehe auch: 19. April 04)

taz Hamburg 3.5.04; taz Hamburg 4.5.04;

jW 8.5.04; JWB 12.5.04;

Ztg für Psychiatrie 5-04

 

15. März 04

 

In der Flüchtlingsunterkunft im westfälischen Borken entsteht im Obergeschoß ein Feuer. Ein Zimmer und der angrenzende Flur mitsamt Rauchmelder werden zerstört. Die anwesenden sechs Kinder und Jugendlichen im Alter von sieben bis 18 Jahren können das Gebäude in der Duesbergstraße rechtzeitig und unverletzt verlassen. Der Sachschaden wird auf 25.000 Euro geschätzt.

Polizei Borken 15.3.04

 

17. März 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein albanisch-serbischer Gefangener versucht, sich in der Toilette aufzuhängen.

    Wegen seiner serbischen Herkunft, die in seiner Biografie dominierend ist, hatte er immer wieder gebeten, nach Belgrad abgeschoben zu werden, doch die Ausländerbehörde bestand auf eine Abschiebung in den Kosovo.

    Nach dem Selbsttötungsversuch wird der Gefangene in eine Einzelzelle zur Beobachtung verlegt. Die für den nächsten Tag geplante Sammel-Abschiebung nach Prishtina wird aufgrund der im Kosovo stattfindenden schweren Ausschreitungen zunächst gestoppt. Bei den Übergriffen werden innerhalb von wenigen Tagen mehr als 20 Serben von albanischen Extremisten getötet, Hunderte verletzt und Tausende aus ihren Häusern vertrieben. Am 23. März wird der Mann aus der Haft entlassen.

Jesuiten-Flüchtlingdienst

 

20. März 04

 

Mecklenburg-Vorpommern. In einem Rostocker Neubaugebiet wird einem irakischen Asylbewerber von drei jungen Männern der Weg verstellt. Einer der Provokateure meint, daß der Flüchtling ihm den Weg freigeben solle und schlägt ihm dermaßen gegen die Brust, daß er zu Boden fällt. Dann verschwinden die Deutschen.

LOBBI

 

23. März 04

 

Ein 33 Jahre alter kurdischer Gefangener und abgelehnter Asylbewerber wird nach viermonatiger Abschiebehaft in Berlin-Köpenick abgeholt und um 11.30 Uhr über den Flughafen Berlin-Tegel in die Türkei ausgeflogen. Noch auf dem Flughafen in Istanbul erfolgt seine Festnahme und seine Überstellung an die Anti-Terror-Abteilung. Er kommt in ein Gefängnis des Typs F in Tekirdağ, einem Spezialgefängnis für politische Häftlinge, in Isolationshaft. Es wird zunächst noch nicht einmal einem Rechtsanwalt erlaubt, ihn in der Haft aufzusuchen. Als dies zugelassen wird, stellt der Anwalt Verletzungen bei dem Gefangenen fest. Ein enger Freund des Kurden berichtet, daß er in der Haft systematisch und schwer gefoltert wurde.

    In der 27-seitigen Anklage des 1. Staatssicherheitsgerichts werden ihm politische Parolen zur Last gelegt, die er rief, als er in der BRD dem türkischen Konsulat zwangsweise vorgeführt werden sollte. Da diese Parolen vom Wachpersonal in Verbindung mit seiner Person registriert worden waren, war abzusehen, daß er nach einer eventuellen Abschiebung ins Visier der politischen Verfolger kommen würde. Dies war auch Gegenstand eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Leipzig, der abgelehnt wurde.

    Durch intensive Unterstützung von Menschen in Berlin und Istanbul kann erreicht werden, daß zum Prozeßbeginn jeweils ein Vertreter von amnesty international und von der Deutschen Botschaft als Beobachter anwesend sind. Der Prozeß wird abgebrochen und der Angeklagte entlassen.

    Alle Papiere bleiben einbehalten, und er hat sich in seinem Dorf alle 14 Tage bei der Polizei zu melden.

Flüchtlingsrat Berlin; Özgür Politika 17.4.04;

Reinhard Jäger – Rechtsanwalt; Pfarrer D. Ziebarth

 

25. März 04

 

Auf dem Bahnhof des brandenburgischen Jüterbog wird der 28 Jahre alte Djimtahadoum M., Flüchtling aus dem Tschad, von drei Männern rassistisch beschimpft und geschlagen. Dabei wird er im Gesicht verletzt.

    Auf Djimtahadoum M., der schon vorher unter Depressionen litt, wirkt sich der Überfall vor allem psychisch aus. Panikattacken und psychosomatische Störungen plagen ihn noch eineinhalb Jahre später. Im Herbst 2005 droht dem Aktivisten der tschadischen Exilopposition die Abschiebung.

    Das Amtsgericht Luckenwalde verurteilt den Haupttäter zu einer achtmonatigen Haftstrafe und der Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 1000 Euro. Zudem sind die Kosten des Verfahrens und die der Nebenklage von ihm zu tragen.

Opferperspektive;

BeZ 23.1.05

 

28. März 04

 

Jüterbog in Brandenburg. Ein 22 Jahre alter Afghane und sein palästinensischer Begleiter haben gerade die Diskothek "Fränkis Tanzbar" verlassen, als sie von sieben oder acht Rechtsradikalen angepöbelt werden: "Scheißausländer" und "Ausländer sind Kanaken". Während dem Palästinenser die Flucht gelingt, reißen eine Frau und ein Mann den Afghanen zu Boden und schlagen minutenlang auf ihn ein. Der 22-Jährige kommt mit einem Nasenbeinbruch und einem Schädel-Hirn-Trauma ins Krankenhaus.

    Im Juli 2005 stehen der 28 Jahre alte Marcel P. und die 24-jährige Doreen N. als Hauptverdächtige vor dem Luckenwalder Amtsgericht. Die Verhandlung wird vorerst bis in den Oktober vertagt.

Opferperspektive; MAZ 9.7.05;

JWB 20.7.05; PNN 12.10.05

 

29. März 04

 

Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Um 19.40 Uhr wird ein 34 Jahre alter Flüchtling aus Eritrea im Beisein einer Freundin auf dem Parkplatz eines Supermarktes von vier Männern überfallen. Die Täter schlagen und treten auf ihn ein und schießen mit einer Schreckschußpistole auf ihn. Dann lassen sie von ihm ab und flüchten. Der Afrikaner muß sich wegen einer Platzwunde und schweren Prellungen im Gesicht im Krankenhaus behandeln lassen.

    Zeugenaussagen führen am nächsten Tag zur Festnahme des 19 Jahre alten Hauptverdächtigen. Der bekannte Rechtsradikale hatte bereits im Jahre 2002 einen Asylbewerber aus Indien in Halberstadt angegriffen. Nach seinen drei Komplizen wird gefahndet.

(siehe auch: 13. Januar 02)

ddp 31.3.04; ap 31.3.04

jW 1.4.04; taz 1.4.04; MDZ 1.4.04;

Polizei Halberstadt 1.4.04;

rundbrief apabiz Nr. 15 Mai 04;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

März 04

 

Nach einem Selbsttötungsversuch befindet sich die 20 Jahre alte Arieta Ukaj in stationärer Behandlung. Auch ihre Mutter Hola befindet sich wegen schwerer Depressionen im Krankenhaus. Für beide Frauen, die der ethnischen Gruppe der Ashkali angehören, ist die Abschiebung in den Kosovo zur Zeit ausgesetzt.

Greenpeace Magazin 3/04

 

31. März 04

 

Bremerhaven im Bundesland Bremen. Der 47 Jahre alte kurdische Flüchtling Mehmet A. übergießt sich mit Benzin und kann von seiner Familie nur mit Mühe davon abgehalten werden, sich anzuzünden. Er wird in das Krankenhaus Reinkenheide in Bremerhaven eingeliefert. Herr A. hatte der Ausländerbehörde mehrmals angekündigt, daß er im Falle einer Abschiebung sich und seine Kinder verbrennen wolle.

    Der abgelehnte Asylbewerber hat gerade erfahren, daß er am 26. März in der Ausländerbehörde ein Formular unterschrieben hat, mit dem er seiner "freiwilligen" Rückkehr in die Türkei zustimmt. Er hatte das Formular in dem Glauben unterschrieben, daß es sich um  eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht handeln würde. Bei dieser Unterschrift war weder ein qualifizierter Dolmetscher noch ein Arzt zugegen.

    Mehmet A. war 1995 mit seiner Frau und seinen vier Kindern in die BRD geflohen, um dem immer gefährlicher werdenden Druck der türkischen Verfolgungsbehörden auszuweichen. Mehrmals war er dort festgenommen, verhört und gefoltert worden, weil er als "Dorfschützer" gegen die PKK eingesetzt werden sollte – dies aber verweigerte.

    Mehmet A. leidet seither an einer Posttraumatischen Belastungsstörung und ist deshalb seit 1997 in psychotherapeutischer Behandlung. Aufgrund seiner Erkrankung und der unsicheren Aufenthaltsbedingungen hat er mehrere Selbsttötungsversuche hinter sich.

jW 27.9.04;

Hans-Eberhard Schultz – Rechtsanwalt

 

1. April 04

 

Nordrhein-Westfalen. Der 20-jährige Flüchtling Bamkali Konateh (Banga) aus Sierra Leone ist in Düsseldorf mit einem Freund zusammen auf dem Weg zu einem Call-Center, als beide von vier Kriminalpolizisten in Zivil angegriffen, geschlagen und letztlich überwältigt werden.

    Als Bamkali Konateh zu Boden geht, treten und schlagen die Beamten weiter auf ihn ein. Sein Gesicht ist verletzt und geschwollen, Blut läuft ihm aus Nase und Mund. Als er versucht, sich aufzurichten, schießt ihm einer der Beamten aus unmittelbarer Nähe eine große Menge Pfefferspray ins linke Auge.

    Der vor Schmerzen schreiende Bamkali Konateh wird dann in ein Polizeiauto gestoßen und weggefahren. Sein Freund wird in einem anderen Wagen abtransportiert. Während der Fahrt zur Polzeiwache wird Bamkali Konateh immer wieder geschlagen.

    Eine ärztliche Untersuchung erfolgt hier nicht. Nach einer halben Stunde fahren sie ihn zu einem Gerichtsgebäude, wo ihm nach einer Stunde Wartezeit gesagt wird, daß er nach Hause gehen könne.

    Sein Auge ist schwer verätzt – er kann nichts mehr sehen. Er geht zu einem Freund, der ihn am nächsten Tag zu einem Arzt begleitet. Dieser verschreibt ihm Schmerzmittel.

    Als Bamkali Konateh Mitte Juni das Flüchtlingslager Geisa in Thüringen erreicht, wird er erstmals von einem Augenarzt untersucht, der ihn umgehend in die Augenklinik nach Aachen überweist. Dort erfolgen zwei Operationen am linken Auge, die ihm schließlich die Schmerzen nehmen – aber die Sehkraft nicht wieder herstellen können: das Auge ist erblindet.

    Zu einer geplanten Nachuntersuchung – acht Wochen nach seiner Entlassung aus der Augenklinik – kommt es nicht, denn am Tag davor wird Bamkali Konateh von der Polizei aufgesucht, gefesselt, mitgenommen und am nächsten Tag einem Richter vorgeführt. Über Düsseldorf kommt er per Richterbeschluß wegen des "Vorfalls am 1. April" in die JVA Wuppertal.

    Erst zweieinhalb Wochen später wird Bamkali Konateh von einem Augenarzt untersucht, der ihn in ein Krankenhaus einweist, wo ihm das Auge entfernt wird. Zwei Wochen später bekommt der Flüchtling ein Glasauge eingesetzt.

    Als Bamkali Konateh im Juli 2008 seine Duldung verlängern lassen will, ruft der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde Wartburgkreis die Polizei und veranlaßt, daß er wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Verletzung der Residenzpflicht zu zwei Monaten Haft in der JVA Goldlauter verurteilt wird.

    Eine noch offene Bewährung erhöht die Haftzeit dann auf elf Monate. Nach 10 Monaten Haft erkrankt Bamkali Konateh an Diabetes mellitus, wodurch die Sehkraft seines rechten Auges in Mitleidenschaft gezogen wird.

    Am 12. Mai 09 wird das rechte Auge erfolglos operiert: Bamkali Konateh kann nur noch hell und dunkel unterscheiden. Auch weitere Operationen führen nicht zu dem erhofften Ergebnis: am 17. Dezember 2009 ist Bamkali Konateh vollständig erblindet.

    Im Flüchtlingslager Gerstungen lebt Bamkali Konateh sehr isoliert, und die einzige Unterstützung sind – neben einem warmen Essen einmal täglich von einer Catering-Firma – die Medikamentenzuteilung, die Augenbehandlung und die Insulin-Injektion durch die Sozialstation. Ansonsten ist der blinde Mann sich selbst überlassen – er stürzt oft, verletzt sich dadurch und schlägt sich dabei die Vorderzähne aus. Er ist weiterhin abschiebebedroht.

    Erst durch die Unterstützung der Organisation The VOICE bekommt er Kontakt zu einem Anwalt, der erreichen kann, daß ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7.1. erlassen wird.

    Es folgen zwei weitere Operationen an seinem rechten Auge in Erlangen. Mit einer Hornhaut-Transplantation und einer neuen Linse kann Bamkali Konateh bei seiner Entlassung wieder Helligkeit, Dunkelheit und Farben erkennen.

    Das Blindengeld für fast ein Jahr wird vom Versorgungsamt unterschlagen, indem es rechtswidrig als Einkommen verrechnet wird.

    Als Bamkali Konateh am 17. Juni 2011 eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 25 Abs. 3 AufenthG) bekommt, kündigt das Versorgungsamt die Verträge für die medizinische Betreuung (Sozialstation) und auch für das einmalige warme Essen am Tag. Er bekommt die Aufforderung, zum Ende des Monats das Heim zu verlassen.

    Einer Gruppe von Berliner UnterstützerInnen gelingt es, Bamkali Konateh eine kleine Wohnung in Berlin zu besorgen und soziale und medizinische Betreuung zu organisieren.

    Bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die Bamkali Konateh in der Ausländerbehörde Salzungen am 15. September 11 erwirken will, erfolgt eine weitere Schikane des Sachbearbeiters. Aufgrund einer übersehenen (!) Ausweisung  aus dem Jahre 2006 stellt der Sachbearbeiter nur einen Ersatzausweis mit Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG aus und verfügt die Wohnsitzauflage (Wohnpflicht) für das Land Thüringen.

    Obwohl Bamkali Konateh durch die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs dagegen zunächst weiter in Berlin bleiben kann, fällt er jetzt bzgl. seines Lebensunterhaltes als auch der medizinischen Versorgung wieder auf die deutlich geringeren Leistungen entsprechend dem Asylbewerberleitungsgesetz zurück. Am 16. November 11 entscheidet das Sozialgericht Berlin, daß der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf für Bamkali Konateh zuständig ist. Nachdem das Sozialamt Beschwerde gegen das Urteil eingelegt hat, ent-scheidet schließlich am 20. Dezember 11 das Landessozialgericht, daß Bamkali Konateh zurück nach Thüringen muß.

    Durch diesen Zuständigkeitsstreit der Behörden in Berlin und im Wartburgkreis verschlechtert sich die soziale und medizinische Situation Bamkali Konatehs grundlegend, denn das Sozialamt in Berlin weigert sich, die Sozialhilfe und die Krankenkasse zu zahlen.

    Das hat sich auch im Januar 2013 nicht geändert. Bamkali Konateh lebt weiterhin in Berlin. Alle drei Monate müssen die Sozialleistungen vom Sozialamt in Thüringen vor Gericht eingeklagt werden. Krankenkassenbeiträge werden nicht bezahlt – die muß Bamkali Konateh selbst tragen. Die Blindenschule kann er nicht besuchen, weil er keinen mindestens einjährigen Aufenthalt vorweisen kann. Er bekommt lediglich auf drei Monate befristete Fiktionsbescheinigungen, weil die Ausländerbehörde seine Identität anzweifelt.

YouTube "Maybe I can see again" 4.9.10;

indymedia 7.3.12; The Voice 19.3.12;

linksunten.indymedia.org 25.4.12;

Bericht des Betroffenen

 

2. April 04

 

Neubrandenburg im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Auf dem Parkplatz eines Supermarktes wird der 23 Jahre alte Algerier Fodil F. nachts von mehreren Männern beschimpft und brutal geschlagen und getreten. Er solle aus Deutschland verschwinden, brüllen sie ihn an. In Folge der schweren Verletzungen, die er erleidet, muß ihm ein Hoden entfernt werden.

    Am 28. Mai unternimmt die Ausländerbehörde einen Abschiebeversuch. Da Herr F. einem Arzt gegenüber über starke Schmerzen geklagt hat und auch eine Ärztin einen erneuten Untersuchungsbedarf der Folgeschäden des Überfalls attestiert, wird Herrn F. ein Untersuchungstermin genannt, was er aber aufgrund seiner Aufgeregtheit und aufgrund seiner wenigen Deutschkenntnisse nicht versteht.

    Weil er deshalb den Termin nicht wahrnimmt, wird er zur Fahndung ausgeschrieben, am 4. Juni festgenommen und in Abschiebehaft genommen. Nach seiner Freilassung taucht er unter.

LOBBI 8.6.04;

NK 10.6.04; OZ 10.6.04;

NK 11.6.04; JWB 23.6.04

 

3. April 04

 

Frankfurt an der Oder in Brandenburg. In den Lennépassagen vor einer Diskothek und einer Bushaltestelle werden zwei Flüchtlinge aus Sierra Leone und aus Kamerun von sechs bis acht Rechtsradikalen rassistisch beleidigt. Während dem Kameruner die Flucht gelingt, bleibt der 30-jährige Benedict A. am Bordstein sitzen, weil er in Anbetracht der zahlreichen PassantInnen nicht mit einem Angriff rechnet. Einer von mehreren Tritten gegen seinen Kopf nimmt ihm das Bewußtsein.

    Im Klinikum Frankfurt/Oder werden ein Nasenbeinbruch, ein Gaumenbruch, eine Gehirnerschütterung und eine Hirnblutung festgestellt, so daß der Verletze sich umgehend einer lebensrettenden Operation unterziehen muß.

    An den Folgeschäden, wie Gedächtnisverlust, fehlendem Geruchs- und Geschmackssinn, leidet Benedict A. auch noch im Januar 2006, als der Prozeß gegen die beiden Haupttäter stattfindet. Ein 26-jähriger Mann, ein stadtbekannter Rechtsextremist, wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und zur Zahlung von 1000 Euro Schmerzensgeld für das Opfer. Ein 24-Jähriger, der zugibt, dreimal "ziemlich doll" gegen den Kopf getreten zu haben, bekommt wegen gefährlicher Körperverletzung eine Haftstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung, in die allerdings noch zwei Vorstrafen einfließen.

Opferperspektive (inforiot 7.4.04); TS 16.4.04;

ddp 22.4.04; BeZ 23.4.04; JWB 28.4.04; ddp 5.1.06;

rbb-online 5.1.06;rbb-online 26.1.06; taz 27.1.06

4. April 04

 

In einer Flüchtlingsunterkunft im hessischen Schmitten im Taunus entsteht im Keller ein Brand. Die Feuerwehr geht von Brandstiftung aus – der Schaden ist gering.

FR 5.4.04

 

4. April 04

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Nachdem die Ausländerbehörde Zeitz dem Rechtsanwalt des Sudanesen John Williams lange Zeit die Auskunft über dessen Verbleib verweigerte, bekommt dieser Ende Juni einen Brief, in dem die Behörde mitteilt: "Ihr Mandant ist am 04.04.04 gestorben." John Williams wurde 49 Jahre alt.

    John Williams mußte seit Juli 2002 im Abschiebelager Halberstadt (ZASt – Zentrale Anlaufstelle) leben, weil die Behörden ihm weder seine Herkunft noch die Fluchtgründe glaubten. Als die sudanesische Botschaft die Ausstellung von Reisepapieren verweigerte, erhielt er wegen "Falschaussage" einen Strafbefehl über 200 Euro (40 Tagessätze à 5 Euro). Weil er die Strafe nicht bezahlen konnte, mußte er vom 20. August bis zum 14. Oktober die Strafe beim "Plansch e.V." abarbeiten.

    Ab August 2002 begannen seine gesundheitlichen Probleme. Die Gedächtnisleistung, die Fähigkeit zu schreiben und auch das Augenlicht ließen deutlich nach. Anfang 2003 bekam John Williams Krämpfe, verlor zeitweise seine Sehkraft, und sein linkes Bein war stark geschwollen. Die Einweisung in ein Krankenhaus durch einen Halberstädter Arzt wurde durch das Sozialamt des Landkreises verweigert. Als John Williams Ende Dezember 2003 sein Sprachvermögen verlor, weder essen noch sehen konnte und bis auf die Knochen abgemagert war, waren es nicht die Sozialarbeiter des Lagers, sondern seine MitbewohnerInnen, die den Notarzt riefen.

    Der Flüchtling kam ins Krankenhaus Halberstadt und wurde ím Januar 2004 in die Neurologische Abteilung des Harzklinikums Blankenburg und anschließend in das Harzklinikum Wernigerode verlegt. Als hier Sarkoidose mit Primärbefall des Gehirns diagnostiziert wurde, erfolgte die weitere Verlegung in die Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Hier fiel John Williams ins Koma. Auch hier schaltete sich das Sozialamt ein, um zu erwirken, daß der Schwerkranke von der Intensiv-Station in eine normale Abteilung verlegt wird – aus Kostengründen. Dies konnte nur durch den Widerstand der verantwortlichen Ärzte verhindert werden. Schließlich kam John Williams in das Pflegeheim Kloster-Meyendorf bei Saalfeld, wo er seinem Leiden erlag.

    Obwohl die MitbewohnerInnen des Kranken immer wieder nach dem Verbleib von John Williams fragen, werden sie nie informiert. Auch als der zuständige Sozialbetreuer den persönlichen Besitz des Verstorbenen im Abschiebelager im 4. Stock des Blockes A wegräumt, verweigert er gegenüber den MitbewohnerInnen die Auskunft über den Verbleib von John Williams.

    Die Beisetzung findet am 3. Mai 2004 in einer Urnengemeinschaftsanlage des Friedhofs Klein Wanzleben statt.

Karawane – Halle 26.6.04;

Radio Corax – Interview mit Rechtsanwalt Ralf Breuer 5.7.04;

Karawane – Halle 9.7.04; ddp 19.7.04;

AK Asyl Göttingen 28.7.04; Karawane – Halle 24.8.04;

Bündnis Bleiberecht Schleswig-Holstein März 2006;

LT Sachsen-Anhalt DS 4/1988; no-racism.net 5.4.11

6. April 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Entgegen der Weisungslage werden Elternpaare und ihre Kinder in Abschiebehaft genommen. Sie sind Roma aus Serbien, und die inhaf-tierten Kinder sind fünf und zehn Jahre alt. Am nächsten Tag um 15 Uhr erfolgt ihre Abschiebung nach Belgrad.

Flüchtlingsrat Berlin

 

6. April 04

 

Berlin. Morgens um 8.00 Uhr erscheinen Beamte im Wohnheim, um eine palästinensische Familie – Eltern und Kinder – festzunehmen und dann abzuschieben. Die 42 Jahre alte Mutter bricht zusammen und muß in ein Krankenhaus transportiert werden. Der 46-jährige Vater kommt mit seinen fünf Kindern (5, 7, 11, 15 und 16 Jahre alt) in das Abschiebegefängnis nach Köpenick. Bei dem Haftprüfungstermin werden die Kinder gebeten, vor der Tür des Verhandlungsraumes zu warten. Der Haftbeschluß bestätigt ausdrücklich nur die Abschiebehaft für den Vater, indirekt allerdings auch für die Kinder, indem dort festgehalten wird: "Hinsichtlich der Überstellung der Kinder des Betr. und der damit verbundenen Gewahrsamsnahme, hat die dafür zuständige Senatsverwaltung für Inneres die Zustimmung zu dieser Maßnahme bereits erteilt."

    Am nächsten Morgen um 6.00 Uhr wird der Vater mit den Kindern nach Wien geflogen, wo die Mutter im November 2003 Asyl beantragt hatte. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestätigt später, daß der Vater der Kinder nie in Österreich gewesen ist.

Flüchtlingsrat Berlin

 

11. April 04

 

In der Abschiebeabteilung der Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel (Santa Fu) erhängt sich ein Albaner.

taz Hamburg 4.5.04; jW 8.5.04

 

13. April 04

 

In der Abschiebeabteilung der Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel (Santa Fu) versucht ein Togoer, sich mit einem Schnitt in die Kehle umzubringen.

taz Hamburg 4.5.04; jW 8.5.04

 

18. April 04

 

Pinneberg in Schleswig-Holstein. Gholam Reza Ghavidel, politischer Flüchtling aus dem Iran, beginnt einen unbefristeten Hungerstreik und näht sich Mund, Augen und Ohren zu. Der 40-Jährige fordert die Anerkennung als politischer Flüchtling und sagt: "Ein Leben als Mensch oder keines."

    Als Kurde hatte er in der iranischen Opposition gegen das islamische Regime gekämpft. Als immer mehr seiner politischen Freunde verhaftet oder ermordet wurden, floh er außer Landes. Seit 1996 lebt er in der BRD, mehrere Asylanträge wurden abgelehnt, Duldungen werden monatlich, wöchentlich oder täglich verlängert. Trotz seiner Isolation als "geduldeter" Flüchtling kämpft Gholam Reza Ghavidel unvermindert gegen das Regime im Iran.

    Als ihn die Polizei auf Weisung der Ausländerbehörde dem iranischen Konsulat vorführte, um Ersatzpapiere für seine Abschiebung zu beschaffen, äußerte er dort seine Meinung über das Regime. Der Konsulatsvertreter forderte die Beamten auf, mit Herrn Ghavidel das Konsulat umgehend zu verlassen. Herr Ghavidel dürfe nie wieder iranischen Boden betreten, und die deutschen Behörden sollten diese Person nicht noch einmal ins Konsulat bringen.

    Gholam Reza Ghavidel beteiligte sich an öffentlichen Aktionen zum "Mykonosprozeß", an massiven Protesten anläßlich des Besuches des iranischen Präsidenten Khatami, und er nahm an dem 31-tägigen Sitzstreik vor der Hamburger Ausländerbehörde statt, um auf die Situation im Iran und auf die deutsche Abschiebepolitik aufmerksam zu machen.

    Nach 24 Streiktagen und massivem öffentlichen Druck lenken die Behörden ein und erklären sich zu einer "Überprüfung" des Falles Gholam Reza Ghavidel bereit.

taz 23.4.04; HA 23.4.04;

indymedia 9.5.04;

Karawane – Sektion Nord

 

19. April 04

 

Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis in Hamburg. Der 31 Jahre alte Abschiebegefangene Orhan B. erhängt sich in seiner Zelle mit den Schnürsenkeln seiner Schuhe, um sich der Auslieferung an die Türkei durch die Hamburger Innenbehörde zu entziehen. Er kommt mit der Diagnose "Hirntod" auf die Intensivstation eines Krankenhauses.

    Es ist dies bereits der zweite Versuch Orhan B.s, sich in der Haft zu töten. (siehe auch: 14. März 04)

    In Vorbereitung seiner Abschiebung waren dem Gefangenen seine Kleidung und seine Schuhe übergeben worden. An seinen Sportschuhen befanden sich die Schnürsenkel, mit denen er sich erhängte.

    Monate später befindet er sich weiterhin im Koma. Sein Rechtsanwalt Mahmut Erdem erhebt Strafanzeigen gegen die Anstaltsleitung und den Psychologen wegen Verletzung der Aufsichtspflicht.

    Orhan B. überlebt seinen Suizidversuch schwer behindert und kommt nicht wieder zu vollem Bewußtsein. Er bleibt im Wachkoma.

taz Hamburg 3.5.04;

 taz Hamburg 4.5.04; jW 8.5.04;

JWB 12.5.04; Ztg für Psychiatrie 5-04;

Antirassistische Initiative Berlin

 

22. April 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 25-jähriger Gefangener schluckt eine größere Menge Duschlotion, um sich zu vergiften. Er ist homosexuell und fürchtet bei seiner Abschiebung nach Kap Verde zumindest Repressalien durch Privatpersonen. Nach Behandlung im Krankenhaus wird er zurück in die Abschiebehaft verlegt – zuerst in eine Einzelzelle und am 26. April wieder auf seine Etage. Seine Abschiebung erfolgt dann Anfang Mai.

Jesuiten-Flüchtlingdienst

 

22. April 04

 

Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt. Ein kurdischer Flüchtling wird gegen Mittag auf dem Marktplatz von einem Deutschen

zuerst rassistisch beleidigt und dann ins Gesicht geschlagen. Erst als ein Freund des Opfers und Passanten eingreifen, läßt der Angreifer von dem Kurden ab.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

28. April 04

 

Königs Wusterhausen in Brandenburg. Drei Flüchtlinge aus Bhutan werden morgens um ein Uhr an einer Tankstelle in der Luckenwalder Straße von zwei Rechtsradikalen getreten und mit Fäusten ins Gesicht geschlagen. Einer der Angegriffenen muß seine Verletzungen zwei Tage lang im Krankenhaus behandeln lassen – alle drei trauen sich wochenlang nicht mehr bei Dunkelheit auf die Straße.

    Im August 2005 wird ein vorbestrafter Täter vom Amtsgericht Königs Wusterhausen zu einem Jahr Haft ohne Bewährung verurteilt.

Opferperspektive;

BM 26.7.05; BM 17.8.05; MAZ 17.8.05;

taz 18.8.05

 

29. April 04

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Flüchtlingsunterkunft von Langenfeld nimmt eine 26-jährige Kurdin eine Überdosis Tabletten, um sich zu töten. Sie wird ohne Bewußtsein von MitbewohnerInnen gefunden und kommt umgehend ins Katholische Krankenhaus auf die Intensiv-Station. Ihr Zustand ist auch nach der körperlichen Genesung so kritisch, daß sie wegen weiterhin akuter Suizidalität mit einer Überweisung in die Fachklinik für Psychiatrie Langenfeld entlassen wird.

    Aufgrund der Situation in der Klinik, die ihre Bedrohungsangst massiv erhöht, weigert sich die Frau, dort zu bleiben. Schließlich gelingt es, sie in einer geschützten Unterkunft für Frauen unterzubringen.

    Hier erst kann sich die gelernte Psychologin, die im Irak selbst in einem Frauenhaus gearbeitet hatte, stabilisieren.

    Der Grund ihrer Flucht aus dem Irak war die Drohung ihres Vaters, sie zu töten, weil sie einen "falschen" Mann geheiratet hat.

    Sie befand sich auf dem Weg zu ihrem im Ausland lebenden Ehemann, als sie am Flughafen Düsseldorf festgenommen wurde. Im Transitbereich des Flughafens stellte sie einen Asylantrag - die Einreise in die BRD wurde jedoch verweigert. Nachdem eine Mitarbeiterin einer Beratungsstelle das Bundesamt über gravierende Übersetzungsfehler bei der ersten Anhörung aufmerksam gemacht hatte, ließ es die Einreise nachträglich zu – und es wurde eine zweite Anhörung durchgeführt.

    Im Mai bekommt sie die Asylanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG ("kleines Asyl"). Die Morddrohungen ihres Vaters werden darin berücksichtigt. Sie ist damit bundesweit die fünfte Frau, die aufgrund familiärer Verfolgung einen Aufenthalt in der BRD bekommt.

Pro Asyl

 

3. Mai 04

 

Ausländerbehörde Berlin am Friedrich-Krause-Ufer 24 – um 10.30 Uhr im Zimmer 124. Der 34 Jahre alte Flüchtling Ibrahim C. aus Sierra Leone, dessen Asylantrag schon vor Jahren abgelehnt worden war, bekommt keine Verlängerung seiner Duldung, sondern eine Grenzübertrittsbescheinigung – also eine Aufforderung zur Ausreise. Nachdem er aussichtslos mit der Sachbearbeiterin diskutiert hat, schüttet er Benzin aus einer 1,5-Liter-Flasche über seinen Kopf und droht sich anzuzünden.

    Kollegen der Sachbearbeiterin rufen die Polizei. Als die Beamten einer Funkstreife und Beamte der Gruppe "AGA" (Spezialeinheit für Ausländerangelegenheiten bei der Kripo) eintreffen, werfen sie dem Verzweifelten eine Decke über den Kopf und bringen ihn zu Boden. Jetzt entzündet der sich heftig wehrende Ibrahim C. sein Feuerzeug und steht augenblicklich in Flammen. Trotz sofort eingeleiteter Rettungsversuche erleidet der Afrikaner schwerste Verbrennungen. Auch neun Polizeibeamte und zwei Mitarbeiter der Behörde werden durch den Brand oder das Pulver der Feuerlöscher verletzt und müssen sich im Krankenhaus behandeln lassen.

    Ibrahim C. kommt in das auf Brandverletzungen spezialisierte Unfallkrankenhaus Marzahn und befindet sich noch Tage später im künstlichen Koma und in Lebensgefahr. Er hat schwerste Gesichtsverletzungen, und Herz- und Kreislauf sind massiv angegriffen.

    Erst nach Monaten intensiver medizinischer Behandlung kann er das Krankenhaus wieder verlassen. Die Abschiebung ist vorerst ausgesetzt.

BeZ 4.5.04; TS 4.5.04; BM 4.5.04;

TS 5.5.04; BeZ 5.5.04; BeZ 6.5.04;

BeZ 14.5.04; BM 24.5.04

 

3. Mai 04

 

Borken in Nordrhein-Westfalen. Um 5.35 Uhr entdeckt eine Passantin Qualm, der durch die Dachziegel eines Hauses an der Königsberger Straße aufsteigt. Die sofort alarmierte Feuerwehr kann den 31 Jahre alten Bewohner nur noch tot bergen. Nach den Ermittlungen ist der Asylbewerber aus Bhutan durch einen Unglücksfall zu Tode gekommen.

Polizei Borken 3.5.04

 

4. Mai 04

 

Asylbewerberunterkunft Gehlberg in Thüringen. Aus Verzweiflung über die unerträglichen Lebensbedingungen in dem isolierten, eingezäunten Lager versucht ein 16-jähriger Syrer, sich durch Tabletteneinnahme das Leben zu nehmen.

    Er kommt zur Erstversorgung bis zum 8. Mai in das Kreiskrankenhaus Arnstadt und wird nach kurzem Aufenthalt in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Erfurt am

11. Mai in der Psychiatrischen Klinik in Hildburghausen aufgenommen. Da er von dort aus nicht die Schule besuchen darf, bricht er die Behandlung nach etwa einer Woche ab und wird nun circa ein halbes Jahr ambulant von einem Psychiater betreut.

    Seine Familie war durch politisches Engagement gegen die Menschenrechtsverletzungen in Syrien in Lebensgefahr geraten. Mit ihrem damals 14-jährigen Sohn flüchteten die Eltern in die BRD und stellten am 3. November 2002 Asylanträge. Sie setzten auch im Exil ihre Aufklärungsarbeit zur politischen Situation in Syrien unvermindert fort.

    Die Familie wurde in das Sammellager Gehlberg eingewiesen, das abgelegen und mit schlechter Verkehrsanbindung mitten im Thüringischen Wald liegt. Die Unterkunft besteht aus neun baufälligen Ferienhütten aus DDR-Zeiten, die für eine Dauerunterbringung in keiner Weise geeignet sind. Eine Hausärztin kommt nur zweimal wöchentlich nach Gehlberg, und eine Fahrt zu den zuständigen Ämtern (Ausländerbehörde, Gesundheitsamt, Sozialamt) oder zu Fachärzten kann bis zu fünf Stunden Zeit kosten.

    Der junge Syrer legte trotz dieser widrigen Bedingungen 2007 das Abitur am Neideck-Gymnasium in Arnstadt ab und ließ sich im Herbst 2007 an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena immatrikulieren – eine Stiftung wollte sein Studium finanzieren. Aber zwei Wochen später stellte man ihm ein Exmatrikulationsschreiben zu, weil die Ausländerbehörde Ilmenau auf der "Residenzpflicht" beharrte und das Studium verbot.

    Am 23. April 2008 war die Klage erfolgreich, und den Eltern sowie dem inzwischen volljährig gewordenem Sohn wurde ein Aufenthaltsrecht zugesprochen. Damit konnten sie das "Isolationslager Gehlberg" endlich verlassen und der Sohn sein Studium aufnehmen.

TLZ 19.12.07;

Appell der Flüchtlinge aus Gehlberg 11.6.08;

FW 16.8.08; The VOICE;

Bericht des Betroffenen

 

6. Mai 04

 

Usingen in Hessen. Die kurdische Familie Koyun soll auf Anordnung der Ausländerbehörde Bad Schwalbach nach zehnjährigem Deutschland-Aufenthalt abgeschoben werden. Zeitgleich erscheinen Beamte – in Begleitung eines Arztes – in der Wohnung der Familie und in der Schule der drei Kinder. Die Kinder werden auf dem Schulweg gewarnt und beschliessen, sich zu verstecken.

    Weil die Usinger Polizisten die 16-jährige Leyla und ihre 12-jährigen Zwillingsbrüder Baran und Berif in der Schule nicht antreffen, werden die Eltern, Ayse und Salih Koyun, ohne ihre Kinder mit dem Lufthansaflug LH 3342 vom Flughafen Frankfurt um 13.55 Uhr nach Istanbul ausgeflogen. Die Kinder würden "nachgeliefert", heißt es bei der Polizei.    Die Kinder bleiben allein zurück und sind sich selbst überlassen. Nicht einmal das Jugendamt wird informiert. Der Sprecher der Ausländerbehörde des Main-Taunus-Kreises, Johannes Latsch: "Nicht die Behörden haben die Familie getrennt, sondern die Eltern. Was sind das für Eltern, die ihre Kinder in einem fremden Land zurücklassen." Und der Leiter der Usinger Polizeistation: "Die Kinder haben sich selbst von den Eltern getrennt." Kinder ohne Eltern abzuschieben sei rechtens, weil es bei diesen "Großfamilien" ein seltener Glücksfall" sei, "daß wir alle antreffen."

    Unter dem Druck der Behörden unterschreiben die Kinder schließlich eine Erklärung, daß sie bereit seien, Deutschland "freiwillig" zu verlassen. Da der Aufenthaltsort der Eltern nach der Abschiebung in die Türkei zunächst nicht bekannt war, schien es fraglich, wie sich die Behörden im Hinblick auf die 'Rückkehr' der Kinder verhalten würden. Es gelingt später, die Kinder zu den Eltern zu bringen.

FR 12.5.04; AGAH Hessen 12.5.04;

FR 13.5.04; FR 14.5.04; FR 17.5.04;

JWB 18.5.04; FR 21.5.04; jW 4.8.04 – Beilage;

Familientrennung durch Abschiebung – Dezember 2004;

Gegenwehr Heft 2/2004

 

7. Mai 04

 

Mecklenburg-Vorpommern. In einem Lastkraftwagen auf dem Gelände des Fährhafens in Rostock entdecken Beamte der Bundespolizei sieben türkische Staatsangehörige, die unter den Folgen von Wasser- und Nahrungsmittelmangel leiden.

BT-Drucksache 16/9

 

10. Mai 04

 

Neu-Anspach in Hessen. Morgens um 6 Uhr erscheint überraschend die Polizei an der Wohnung der Familie Boczdogan. Die kurdische Familie soll abgeschoben werden. Weil Frau Boczdogan wegen einer Operation nicht reisefähig ist und ihr Mann mit dem kleinsten Kind verreist ist, werden die drei jugendlichen Kinder Serife (14), Uphi (17) und Semiha (19) aus ihren Betten geholt und bekommen weder die Erlaubnis, sich zu waschen, noch etwas zu essen. Sie werden in Handschellen abgeführt. Ein Sozialarbeiter steckt ihnen noch 50 Euro zu. Dann werden sie ohne ihre Eltern – nach 10-jährigem Aufenthalt in der BRD – über Frankfurt am Main nach Istanbul abgeschoben.

FR 14.5.04; FR 17.5.04; JWB 18.5.04;

Initiativausschuss "Ausländische Mitbürger in Hessen" 19.5.04

FR 21.5.04; Usinger Anzeiger 5.6.04;

Familientrennung durch Abschiebung – Dezember 2004;

 

10. Mai 04

 

Erfurt in Thüringen. Julia Kowaltschuk aus Weißrußland schluckt eine Überdosis Psychopharmaka, legt sich auf ihr Bett in der Gemeinschaftsunterkunft und stirbt. Sie ist 30 Jahre alt.

    Nach einem Selbsttötungsversuch im Jahre 2003 hatte sie sich in psychologische Behandlung begeben und hatte offensichtlich die ihr dort in kleinen Mengen verordneten Medikamente angesammelt, um sich jetzt damit zu töten.

(siehe auch: 24. April 03)

    Julia Kowaltschuk war mit ihrer älteren Schwester Jelena und deren 11-jährigem Sohn Sawa vor Bedrohung und Verfolgung durch organisierte kriminelle Strukturen in die BRD geflohen. Vor allem sie war die Bezugsperson von Sawa, der nun durch ihren Suizid schwer traumatisiert wird. Er kommt in psychotherapeutische Behandlung.

FRat Thüringen

 

10. Mai 04

 

Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Ein 24 Jahre alter Flüchtling aus Togo wird am Bahnhof von einem deutschen Jugendlichen rassistisch beschimpft und danach geschlagen.

LOBBI

 

11. Mai 04

 

Bei einem Brand in der Flüchtlingsunterkunft im hessischen Viernheim erleiden drei Erwachsene und zwei Kinder leichte Rauchvergiftungen, als sie sich durch den dicken Rauch in den Hof oder auf das Flachdach des angrenzenden Hauses flüchten. Sie werden vorsorglich in Krankenhäuser eingeliefert.

    Ein kombiniertes Waschmaschinen- und Trockengerät im Erdgeschoßflur war – wahrscheinlich aufgrund eines technischen Defektes – in Brand geraten.

Polizei Heppenheim 11.5.04;

Heppenheimer Ztg 12.5.04

 

11. Mai 04

 

Abschiebehaft in Rottenburg in Baden-Württemberg. Der 41 Jahre alte Mohammed Seker, abgelehnter Asylbewerber und Kurde aus dem Libanon, schluckt 15 Tabletten eines Psychopharmakons, um sich zu töten. Er kommt in die psychiatrische Abteilung des Gefängniskrankenhauses Hohenasperg bei Ludwigsburg.

    Der Mann, der vor 15 Jahren in die BRD gekommen war, hatte kurz davor von seinem Anwalt erfahren, daß Reisepapiere in die Türkei für ihn ausgestellt worden waren. Mohammed Seker war seit der Inhaftierung stark depressiv und nahm seit dem 1. Mai an einem kollektiven Hungerstreik von 15 weiteren Gefangenen teil.

    Am 21. Mai erfolgt seine Abschiebung in die Türkei in Begleitung von BGS-Beamten und einem Arzt. Vom Flughafen Stuttgart gelingt es ihm noch, einen Freund anzurufen, um sich zu verabschieden. Seither gibt es keinen Kontakt mehr.

KMii-Tübingen 11.5.04

 

13. Mai 04

 

Mainkofen in Niederbayern. Als Beamte der Polizeiinspektion einen 26 Jahre alten Nigerianer zur Abschiebung abholen wollen, sitzt der Mann auf der Straße vor der Gemeinschaftsunterkunft in der Alten Poststraße und droht, sich mit einem Messer umzubringen. Den Polizisten gelingt es, ihn zu überwältigen und festzunehmen.

    Sie bringen den Nigerianer jedoch nicht – wie vorgese-hen – in die Justizvollzugsanstalt in der Theresienstraße, sondern aufgrund der bestehenden Suizid-Gefahr ins Bezirkskrankenhaus Mainkofen.

PNP 14.5.04

 

14. Mai 04

 

Petershagen-Lahde im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Polnische Binnenschiffer entladen ihr Schiff am Lagerhaus Raiffeisen-Landbund an der Fährstraße in Höhe der Brücke "An der Koppel", als sie einen in der Weser schwimmenden Körper entdecken. Nach der Bergung des Toten durch die Feuerwehr stellt sich heraus, daß es sich um einen 26 Jahre alten Asylbewerber aus Weißrußland handelt, der in Petershagen wohnte. Hinweise für ein Fremdverschulden am Tode des Mannes werden nicht gefunden.

Polizei Minden; MT 18.5.04

 

14. Mai 04

 

Quedlinburg in Sachsen-Anhalt. Eine 33 Jahre alte Irakerin ist mit ihrem kleinen Sohn auf dem Heimweg vom Einkaufen, als sich ihr eine 5-köpfige Gruppe rechter Jugendlicher in den Weg stellt und sie rassistisch beschimpft. In Anspielung auf ihr Kopftuch brüllt einer der Jugendlichen: "Mach den Kopf frei, hier ist Deutschland". Dann holt er mit einer Bierflasche zum Schlag aus und verfehlt sie knapp.

    PassantInnen alarmieren die Rettungsleitstelle in Thale. Es stellt sich heraus, daß der Haupttäter ein stadtbekannter und wegen Körperverletzung mehrmals vorbestrafter,

16 Jahre alter Rechtsextremist ist.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

Mitte Mai 04

 

Bockhorn in Niedersachsen. Ein Asylbewerber attackiert eine Gemeindemitarbeiterin in ihrem Büro. Auch ein hinzukommender Kollege der Frau wird von dem Flüchtling angegriffen. Beim Eintreffen der gerufenen Polizei versucht er, seinen Paß aufzuessen.

    Die Polizisten überwinden den Flüchtling und nehmen ihn in Gewahrsam. Im Gegensatz zu ihm sind die attackierten Gemeindeangestellten nach der Rangelei unverletzt.

NWZ 19.5.04

 

16. Mai 04

 

Frankfurt an der Oder. In einem Linienbus beschimpfen zwei deutsche Jugendliche einen 17 Jahre alten palästinensischen Asylbewerber und einen 25-jährigen polnischen Studenten. Dann schlägt einer der Angreifer dem Polen mit der flachen Hand ins Gesicht.

    Der Fahrer des Busses informiert die Polizei, so daß die 17 und 20 Jahre alten Frankfurter kurz nach der Tat festgenommen werden können.

e110 17.5.04

 

16. Mai 04

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). Die ukrainische Gefangene Larissa X. hat gerade einige Papierteller gestapelt, als eine Bewacherin ihr diese wegnimmt und wegwirft. Als Larissa sich dagegen wehren will, wird sie von der Bewacherin gegen eine Wand geschleudert. Sie trägt Quetschungen und Abschürfungen an Fingern und Armen davon.

    Larissa X. beschwert sich schriftlich bei dem Leiter des Gefängnisses über die Bewacherin.

Alliance of Struggle

 

17. Mai 04

 

Auf dem deutschen Frachter "Natalie Bolten" werden bei Reinigungsarbeiten im Laderaum Nr. 4 fünf tote Afrikaner gefunden. Es wird angenommen, daß die Männer, die vermutlich in einem Hafen der Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) an Bord kamen, durch Sauerstoffmangel oder durch Ausdünstungen der geladenen frischen Baumstämme erstickt sind. In Las Palmas, wo der Frachter drei Tage später anlegt, sollen Gerichtsmediziner die Todesursache feststellen.

    Ein Sprecher der deutschen Reederei August Bolten Wm. Millers Nachfolger GmbH & Co. KG, deren Schiff unter liberianischer Flagge fährt, antwortet auf Nachfrage: "Wir sagen dazu nichts."

HA 22.5.04;

IMO 30.9.04;

elmundo.es; marmar.com

 

18. Mai 04

 

Nordrhein-Westfalen. Die kurdischen Eheleute Mehmet Ali und Serife Azun und ihre Kinder Ramazan, Abdul-Rahman, Özgür und Naiin aus Lippstadt werden beim türkischen Konsulat in Essen zwangsvorgeführt. Sie werden begleitet von drei Mitarbeitern der Ausländerbehörde, zwei Fahrern, einem Lehrer der Sonderschule Lippstadt und dem Hausmeister des Flüchtlingsheimes.

    Nach dem Einlaß um 15 Uhr darf der Hausmeister bei der Familie bleiben, die anderen Begleiter werden in einen separaten Raum geführt. In einem Raum im ersten Stock des Gebäudes erfolgen durch zwei Konsulatsangehörige Sicherheitskontrollen bei den Flüchtlingen.

    Die beiden Beamten erkennen Herrn Azun offensichtlich und der größere, der eine Waffe trägt, fragt Herrn Azun in aggressivem und lautem Ton und in deutscher Sprache, ob er Türkisch beherrsche. Herr Azun antwortet, daß er es zwar könne, seine Frau und seine Kinder jedoch nicht.

    Als der Wachmann Frau Azun mit den Worten "gelim amina koydogum cocu lari" (deutsch: Kommt Ihr in die Fotze gefickten Kinder) beleidigt, bittet Herr Azun ihn um Zurückhaltung. Doch der Wachmann meint, er wisse, daß er eine Schwuchtel und ein PKK-Terrorist sei.

    Dann schreit er die Frau an, sie solle einen Kaugummi aus dem Mund nehmen. Da sie gar keinen Kaugummi kaut und deshalb dem Befehl nicht nachkommt, beginnt er, die Frau zu würgen. Herr Azun geht dazwischen und macht darauf aufmerksam, daß sie sich in Deutschland befinden. "Du Hurensohn, hier ist die Türkei und nicht Deutschland" bekommt er zur Antwort.

    Der zweite anwesende Wachmann nimmt jetzt den Sohn in den Würgegriff, um diesem einen Kaugummi aus dem Mund zu nehmen. Herr Azun wehrt sich verbal, bis der größere Konsulatsangestellte zur Waffe greift und der zweite Wachmann mit dem Gummiknüppel auf ihn eindrischt und ihn mit einem Elektroschockgerät traktiert. Herr Azun wird regelrecht zusammengeschlagen. Dann wird die Familie aus dem Konsulat rausgeschmissen. Der gerufenen Polizei teilen die Konsulatsangehörigen mit, daß sie wüßten, daß die Azuns PKK'ler seien.

    Der von dem Wachmann gewürgte Sohn befindet sich auch eine Woche später noch in medizinischer Behandlung.

    Diese Ereignisse werden Gegenstand eines Klageverfahrens beim Verwaltungsgericht Arnsberg: Die Klage wird am 24. Januar 2005 mit der Begründung abgelehnt, daß eine Verfolgung der Familie Azun im Falle einer Rückkehr "unwahrscheinlich" sei.

    Als ein türkischer Rechtsanwalt Herrn Azun einen von der 4. Schwurgerichtskammer Diyarbakir am 21. April 2005 ausgestellten Haftbefehl wegen angeblicher Teilnahme an einer PKK-Aktion am 12. Oktober 1992 in Seyhan zuschickt, stellt dieser einen neuerlichen Asylantrag. Dieser Antrag wird vom Bundesamt mit der Begründung abgelehnt, "daß die Anzeigen fingiert sind".
(siehe auch: 20. September 05)

FRat NieSa 26.5.04;

FRat NieSa September 05

 

18. Mai 04

 

Bundesland Baden-Württemberg. Ein 16 Jahre alter Flüchtling aus dem Irak soll in eine auswärtige Unterkunft zwangsverlegt werden. Zu diesem Zwecke betreten morgens um 8.00 Uhr zwei Mitarbeiter des Sozialamtes und zwei Angestellte des städtischen Vollzugsdienstes mit ihrem Diensthund sein Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft im Gewann Bopseräcker in Stuttgart-Hoffeld.

    Der Jugendliche zieht sich zunächst an, hat dann plötzlich ein Teppichmesser in der Hand und sticht damit nach dem Vollzugsbeamten. Dieser zieht seine Waffe und schießt dreimal gezielt auf die Beine des Angreifers.

    Der Jugendliche wird überwältigt und kommt mit einem Oberschenkeldurchschuß ins Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft beantragt einen Haftbefehl gegen ihn.

Polizei Hoffeld 18.5.04; ap 18.5.04;

Yahoo!Nachrichten 18.5.04;

FR 19.5.04; Eßlinger Ztg 21.5.04

 

19. Mai 04

 

Ulm in Baden-Württemberg. Die Kosovo-Albanerin Frau Gashi, die mit ihren Kindern vor 13 Jahren zunächst in die BRD geflohen war, soll abgeschoben werden. Die Familie hatte von 1997 bis 2003 in England gelebt und war im November 2003 nach Deutschland abgeschoben worden.

    Ihre 16-jährige Tochter Elvira befindet sich wegen Suizidalität in stationärer Behandlung, und auch Frau Gashi selbst ist suizidgefährdet. Die Entscheidung über einen Eilantrag des Anwalts wird nicht abgewartet. Frau Gashi, ihre Töchter Albina und Adelina (13 und 11 Jahre alt) und ihr fünfjähriger Sohn Egzon werden ins Flugzeug gesetzt und abgeschoben. Die psychisch kranke Elvira und Herr Gashi bleiben zurück.

    Das Gericht erklärt dann die Abschiebung für rechtswidrig und begründet seine Entscheidung mit dem grundsätzlich verbürgten Schutz von Ehe und Familie sowie den ärztlichen Attesten, aus denen hervorgehe, daß die kranke Tochter dringend auf die Nähe beider Eltern angewiesen sei. Zudem sei die Reisefähigkeit der suizidgefährdeten Frau nicht gegeben.

    Im Juni 2004 wird Frau Gashi und ihren Kindern tatsächlich die Wiedereinreise in die BRD gewährt. Elvira ist seit dem 11. November 2004 wieder in ambulanter psychiatrischer Behandlung.

SWP 22.5.40; AK Asyl BaWü 28.5.04;  AK Asyl BaWü 2.6.04;

Familientrennung durch Abschiebung – Dezember 2004;

Untertürkheimer Ztg 25.6.04;

Christoph Käss – Rechtsanwalt

 

24. Mai 04

 

Schönau am Königssee in Bayern. In der Flüchtlingsunterkunft entsteht am frühen Nachmittag ein Feuer, durch das ein Bewohner verletzt wird. Das Feuer kann schnell gelöscht werden – Brandstiftung wird nicht ausgeschlossen.

    In dem Heim leben rund 120 Flüchtlinge, von denen viele aus dem Irak sind.

NP (Coburg) 25.5.04

 

25. Mai 04

 

Am frühen Morgen umstellen mehrere hundert Polizeibeamte 16 Flüchtlingsheime in Köln, um ca. 40 Personen abzuholen und nach Jugoslawien abzuschieben. Von den 25 Personen, die angetroffen werden, werden schließlich 16 Menschen direkt nach Belgrad abgeschoben.

    In mindestens zwei Fällen werden dadurch Familien auseinandergerissen. Einmal werden Mutter und Sohn abgeschoben – und der Mann kann in der Kulmbacher Straße bleiben. Bei einer anderen Familie aus der Causemannstraße wird der Mann abgeschoben und läßt seine 16-jährige Frau mit drei Kleinkindern zurück.

    Auch ein schwerkranker 26-jähriger Rom, der nur noch eine schlecht funktionierende Niere hat, wird nach Serbien abgeschoben, wo er in einem maroden Gesundheitssystem nur mit hohen Eurozahlungen Hilfe erkaufen könnte, wenn er denn Geld hätte.

Rom e.V. 26.5.04;

taz 27.5.04; jW 28.5.04;

jW 5.6.04; taz 19.6.04; kmii 7.7.04

 

25. Mai 04

 

Massenfestnahmen in Kölner Flüchtlingsheimen (siehe vorherigen Textblock). Auch Familie S. soll abgeschoben werden. Die Beamten verlangen von Herrn S. Unterschriften unter Erklärungen, daß er mit der Abschiebung einverstanden ist und daß ihre persönliche Habe dem Roten Kreuz übereignet werden kann. Herr S. unterschreibt keines der Papiere und legt Atteste von dem behandelnden Nervenarzt seiner Frau und seines 15-jährigen Sohnes vor. Die Beamten werfen die Unterlagen demonstrativ von sich. Dann fordern sie Herrn S. auf, je Person 20 kg Sachen einzupacken. Seine beiden Söhne, A. und der 17 Jahre alte I., helfen ihm. Frau S., die seit langem in psychiatrischer Behandlung ist, befindet sich im Nebenraum und wird von einer Polizistin bewacht. Plötzlich hört Herr S. die Stimme seiner Frau, die "Nein, nein, nein" ruft.

    Sie springt aus einem Fenster im zweiten Stock. Als ein Polizist im Beisein ihrer Kinder sagt: "Das hat sie gut gemacht", springt auch ihr Sohn I.

    Herr S., der schauen will, was passiert ist, wird von 4 – 5 Beamten brutal aufs Bett gedrückt und mit Kabelbindern fixiert. Sein Sohn A., der ebenfalls in verzweifelter Angst um seine Mutter und seinen Bruder ist und zum Fenster will, wird ebenfalls mit Kabelbindern gefesselt und angebrüllt.

    Frau S. kommt schwer verletzt auf die Intensiv-Station eines Krankenhauses. Ihr Sohn I. wird nach seinem Sturz aus dem Fenster von einem Arzt untersucht und dann in Handschellen gelegt. Diese sind so eng gestellt, daß ihm noch Tage später die Handgelenke schmerzen.

    Die Kinder werden von den Beamten weggebracht, aber nach zwei, drei Stunden wieder freigelassen.

Rom e.V. 26.5.04;

taz 27.5.04; jW 28.5.04;

jW 5.6.04; taz 19.6.04; kmii 7.7.04

 

25. Mai 04

 

JVA-Fuhlsbüttel – Hamburg. Spät abends 'überfallen' viele Polizisten eine Zelle, in der sich Abschiebegefangene befinden. Sämtliche Gefangene werden aus den Betten auf den

oden gerissen und gefesselt. Mindestens eine Person wird dabei an der Hand verletzt. Dann suchen sich die Beamten anhand von Fotos vier togoische Flüchtlinge heraus und nehmen sie zur Abschiebung mit.

    Kouassi B. hatte ein paar Tage zuvor eine Botschaftsvorführung, bei der die Ausstellung eines Laissez-Passer verweigert wurde. Simon K. hatte sich bereits einmal erfolgreich gegen die Abschiebung zur Wehr gesetzt und kam daraufhin in Abschiebehaft, zunächst nach Hannover-Lan

genhagen und später nach Hamburg. Er ist HIV infiziert, und noch am Vortag wurden ihm weitere Blut-Untersuchungen angekündigt, um seinen Gesundheitszustand und seine Reisefähigkeit zu überprüfen. Nicht einmal sein Anwalt erfährt von seiner Abschiebung.

FRat HH 30.5.04;

Migrationssozialberatung Norderstedt;

DAMID 5/2004

 

25. Mai 04

 

Am späten Abend verwandelt sich der BGS- und Charterflugbereich des Hamburger Flughafens Fuhlsbüttel in eine Polizeifestung. Weit über ein hundert PolizeibeamtInnen sind im Einsatz: Patrouillen mit Hunden, BeamtInnen behelmt und maskiert. Bündel von Plastikfesseln und die neuen Modelle der Abschiebehelme werden am Gefangenentrakt ausgeladen.

    Hier wird der deutsche Part an der ersten europaweit organisierten Sammelabschiebung vorbereitet. Dies geschieht unter Umgehung jeder Art von Öffentlichkeit und der Streuung von Falschinformationen im Vorfeld. Polizei-, Ausländer- und Innenbehörden der Bundesländer Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Berlin, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg sind daran beteiligt.

    Um 0.30 Uhr – eine halbe Stunde nach Beginn des Nachtflugverbotes – landet ein Flugzeug der niederländischen Airline KLM. Ab 1.00 Uhr halten in kurzen Abständen etwa 14 Polizeitransporter vor dem Gefangenentrakt. Die Gefangenen werden gefesselt und mindestens einer mit einem Helm in die einzelnen Wagen geführt, die dann Richtung Rollfeld weiterfahren. Um 2.00 Uhr startet die Maschine.

    Neben vier togoischen Flüchtlingen aus Hamburg befinden sich mindestens ein Togoer aus Sachsen-Anhalt, ein Flüchtling aus Kamerun aus Karlsruhe und zwei Togoer aus Berlin in dem Flugzeug. Für Salem P., der mit einem Mitgefangenen aus dem Berliner Abschiebegefängnis nach Hamburg gebracht worden ist, ist es jetzt der vierte Versuch ihn abzuschieben. Bei dem vorhergehenden Abschiebeversuch war er von der Treppe gestürzt und hatte sich am Fuß verletzt.

    Mehrere Gefangene haben sich bereits vor dem Flug ihrer Abschiebung widersetzt – mindestens drei waren deshalb in Polizeihaft mißhandelt worden.

    Die Maschine landet auf dem Amsterdamer Flughafen Schipol, und hier befinden sich schon togoische und kameruner Gefangene aus den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich und Belgien. In einer Großcharter-Maschine werden dann schließlich 44 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben: 26 nach Kamerun und 18 nach Togo.

    Nach ihrer Ankunft in Lomé werden die togoischen Flüchtlinge noch auf dem Flughafen festgenommen, intensiv verhört und massiv bedroht. Dann kommen sie vorerst frei. Mindestens einer der Abgeschobenen nach Kamerun wird nach seiner Ankunft verhaftet – seither fehlt von ihm jede Spur.

    Die Europäische Kommission hatte am 22. Januar 2004 für "gemeinsame Abschiebungen im EU-Verbund" für die Jahre 2005 und 2006 eine Summe von 30 Mio. Euro bereitgestellt, die u.a. für die logistischen Vorbereitungen und für die Flüge selbst bestimmt ist.

jW 13.5.04; ND 13.5.04

Karawane – Sektion Nord;

Koordinationskreis Hamburg; FRat HH 26.5.04;

taz 26.5.04; FR 27.5.04; taz 27.5.04; jW 28.5.04

 

26. Mai 04

 

Stuttgart-Hedelfingen in Baden-Württemberg. Um 2.30 Uhr dringen mehrere Polizisten in die Wohnung der Roma-Familie Barjamovic/Stojanovic in der Rohrackerstraße 10 ein und holen die hochschwangere 18-jährige Marziella Barjamovic und den eineinhalbjährigen Sohn George zur Abschiebung über den Flughafen Söllingen bei Baden-Baden nach Belgrad ab. Da sie aus Serbien ist, ihr Mann Boban Stojanovic jedoch aus dem Kosovo in die BRD geflohen war, kann die Familie – entsprechend der restriktiven Gesetze – getrennt werden. Die Eheleute, die nach Roma-Ritus seit drei Jahren verheiratet sind, hatten lange Zeit versucht, die notwendigen Papiere für das Standesamt aus Serbien zu bekommen, was ihnen nicht gelungen war.

    Marziella Barjamovic und der kleine George leiden an Hepatitis. Als sie am 5. August in Belgrad einen zweiten Sohn zur Welt bringt, kann sie ihn nicht stillen, um ihn nicht anzustecken. Sie muß die Babymilch kaufen, bekommt aber keinerlei Unterstützung, weder für die Milch noch für Medikamente noch für die Impfung des Neugeborenen.

AK Asyl Stuttgart 26.5.04; CaZ 27.5.04;

AK-INFO AK-Asyl BaWü Juni 2004;

CaZ 31.8.04

 

27. Mai 04

 

Münster in Nordrhein-Westfalen. In dem Wohnheim in der Scheibenstraße zündet ein 24 Jahre alter libanesischer Flüchtling sein Zimmer an. Durch die durch die Hitzeentwicklung platzenden Glasscheiben erwachen die MitbewohnerInnen und versuchen sofort, den Brand zu löschen. Der Libanese muß erst überwältigt werden, weil er immer wieder versucht, die Löscharbeiten zu behindern.

    "Ich wollte alles zerstören und auch selbst mit verbrennen", sagt er im März 2005 in einem Sicherungsverfahren vor dem Landgericht Münster aus. Das Gericht veranlaßt die Einweisung des seit Jahren an einer Psychose leidendenden, in der BRD ohne gültige Papiere lebenden Mannes in die Psychiatrie nach Eickelborn.

MüZ 9.3.05

 

28. Mai 04

 

Schermbeck in Nordrhein-Westfalen. Kurz nach Mitternacht müssen drei Löschzüge ausrücken, um einen Zimmerbrand im Flüchtlingsheim zu bekämpfen. Ein Teil der aus dem Schlaf gerissenen BewohnerInnen wird über Leitern aus ihren Zimmern ins Freie gebracht. Ein 25 Jahre alter Mann und ein sechs Monate altes Baby ziehen sich Rauchvergiftungen zu. Das Baby kommt vorsorglich ins Krankenhaus.

    Der Brand kann schnell gelöscht werden, so daß die 29 BewohnerInnen um 2.00 Uhr wieder in ihre Zimmer gehen können.

    Der irakische Bewohner, in dessen Zimmer das Feuer entstanden war, wird festgenommen. Er hatte versucht zu fliehen, als die Polizei eintraf.

NRZ 29.5.04

 

29. Mai 04

 

Landkreis Löbau-Zittau im Bundesland Sachsen. Am Abend werden zwei Bewohner aus dem Flüchtlingsheim Oppach, ein 27 Jahre alter Afghane und ein 21-jähriger Flüchtling aus Montenegro, von fünf Rechtsextremisten mit Bierflaschen beworfen und mit einem Messer bedroht. Als sie flüchten, versperren ihnen andere Rechte den Weg. Trotzdem gelingt ihnen die Flucht, und die Angreifer werfen ihnen die Bierflaschen hinterher.

AMAL Görlitz

 

Mai 04

 

Ein togoischer Flüchtling wird nach abgelehntem Asylantrag und nach einigen Wochen Abschiebehaft nach Togo abgeschoben. Am Flughafen von Lomé übergeben die begleitenden deutschen Beamten ihn direkt an das Militär. Bekannten, die über seine Ankunft informiert worden waren, gelingt es noch in der Nacht, ihn mit einer größeren Summe freizukaufen. Der Mann taucht unter und hält sich fortan versteckt.

Antirassistische Initiative Berlin

 

1. Juni 04

 

Bodensee im Landkreis Göttingen in Niedersachsen. Bei einem Brand in der Küche des Obergeschosses in einem von Flüchtlingen bewohnten Zweifamilienhaus wird ein Bewohner leicht verletzt. 15 weitere Bewohner können sich selbständig ins Freie retten. Der Brandort wird beschlagnahmt – die Kriminalpolizei ermittelt.

Polizei Göttingen 1.6.04

 

2. Juni 04

 

Im brandenburgischen Cottbus werden sieben Flüchtlinge aus einer Gruppe Nazis heraus angepöbelt. Als sie weitergehen, werden sie zusammengeschlagen. Die Polizei nimmt die Täter kurzfristig fest.

inforiots.de

 

4. Juni 04

 

Leutkirch in Baden-Württemberg. Der 31 Jahre alte rumänische Flüchtling Jozsef S. wird morgens um 2 Uhr durch lautes Klingeln an der Tür aus dem Schlaf gerissen. Als seine Freundin öffnet, drängen fünf uniformierte Polizisten mit der Begründung, daß sie eine Abschiebung vollziehen müssen, in die Wohnung. In ihrer Begleitung befindet sich ein Arzt. Ihm werden die verschiedenen Atteste zur psychischen Traumatisierung des Herrn S. vorgelegt, und er spricht sich daraufhin gegen eine Durchsetzung der Abschiebung aus. Während der Arzt, die Freundin und zwei Beamte im Flur der Wohnung warten, betreten drei Beamte das Zimmer, in dem sich Herr S. befindet. Der psychisch traumatisierte Jozsef S. gerät in Panik, als die Beamten beginnen, ihm Handschellen anzulegen. Als er sich wehrt, werden die Beamten beleidigend und bezeichnen ihn unter anderem als "Arsch". Sie werfen ihn zu Boden, ein Polizist kniet sich auf seinen Rücken, zieht ihn an den Haaren und schlägt seinen Kopf auf den Boden. Kurz danach schlägt er den Kopf gegen einen Glastisch, so daß die Haut an der Stirn von Herrn S. platzt. Plötzlich schlagen die Beamten mit einem langen besenstielartigen Stock auf den Flüchtling ein und stoßen mit dessen Ende mehrmals kräftig in seinen Körper. Sie versuchen, das noch nicht gefesselte Handgelenk in die Handschelle zu bekommen. Erst Faustschläge, die Herrn S. die Luft nehmen, zwingen ihn seine Hand freizugeben, so daß die Handschelle geschlossen werden kann. Jetzt werden seine Beine mit einer Schnur gebunden und Jozsef S. wird, an dem Stock "aufgehängt wie ein Hund" und laut um Hilfe schreiend, nur mit Unterwäsche bekleidet, zum Polizeiauto getragen. Trotz der Hilferufe sieht der anwesende Arzt sich nicht genötigt einzugreifen.

    Nur mit einer Decke geschützt kommt Jozsef S. zum Revier, wird hier von einem Arzt mit Medikamenten ruhig gestellt und in eine Gefangenenzelle gezerrt.

    Immer noch in Handschellen und Unterwäsche erfolgt später sein Transport zur Polizei nach Reutlingen. Hier werden ihm die Handschellen abgenommen und die zahlreichen Spuren der Mißhandlungen registriert und fotografiert.

    Um 5 Uhr wird Herr S. – in seiner Begleitung befindet sich ein Arzt – zum Flughafen Frankfurt gefahren. Bei einer Visitation bemerkt ein BGS-Beamter die vielen Mißhandlungsverletzungen und fertigt erneut Fotografien an. Aufgrund der Verletzungen an den Handgelenken wird er statt mit Handschellen jetzt mit Klebeband fixiert.

    Durch die unverzügliche Intervention des Rechtsanwaltes von Herrn S. gelingt es, die Abschiebung – buchstäblich in letzter Minute – zu stoppen. Herr S. wird nach Reutlingen zurückgebracht und trifft gegen Abend wieder bei seiner Freundin in Leutkirch ein.

    Am nächsten Tag attestiert ein Arzt in der Notfallsprechstunde folgende Verletzungen bei Herrn S.: Platzwunden an der rechten Stirn (3 cm) und rechten Halsseite (1 cm), Blutergüsse vor dem linken Gehörgang (3 cm), am Kinn, am linken Oberarm (8 cm), am rechten Oberarm (7 cm), am linken Rücken (7 cm und 3 cm) und an der linken Hüftaußenseite (5 cm), eine Stockschlagschürfwunde am linken Rücken (20 cm), Handschellen-Schürfwunden an beiden Handgelenken und Schürfwunden an beiden Knien.

    Am 7. Juni wird Herr S. aufgrund seiner Suizidalität in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie "Die Weissenau" in Ulm stationär aufgenommen. In einem Gutachten der Klinik heißt es, daß die Umstände des Abschiebungsversuches Herrn S. retraumatisiert und seine Erinnerung an Folter und Flucht wieder vergegenwärtigt haben. Nach sechs Wochen stationärer Behandlung wird seine Therapie ambulant fortgesetzt. Ende November 2004 begibt er sich erneut in stationäre Behandlung in Wangen.

    Jozsef S. hatte 1995 in Rumänien wegen Spionageverdachts im Gefängnis gesessen und war dort über mehrere Monate schwer gefoltert worden. Neben Schlägen und Tritten hatte er Elektroschocks bis zur Bewußtlosigkeit erleiden müssen und war mit kaltem und heißem Wasser übergossen worden. Auch Drogen wurden eingesetzt, um von ihm Informationen zu bekommen. Um aus der Haft herauszukommen, erklärte er sich bereit, einen staatlichen Mordauftrag auszuführen.

    Er wurde entlassen, flüchtete umgehend in die BRD und stellte hier einen Asylantrag. Aufgrund seiner großen Verfolgungsängste und der mehrmals erfolgten Abschiebeankündigungen hatte Jozsef S. mehrere Suizidversuche unternommen. (siehe hierzu auch: Juni 03)

exilio – Hilfe für Flüchtlinge und Folterüberlebende Lindau

 

6. Juni 04

 

In der Nähe des Oderdammes bei Ratzdorf an der brandenburgisch-polnischen Grenze wird abends eine im Wasser treibende Leiche geborgen.

    Es handelt sich um eine 45 Jahre alte Ukrainerin, die offenbar beim "unerlaubten" Grenzübergang ertrunken ist. Aufgrund der winterlichen Bekleidung wird angenommen, daß dies bereits vor Monaten geschah.

OS 13.6.04; BT-Drucksache 16/9

 

9. Juni 04

 

Berlin – Stadtteil Zehlendorf. Der vierjährige Artiom K., der mit seiner ukrainischen Mutter Irina und seinem zweijährigen Bruder in einem Heim des Christlichen Jugenddorfwerks im Dahlemer Weg 38 wohnt, klettert abends durch den löchrigen Zaun des Geländes. Er geht weiter über das völlig ungesicherte Gütergleis einer Privatbahn und wird dann – wenige Meter weiter – auf der stark befahrenen Wannseebahn von einem Zug erfaßt und tödlich verletzt.

    Der marode Zaun, der das Wohnheim umgibt, wird nach Angaben der Heimleitung auch nachts regelmäßig vom Hausmeister kontrolliert. Der Bezirk fühlt sich für den Zaun nicht zuständig. "Dazu haben wir auch kein Geld", so Stadtrat Wöpke.

BM 11.6.04; BeZ 11.6.04; TS 12.6.04

 

13. Juni 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Am frühen Sonntagmorgen um 1.15 Uhr entdeckt ein Wachmann im Hof des Gefängnisses einen vor Schmerzen stöhnenden Mann. Der 18-jährige Gefangene war beim Versuch, sich aus dem sechsten Stock abzuseilen, aus ca. 15 Metern Höhe abgestürzt. Kurz danach finden die Wachleute einen 32 Jahre alten Chinesen, der sich am Innenzaun verfangen hat. Es war den beiden Männern gelungen, die Außengitter ihrer Zelle zu durchtrennen.

    Während der Chinese nach kurzer Behandlung im Krankenhaus wieder in die Haftanstalt zurückkommt, müssen Rippenbrüche und Prellungen bei dem 18-jährigen Mitgefangenen stationär behandelt werden.

sternshortnews.de 13.6.04;

BeZ 14.6.04

 

17. Juni 04

 

Lichtenfels in Bayern. Um 14 Uhr stellt der Hausmeister der Flüchtlingsunterkunft am Schloßberg einen Brand im Keller fest und alarmiert umgehend die Feuerwehr. Den knapp 30 Feuerwehrleuten gelingt es schnell, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen, so daß keiner der BewohnerInnen in dem mehrstöckigen Gebäude zu Schaden kommt. Es entsteht ein Schaden von 10 000 Euro.

    Die Ermittlungen der Kriminalpolizei Coburg, die zunächst eine vorsätzliche Brandstiftung in dem unverschlossenen Keller vermuten, gehen negativ aus. Da der Raum ab und zu von spielenden Kindern genutzt wurde, bleibt der Verdacht, daß diese mit Feuer gespielt haben könnten, bestehen.

Polizei Coburg;

NP (Coburg) 18.6.04

 

20. Juni 04

 

Ludwigsfelde in Brandenburg. In einer Bar wird am frühen Morgen ein 45 Jahre alter Flüchtling aus Liberia von einem deutschen Mann beschimpft: "Nur Weiße kommen hier rein." Als der Liberianer sich um 7.50 Uhr in der Straße der Jugend befindet, wird er wieder angepöbelt, dann von zwei Männern geschlagen, getreten und gewürgt.

    Er muß seine Verletzungen im Krankenhaus behandeln lassen.

Opferperspektive 20.6.04

 

22. Juni 04

 

Bei einem Brand in der Flüchtlingsunterkunft im hessischen Heppenheim erleiden drei Erwachsene und zwei Kinder leichte Verletzungen. Als Ursache wird ein technischer Defekt vermutet.

FNP 25.6.04

 

22. Juni 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. 28 Tage nach Beginn seines Hungerstreiks wird der 23 Jahre alte Tamile Paramesvaran Sivabalasundaram in die Krankenstation der JVA Moabit gebracht. Er wiegt noch 48 Kilogramm und äußert sich gegenüber dem Mitglied des Gefängnisbeirates, Dr. Lothar Grunau, daß er lieber sterben wolle als nach Sri Lanka abgeschoben zu werden. Magensonde und Infusionen lehnt er ab.

    Nachdem Dr. Grunau einen "ärztlichen (und psychologischen) Bericht" an Innensenator Körting und dessen Staatssekretär geschickt und den schlechten Gesundheitszustand des Tamilen beschrieben hat, erfolgt dessen Verlegung in das St.-Joseph-Krankenhaus in Tempelhof. Kurze Zeit später wird Dr. Grunau als Mitglied des Berliner Vollzugsbeirates abberufen, weil er "Grenzen" seiner Befugnis überschritten habe, so die Senatsverwaltung der Justiz.

    Die Abschiebung von Paramesvaran Sivabalasundaram wird vorerst ausgesetzt und auf den 29. Juli verlegt worden. Einen Tag vorher flieht Paramesvaran Sivabalasundaram aus dem Krankenhaus und taucht unter. Ab August wird ihm offiziell Kirchenasyl gewährt. Auch im Januar 2005 droht ihm immer noch die Abschiebung.

    Paramesvaran Sivabalasundaram hatte auf den Tag ein Jahr nach seiner Inhaftierung in Köpenick mit dem unbefristeten Hungerstreik begonnen. In diesem Jahr ist er nicht einmal persönlich zu seinen Asylanträgen angehört worden. Sie sind alle aus formalen Gründen abgelehnt worden. Den Haftverlängerungsanträgen der Ausländerbehörde wird von Seiten des Richters Dietrich Lexer immer wieder stattgegeben: "Wir können nicht halb Indien aufnehmen", meint dieser zu dem Fall des Mannes aus Sri Lanka. Sivabalasundaram habe deshalb "gute Chancen, die Höchstdauer von 18 Monaten zu sitzen."

    Paramesvaran Sivabalasundaram war erstmals im Jahre 1999 – zusammen mit seiner Schwester und seiner Mutter – verhaftet und mißhandelt worden. Sie wurden nach dem Verbleib seines Bruders befragt, der zu den Tamil Tigers (LTTE) gegangen war. Die Mutter starb an den Folgen der schweren Mißhandlungen durch die Militärs; Paramesvaran Sivabalasundaram und seine Schwester wurden nach drei Tagen entlassen. Eine zweite Festnahme erfolgte nach einer Schüler-Demonstration – Paramesvaran Sivabalasundaram kam nach zwei Tagen wieder frei.

    Im Juni 2001 spielte er als Schauspieler die Hauptrolle in einem regierungskritischen Theaterstück. Das ganze Ensemble wurde daraufhin verhaftet. Paramesvaran Sivabalasundaram kam die nächsten acht Monate ohne Anklage in Haft. Er wurde schwer gefoltert. Polizisten fesselten ihn mit Draht und rammten ihn mit der Stirn gegen eine Mauerkante. Einmal schnürte man ihm eine Plastiktüte über den Kopf, die vorher mit Benzin gefüllt war. Nach acht Monaten waren seine Verletzungen so schwer, daß er in eine Klinik verlegt werden sollte. Während der Fahrt gelang ihm die Flucht. Über Moskau kam er nach Görlitz, wo er nach der Festnahme durch den BGS seinen ersten Asylantrag stellte.

    In Unkenntnis der Asylgesetze fuhr er nach England und stellte auch hier einen Asylantrag. Es folgte die Rückschiebung in die BRD und die Inhaftierung in Köpenick.

TS 20.4.04; Bericht des Betroffenen 25.5.04;

taz 4.6.04; FR 19.6.04; Jesuiten-Flüchtlingsdienst 23.6.04;

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

BeZ 25.6.04; BM 30.6.04;TS 5.7.04; BeZ 7.7.04; BeZ 7.7.04;

taz 8.7.04; taz 14.7.04; taz 29.7.04

 

22. Juni 04

 

Elmshorn in Schleswig-Holstein. In der Berliner Straße springt ein 21 Jahre alter Asylbewerber in die Krückau. Er schlägt auf einen Stein im flachen Wasser und zieht sich lebensgefährliche Verletzungen zu. Die Polizei geht davon aus, daß der in Reinbek lebende Mann sich töten wollte.

HA 25.6.04

 

22. Juni 04

 

Bundesland Hessen. Als Polizisten in der Nacht den 18-jährigen eritreischen Flüchtling S. aus dem Flüchtlingsheim in Gießen zur Abschiebung abholen wollen, springt dieser aus dem Fenster. Dabei verletzt er sich so schwer, daß er mehrere Wochen im Krankenhaus behandelt werden muß. Trümmerbrüche und offene Wunden drohen zum Verlust eines Beines zu führen.

    Kaum aus dem Krankenhaus entlassen und noch schwer gehbehindert wird S. am 4. August nach Italien abgeschoben. Kommentar der Polizisten, die zuvor die Zimmertür eingetreten haben: "Damit Du nicht wieder springst, diesmal in Begleitung!"

    S. kommt in Italien in ein Flüchtlingslager, in dem es ihm – auch wegen fehlender medizinischer Versorgung – zunehmend schlechter geht.

    S. hatte im Oktober als 17-jähriger unbegleiteter Flüchtling Asyl beantragt, weil sein Vater sich bereits in der BRD aufhielt. Da er über italienisches Territorium gekommen war, versuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von Beginn an die widerrechtliche Rückschiebung des Minderjährigen nach Italien.

    Erst nach einem Vaterschaftstest und einem Antrag auf Familienzusammenführung gelingt es, S. im Dezember mit einer Einreisegenehmigung in die BRD zurückzuholen. Kurz danach wird ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Flüchtlinge im Verschiebebahnhof EU;

Pro Asyl

 

23. Juni 04

 

Das Flüchtlingsheim An der Fliehburg im nordrhein-westfälischen Dinkslaken wird morgens um 4.00 Uhr überfallen. Vier maskierte Männer stürmen das Gebäude und bedrohen eine 31 Jahre alte Frau aus dem ehemaligen Jugoslawien. Als deren Mutter ihr zu Hilfe kommen will, schleudern die Täter die 64-Jährige mit dem Kopf gegen die Wand. Dann verschwinden sie wieder. Während die beiden Frauen Prellungen und Schürfwunden erleiden, bleiben die sieben Kinder der 31-Jährigen unverletzt.

taz 4.6.04

 

28. Juni 04

 

Die Bezirksregierung Hannover erwirkt beim Amtsgericht Hildesheim einen Haftbeschluß gegen die bosnischen Flüchtlinge Kimeta Ujkanovic und ihren Sohn Ekrem. Die Inhaftierung der beiden sei "unerläßlich, um die unmittelbare Fortsetzung einer Straftat" zu verhindern. Die der Familie zur Last gelegte "Straftat" beschränkt sich auf den Vorwurf des "illegalen Aufenthalts". Daß die Familie sich seit neun Jahren in der BRD aufhält, eine Duldung besitzt und regelmäßig die Termine bei der Ausländerbehörde wahrgenommen hat, spielt offensichtlich keine Rolle.

    Damit kommt erstmals in Niedersachsen das der Abwehr unmittelbar drohender Gefahren für die innere Sicherheit dienende NSOG (Niedersächsisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz) als Rechtsgrundlage für Abschiebehaft zur Anwendung – und nicht das Ausländergesetz. Nach NSOG ist eine Anhörung des oder der Betroffenen durch einen unabhängigen Richter bei "Gefahr im Verzug" nicht mehr notwendig.

    Abends um 18 Uhr werden Mutter und Sohn festgenommen und inhaftiert. Am nächsten Morgen um 5 Uhr dringt die Polizei erneut in die Wohnung ein, um die 16-jährige Meliha mitzunehmen. Die Wohnung ist leer – Meliha schläft bei einer Freundin.

    Frau Ujkanovic ist schwer kriegstraumatisiert – ihr Mann wurde 1994 von Serben entführt und ist seither verschollen. Seit Jahren befindet sie sich wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung in Behandlung. Am Flughafen Düsseldorf kann ihre Abschiebung – aufgrund aktueller Atteste – gestoppt werden. Der gerade 18 Jahre alte Ekrem wird alleine nach Belgrad abgeschoben.

    Der Haftbefehl, aufgrund dessen die Familie festgenommen worden war, wird am 8. September vom Landgericht Hildesheim für rechtswidrig erklärt.

FRat NieSa 1.7.04;

FRat NieSa 17.9.04

 

28. Juni 04

 

Bundesland Baden-Württemberg. Morgens um 3.00 Uhr klopft es an der Wohnungstür der Roma-Familie X. Als klar wird, daß die Abschiebung von Frau X. mit ihren fünf minderjährigen Kinder ansteht, kommt Panik auf. Frau X. versucht sich die Pulsadern aufzuschneiden, und eine Tochter will durch das Fenster flüchten.

    Die Familie wird nach Baden-Baden gebracht und von dort nach Belgrad abgeschoben, obwohl Frau X. ursprünglich aus dem Kosovo kommt. Sie hatte allerdings vor 14 Jahren in Montenegro ihre älteste Tochter zur Welt gebracht. Da der Ehemann und Vater nicht abgeschoben wird, ist die Familie damit getrennt. Herr X. hat einen Arbeitsplatz und konnte bisher die Familie finanziell unterhalten.

    Während des Fluges wird Frau X. mehrmals ohnmächtig. In Belgrad versucht sie mit den Kindern Geld für Fahrkarten und Essen zu erbetteln. Obwohl sie nicht genug für die Fahrkarten zusammen bekommen, finden sie doch einen Busfahrer, der sie nach Montenegro mitnimmt. Dort kann die Familie einige Tage bei einer Bekannten unterkommen, bis Geld von Herrn X. eingetroffen ist. Der Versuch, ein Zimmer längerfristig zu mieten scheitert an der sexuellen Gewalt des Vermieters. Erst danach findet die Familie ein Zimmer in einem geschützten Umfeld. Also ein Sohn krank wird und hohes Fieber bekommt, kann er zunächst nicht behandelt werden, weil die Ärzte nur gegen Bargeld arbeiten, und Geld nicht da ist. Erst mithilfe der Ausweispapiere eines anderen Kindes, das krankenversichert ist, kann der Junge schließlich medizinisch behandelt werden.

    Als Frau X. nach zwei Monaten genügend Geld zusammen hat, reist sie mit den Kindern weiter in den Kosovo, um in Pec im Haus ihrer Mutter zu leben. Es stellt sich heraus, daß das Haus völlig verwahrlost und ausgeplündert ist. Es gibt weder Strom noch Wasser, keine Kochgelegenheit, keinen Ofen. Allein die KFOR-Soldaten bringen der Familie etwas Kleidung, Bettwäsche und Essen vorbei.

    Frau X. erlebt erneut sexuelle Bedrohung, Schläge und eine Vergewaltigung. Auch danach wird sie weiter angegriffen. Sie ist völlig schutzlos – sie versucht erst gar nicht, sich an die Polizei zu wenden, denn sie weiß, daß die Polizei sich nicht für sie, als Romni, einsetzen würde. Die Kinder werden auf der Straße diskriminiert und geschlagen und Steine fliegen gegen ihr Haus.

    Ende des Jahres gelingt es der Familie, wieder in die Bundesrepublik einzureisen. Als der Antrag auf Aufhebung der Sperrwirkung gestellt wird, schickt das Regierungspräsidium Karlsruhe eine Rechnung über die Abschiebekosten in Höhe von 6000 Euro. Die Klage gegen diese Zahlungsaufforderung ist erfolgreich, womit auch die Abschiebung als unrechtmäßig festgestellt wird.

BKZ 7.8.04;

AK Asyl Backnang

 

Juni 04

 

Über ein Jahr sitzt Mavis Kujath aus Ghana im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Sie konnte bei einer Personenkontrolle kein gültiges Visum vorzeigen. Zweimal scheitern Abschiebungen in Tegel an ihrer Weigerung, das Flugzeug ohne Einreiseerlaubnis für Ghana zu betreten. Ohne ein solches Papier würde sie in Ghana wieder für drei Monate im Gefängnis landen und dann nach Deutschland zurückgeschickt werden. Als Frau Kujath nicht nachgibt, wird sie von den Polizisten geschlagen. Später stellt eine Ärztin Spuren fest, die von Mißhandlungen stammen können.

Den dritten Abschiebeversuch lehnt Ghana ab, worauf Frau Kujath im Juni aus dem Abschiebegefängnis entlassen wird.

    Die 31-Jährige ist während der Haft am Unterleib erkrankt und leidet an einer Knochenschwäche. Die Psychologin der Arbeiterwohlfahrt diagnostiziert zudem ein Trauma; die Bestätigung dieser Diagnose durch einen von der Ausländerbehörde anerkannten Psychiater scheitert dann jedoch an einem freien Termin.

    1994 hatte Frau Kujath in Ghana einen Deutschen geheiratet und sofort bei der Deutschen Botschaft einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt.

    Sie wartete neun Jahre auf das Visum, sprach immer wieder bei der Botschaft vor, die ihr eine Scheinehe unterstellte, bis sie sich 2003 schließlich ohne Visum auf den Weg nach Berlin gemacht hatte, um ihren Mann zu suchen.

taz 8.9.04

 

Sommer 04

 

Der 42 Jahre alte staatenlose Ahmed Saado, Vater von sieben Kindern, soll abgeschoben werden. Er bricht auf dem Weg zum Flughafen Hannover zusammen und muß dann aufgrund einer Magenerkrankung ins Krankenhaus gebracht werden.

    Er war im Jahre 1985 zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern als Bürgerkriegsflüchtling aus dem Libanon gekommen und sollte jetzt aufgrund einer Entscheidung der Ausländerbehörde in die Türkei ausgeflogen werden.

(siehe auch: 8. Juni 05)

AK Asyl Göttingen 9.6.05

 

Sommer 04

 

Ein abgelehnter Asylbewerber wird in die Türkei abgeschoben. Noch auf dem Flughafen erfolgt seine Verhaftung. Er wird schwer gefoltert und zu 36 (!) Jahren Haft verurteilt.

exilio – Hilfe für Flüchtlinge und Folterüberlebende Lindau

 

Sommer 04

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Im Flüchtlingslager Hohenthurm erhängt sich der ca. 30 Jahre alte Nassirou Moukaila aus Togo.

    Er gehörte der Volksgruppe Kotokoli an. Als politisch Verfolgter war er im Jahre 1999 in die BRD geflohen und hatte Asyl beantragt. Nach Ablehnung durch das Bundesamt hatte er die Hoffnung verloren und zunehmend unter Depressionen gelitten.

Togo Action Plus;

ND 23.5.09

 

6. Juli 04

 

Der 33 Jahre alte Hoang Hai T. wird schwerkrank nach Vietnam abgeschoben.

    Während eines Aufenthaltes im Weimarer Hufeland-Klinikum im März waren bei ihm eine HIV-Erkrankung und eine Hepatitis C-Erkrankung diagnostiziert worden. Statt wie vorgesehen in ein Krankenhaus nach Jena zu kommen, wurde gegen ihn Abschiebehaft in der Strafvollzugsanstalt Suhl-Goldlauter angeordnet. "Da der Gesundheitszustand des Vietnamesen aber allgemein schlecht war, wurde er mit gleich erkrankten Häftlingen in einer Zelle untergebracht", so der stellvertretende Pressesprecher des Justizministeriums.

    Am 6. Mai hatte bereits die Abschiebung des Kranken erfolgen sollen, als auf dem Flughafen Leipzig schwere gesundheitliche Probleme auftraten und der Gefangene ins Klinikum Weißenfels gebracht werden mußte. Hier wurde – zusätzlich zu den bekannten Krankheiten – Lungentuberkulose festgestellt.

TA 13.7.04; TA 14.7.04;

FW 15.7.04; Kirchenkreis Suhl

 

6. Juli 04

 

Glinde in Schleswig-Holstein. Parkou Tossa soll mit ihren beiden Kindern, der achtjährigen Elke und dem vierjährigen Ervin, nach Togo abgeschoben werden. Bei der Abschiebung droht sie, sich und ihren Sohn aus dem Fenster zu stürzen. Die Aktion wird unterbrochen, und sie erhält Kirchenasyl zunächst in Glinde und dann in der Philippus & Rimbert Kirchengemeinde in Hamburg-Billstedt. Aufgrund ihrer akuten Erkrankung und der schweren Epilepsie des kleinen Ervin kann sie dieses am 25. Januar 2005 mit einer Duldung verlassen.

    Ein Jahr zuvor war ihr Ehemann abgeschoben worden und mußte aus Angst vor politischer Verfolgung in den Nachbarstaat Benin flüchten.

HamburgAsyl 25.1.05

 

9. Juli 04

 

Flüchtlingsheim Jürgenstorf in Mecklenburg-Vorpommern. Nachdem der Landkreis eine sogenannte Umverteilung des togolesischen Flüchtlings Tomlakiwhe K. nach Parchim angeordnet hat, soll dieser von der Polizei dorthin gebracht werden.

    Um 9.30 Uhr klopft es an der Zimmertür von Herrn K., und ein Angehöriger der Ausländerbehörde mit zwei weiteren Personen überreichen Herrn K. die Unterlagen in deutscher Sprache. Tomlakiwhe K., der kein Deutsch spricht, verlangt einen Dolmetscher und bittet auf die Toilette gehen zu dürfen, da er gerade erst aufgewacht ist.

    Auf dem Flur – in Begleitung des Angehörigen der Ausländerbehörde – macht er auf sich aufmerksam, so daß einige Mitbewohner aus ihren Zimmern kommen. Zwei uniformierte Polizeibeamte fordern die Menschen auf, wieder in ihre Zimmer zu gehen.

    Dann geht ein Uniformierter auf Herrn K. zu und schlägt ihm mit dem Schlagstock in den Bauch. Herr K. wird zu Boden geworfen. Von einem Polizisten wird er dann auf den unten gehalten, während der andere den Kopf des Betroffenen auf den Boden schlägt. Tomlakiwhe K. wird gewürgt, so daß er keine Luft bekommt. Dann werden ihm Handschellen angelegt und jetzt treten auch die Zivilbeamten und der Mann von der Ausländerbehörde mit Schuhen auf ihn ein. "Du versuchst einen auf Chef zu machen, aber deine Freunde sind nicht mehr an deiner Seite!" wird ihm dabei gesagt. Verletzt, in Handschellen und noch immer im Schlafanzug erfolgt dann der Transport in das Übergangswohnheim nach Parchim.

    Erst hier wird Herr K. frei gelassen. Er bittet dort den Hausmeister, einen Arzt zu informieren. Es sei aber Freitag und da sei kein Arzt erreichbar, wird ihm mitgeteilt.

    Als Tomlakiwhe K. am nächsten Tag aufgrund seiner starken Schmerzen selbst einen Arzt aufsucht, stellt dieser – neben Schmerzen am Kopf, Brustkorb und Nackenwirbelsäule – auch Heiserkeit fest, die auf eine Einwirkung im Kehlkopfbereich zurückzuführen ist.

    Bemerkenswert ist die Tatsache, daß diese Umverteilung zwei Tage nach einer Protestaktion der Flüchtlinge gegen den Auszahlungsmodus der Sozialhilfe stattfindet. Die Protestierenden hatten die Bundesstraße 194 in Jürgenstorf für eineinhalb Stunden blockiert – die Ausländerbehörde bezeichnete Tomlakiwhe K. als sogenannten Rädelsführer.

    Ein knappes Jahr später steht Tomlakiwhe K. wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt als Angeklagter vor dem Amtsgericht Malchin. Die Verhandlung wird wegen Unklarheiten über die Zuständigkeit der Umverteilung zunächst vertagt.

    Der Ausgang des Strafverfahrens gegen die Beamten steht im Januar 2006 ebenfalls noch aus.

NK 20.4.05; Ulrich Klinggräff – Rechtsanwalt

 

12. Juli 04

 

Fulda in Hessen. Im Keller der Flüchtlingsunterkunft Leipziger Straße 104 wird morgens um 7 Uhr Feuer entdeckt, von dem aus sich dichter Qualm sehr schnell im Haus verteilt. Von den 46 BewohnerInnen gelingt es 26 Personen, selbständig ins Freie zu kommen. Die anderen Flüchtlinge, die sich teilweise auf das Dach retten, müssen von der Feuerwehr mit sogenannten Hubrettungsgeräten (Fluchthauben) über die Drehleitern in Sicherheit gebracht werden. Eine schwangere Frau und ihre Tochter erleiden Rauchvergiftungen und kommen ins Krankenhaus.

    Als Brandursache wird ein technischer Defekt im Keller vermutet.

FNP 12.7.04; FZ 12.7.04; ddp 12.7.04;

FZ 13.7.04

 

14. Juli 04

 

Justizvollzugsanstalt Untermaßfeld in Thüringen. Der kurdische Abschiebegefangene A. A. wird in seiner Zelle gefesselt und herausgeführt, weil er zur Abschiebung in die Türkei zwei Beamten aus Frankfurt am Main übergeben werden soll. Als er sich von Mitgefangenen verabschieden will, wird er von vier JVA-Beamten zusammengeschlagen. Er erleidet erhebliche Blutergüsse im Gesicht und einen Nasenbeinbruch.

    Die Frankfurter Polizeibeamten verweigern daraufhin die Mitnahme und verlangen eine medizinische Versorgung des Gefangenen.

    Der Verletzte kommt in das Krankenhaus nach Meiningen, wo die gebrochene Nase behandelt wird. Sein Anwalt erstattet Strafanzeige gegen die Beamten.

FRat Thüringen

 

14. Juli 04

 

Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern. Als einem armenischen Flüchtling in einem Stammlokal der rechten Szene der Kauf einer Flasche Wein mit dem Hinweis auf angeblichen Ausschankschluß verwehrt wird, wirft dieser aus Ärger darüber von außen eine Scheibe ein.

    Daraufhin attackieren zwei Gäste des Lokals den 20-Jährigen mit Billardstöcken. Sie schlagen so stark auf ihn ein, daß ein Queue zerbricht. Da dem Armenier der Fluchtweg versperrt ist, versucht er mit seinem Taschenmesser die Angreifer fern zu halten. Als ihm das nicht gelingt, sticht er einen der beiden in den Unterleib und verletzt ihn dabei schwer.

    Das Landgericht Neubrandenburg spricht den Armenier am 3. Februar 2005 von dem Vorwurf des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung frei, indem es die Notwehrsituation des Flüchtlings anerkennt. Für die sechs Monate in Untersuchungshaft spricht ihm das Gericht eine Entschädigung zu.

e110 11.1.05; ndr 3.2.05;

BeZ 4.2.05; SVZ 4.2.05; SeZ 4.2.05;

Pfeffer & Salz; LOBBI

 

16. Juli 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein serbischer Gefangener, der sich seit 10 Tagen im Hungerstreik befindet, wird aufgrund seines desolaten gesundheitlichen Zustandes in das Haftkrankenhaus der JVA Moabit gebracht. Zuvor hatte die Gefängnisärztin Frau Rothe versucht, ihn zu einer Beendigung des Hungerstreikes zu bringen, indem sie ihm eine Verlegung auf die Isolierstation, eine Verlegung ins Haftkrankenhaus und eine Zwangsinfundierung ankündigte.

    Am 23. Juli wird der Gefangene aus dem JVA-Krankenhaus heraus abgeholt und zum Flughafen Schönefeld gebracht. Dort erfolgt ein Abbruch der Abschiebung und die Entlassung aus der Haft. Nicht jedoch, weil der Mann krank und in stationärer Behandlung – also nicht reisefähig – ist, sondern weil seine Frau, die Lettin Jelena Syjatoha, im siebten Monat schwanger ist.

    Der Serbe war während des Kosovo-Krieges bei der serbischen Spionageabwehr, dann aber desertiert. Bei einer Abschiebung droht ihm eine langjährige Haftstrafe.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Pfarrer D. Ziebarth; taz 24.7.04

 

17. Juli 04

 

Bundesland Brandenburg. Auf dem Potsdamer Hauptbahnhof werden gegen 21.30 Uhr acht afrikanische Flüchtlinge von zehn deutschen Rassisten, unter ihnen auch einige Skinheads, attackiert. Einem 35-jährigen Kameruner wird beim Betreten des Regionalzuges ein Bein gestellt, und die anderen Afrikaner werden demonstrativ umringt. Mit "White-Power"-Rufen und dem Zeigen des Hitler-Grußes pöbeln die Deutschen:

"Raus aus dem Zug, hier ist nicht Afrika". Dann wird der Kameruner durch einen Schlag am Hals verletzt.

    Die gerufenen Polizisten verlangen nach ihrem Eintreffen als erstes die Personalien der Opfer. Nicht nur die Täter, auch die Opfer müssen zur Feststellung ihrer Personalien mit zur Polizeiwache Potsdam-Mitte.

    Als die Afrikaner sich – aus Furcht vor weiteren Überfällen – weigern, die Polizeistation mitten in der Nacht zu verlassen, drohen die Beamten mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs. Schließlich begleiten einige Beamte die Gruppe zurück zur S-Bahn im Hauptbahnhof. Dabei filmt einer der Polizisten die Afrikaner mit seiner Videokamera.

    Gegen einen der deutschen Angreifer wird ein Verfahren wegen Körperverletzung eingeleitet. Der angegriffene Kameruner bekommt eine Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Begründung des BGS: "Der Kameruner habe auf dem Bahnsteig "durch Gestik und Worte zu körperlicher Auseinandersetzung provoziert."

ddp 2.8.04;

BeZ 3.8.04; MAZ 3.8.04;

 jW 5.8.04

 

17. Juli 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Die drei Frauen Sofia X., Tina Y. und die 16 Jahre alte Sandra Z. sind um ca. 11 Uhr in Begleitung einer Polizistin auf dem Wege zu den Duschräumen.

    Als Sofia X. die ihr bekannte Rosemarie V. aus einem anderen Zellentrakt auf dem Gang trifft und die beiden Frauen ein paar Worte wechseln, mischt sich die Beamtin ein und fragt, ob Sofia X. denn nun duschen wolle oder nicht. Diese bejaht die Frage.

    Daraufhin geht die Beamtin weg und kommt mit sieben männlichen Kollegen zurück. Diese sprühen den Frauen ein brennendes Spray in die Augen, ziehen sich Handschuhe an und beginnen, auf sie einzuschlagen. Sie drehen ihnen die Arme schmerzhaft auf den Rücken, fixieren sie und bringen sie in das Kellergeschoß. Dort bleiben die vier Frauen in Einzelzellen, bis sie um ca. 19 Uhr wieder in ihre ursprünglichen Zellen zurückkommen.

    Noch drei Tage später klagen die Frauen über Schmerzen in den Armen und Handgelenken und Brennen der Augen. Das stark geschwollene Auge von Rosemarie V., das durch den direkten Schlag eines Polizisten verletzt wurde, wird erst drei Tage später medizinisch versorgt. Die Bitten der anderen Frauen, einem Arzt vorgestellt zu werden, werden ignoriert. Sofia X. stellt Strafanzeige gegen die Beamten.

Bericht einer Betroffenen

 

18. Juli 04

 

In Brandenburg an der Havel vor der Diskothek "Piephahn" in Hohenstücken werden zwei 23 und 28 Jahre alte Flüchtlinge aus Kenia morgens um 5.10 Uhr von zwei deutschen Männern provoziert und beschimpft: "Euch geht es wohl zu gut" und "Ihr bekommt zuviel Sozialhilfe."

    Als die Kenianer zur 50 Meter entfernten Bushaltestelle gehen, fallen die Deutschen plötzlich über die Flüchtlinge her und treten sie mit Füßen. Einer schlägt dem Afrikaner Oscar M. mit der flachen Hand ins Gesicht. Sein jüngerer Kumpan hebt eine Glasscherbe auf, sticht dann zu und verletzt Oscar M. am Hals.

    Als der Mann zum zweiten Hieb ausholen will, kommen die zwei Frauen Jana Böttner und Nicole Lüdeking. Sie drängen sich zwischen Täter und Opfer. Nicole Lüdeking packt den linken Arm des Täters, dessen Hand das Glas umklammert und stemmt sich mit aller Kraft gegen den bulligen Angreifer. Dann redet sie minutenlang auf den Täter ein und bringt ihn schließlich davon ab, den schon Verletzten zu töten. Er ist außer sich vor Wut und preßt immer wieder hervor: "Euch Ausländern geht's zu gut hier."

    Die Täter fliehen zunächst – jedoch gelingt es später, den Hauptverdächtigen, einen 26-jährigen Oberfeldwebel der Bundeswehr, in einer Kaserne im niedersächsischen Rotenburg an der Wümme festzunehmen.

    Die Potsdamer Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen versuchten Mordes aus fremdenfeindlichen Motiven. Der zweite Täter, ein 30-jähriger Deutscher, wird erst mehrere Wochen nach der Tat ermittelt, verhört und auf freien Fuß gesetzt. Die Anklage gegen ihn lautet: gefährliche Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung.

    Oscar M. muß die sechs Zentimeter lange und drei Zentimeter tiefe Schnittwunde am Hals im Krankenhaus versorgen lassen.

    Bei Prozeßbeginn im Landgericht Potsdam am 4. Januar 2005 kann sich der Hauptangeklagte an seine Tat nicht mehr erinnern und beruft sich auf seinen damaligen Alkoholspiegel. Er wird wegen gefährlicher Körperverletzung zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Mittäter erhält zwei Jahre Haft auf Bewährung.

jW 19.7.04; BeZ 19.7.04; MAZ 19.7.04;

e110 20.7.04;SaZ 20.7.04; TS 20.7.04;

BeZ 21.7.04; MAZ 21.7.04; LR 21.7.04;

BeZ 22.7.04; BM 22.7.04; BeZ 23.7.04;

 taz 26.7.04; MAZ 27.7.04; JWB 28.7.04;

BeZ 29.7.04; e110 30.7.04; TS 2.12.04; Welt 2.12.04;

dpa 4.1.05; MAZ 4.1.05; BM 4.1.05;

 ND 5.1.05; BeZ 5.1.05; BM 5.1.05;

 taz 14.1.05; Welt 21.1.05; TS 22.1.05;

 taz 9.2.05; Welt 9.2.05;

ddp 22.5.06; PNN 31.5.06

 

19. Juli 04

 

Ein 20 Jahre alter Mann klettert auf dem Flughafen Varadero in Kuba in den Fahrwerkschacht des Airbus 330-200, der dann in Richtung Düsseldorf startet. In großer Höhe von wahrscheinlich 10.000 Metern stirbt der Flüchtling qualvoll durch Sauerstoffmangel und durch die Kälte.

    Dies ergeben Ermittlungen, die eingeleitet werden, nachdem eine Flugtechnikerin zwei Tage später den Leichnam des Mannes auf dem Düsseldorfer Flughafen im Fahrwerkschacht entdeckt. Die Maschine hat inzwischen mehrere Starts und Landungen gemacht und zuletzt 295 Menschen aus der Dominikanischen Republik nach Düsseldorf transportiert.

n-tv.de 21.7.04; taz 22.7.04; Welt 22.7.04

 

23. Juli 04

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Gegen 19 Uhr werden am Einkaufscenter Bahnhofskarree ein 18-jähriger Flüchtling aus dem Kosovo und sein 15-jähriger marokkanischer Freund von zwei deutschen Rassisten beleidigt und geschlagen. Der Wachschutz des Einkaufszentrums greift erst ein, nachdem Verstärkung eingetroffen und die Polizei alarmiert ist. Die Täter flüchten zunächst, werden aber später gestellt.

    Der 18-Jährige muß die erlittenen Mund- und Kieferverletzungen im Krankenhaus behandeln lassen.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

24. Juli 04

 

Berlin-Lichtenberg. Ein 21-jähriger Flüchtling aus Vietnam wird um 9.45 Uhr lebensgefährlich verletzt, als er vor Zivilpolizisten flüchtet. Im Zuge einer Routinekontrolle gegen Zigarettenhändler sollte auch er kontrolliert werden. Offenbar aus Angst vor einer Festnahme versucht der Vietnamese, den stark befahrenen Weißenseer Weg zu überqueren.

    Dabei wird er von einem Lkw erfaßt und mehrere Meter mitgeschleift. Die Feuerwehr benötigt 20 Minuten für seine Bergung. Dann wird der Flüchtling ins Unfallkrankenhaus Marzahn gebracht und sein Krankenzimmer durch die Polizei bewacht.

BM 25.7.04; BeZ 26.7.04

 

27. Juli 04

 

Fürstenwalde in Brandenburg. Um 22 Uhr werden in der Artur-Becker-Straße zwei afghanische und ein kenianischer Flüchtling, alle 17 Jahre alt, aus einer Gruppe von zwanzig alkoholisierten Rechtsradikalen heraus zunächst rassistisch beleidigt, dann geschlagen und getreten. Unter "White Power"-Rufen stürzen sich jeweils fünf bis sechs Angreifer auf einen der Flüchtlinge. Dadurch werden zwei Flüchtlinge im Gesicht und am Oberkörper verletzt. Einer von ihnen trägt eine Schnittwunde an der Stirn von einer abgebrochenen Flasche davon. Es gelingt ihnen die Flucht, so daß sie die Polizei rufen können.

    Als Hauptverdächtige werden ein 16-jähriger, ein 23- und ein 26-jähriger Fürstenwalder ermittelt. Das Amtsgericht Fürstenwalde erläßt drei Tage später Haftbefehl wegen des Vorwurfs der Körperverletzung. Der 23-Jährige ist wegen rechtsextremistischer Vorfälle polizeilich bekannt.

ddp 30.7.04; Yahoo!Nachrichten 30.7.04;

MAZ 31.7.04; MOZ 31.7.04;

Opferperspektive

 

29. Juli 04

 

Bundesland Niedersachsen – JVA Hannover-Langenhagen. Der Gesundheitszustand des Kurden Serhat O., der vor 26 Tagen einen Hungerstreik begann, verschlechtert sich dermaßen, daß er in das Haftkrankenhaus der JVA Lingen verlegt werden muß.

    Serhat O., der in der Türkei verfolgt worden war, protestiert mit dem Hungerstreik gegen die Inhaftierung und die auf den 5. August festgelegte Abschiebung.

FRat NieSa 3.8.04

 

30. Juli 04

 

Gerswalde in Brandenburg. An einer Badestelle des Stiernsees wird ein 24 Jahre alter Flüchtling aus Sierra Leone von Rechtsradikalen angegriffen und verletzt.

(siehe auch: 26. April 03)

Opferperspektive

 

31. Juli 04

 

Ein Containerlager für Flüchtlinge in der Leipziger Straße der niedersächsischen Stadt Wolfenbüttel brennt in der Nacht total aus. Von den BewohnerInnen, die aus Rußland, Algerien, Vietnam, Irak, Afghanistan, Türkei und Syrien stammen, wird niemand verletzt.

BrZ 2.8.04

 

Juli 04

 

Die Ausländerbehörde Ratingen in Nordrhein-Westfalen ordnet eine amtsärztliche Untersuchung einer schwangeren Asylbewerberin an, um die "Reisefähigkeit" für die Abschiebung nach Serbien bestätigen zu lassen. Die Frau erleidet während der Untersuchung einen Zusammenbruch.

    Nach der Veröffentlichung dieses Falles werden die Meldeauflagen der Serbin von der Ausländerbehörde deutlich verschärft.

taz-Ruhr 3.7.04; taz-Ruhr 11.10.04

 

Juli 04

 

Wangen in Baden-Württemberg. Der 20 Jahre alte Kosovo-Albaner Fatmir Krasniqi versucht sich zu töten. Dies ist sein zweiter Suizidversuch seit seiner Flucht aus dem Kosovo.

    Er ist schwer kriegstraumatisiert, weil er als 15-Jähriger im Jahre 1999 während der ethnischen Vertreibungen der albanischen Bevölkerung im Kosovo Massaker miterleben mußte.

    Vom 2. Juli bis 13. August befindet er sich im Zentrum für Psychiatrie Weißenau und wird wegen Posttraumatischer Belastungsstörung und drohender Dekompensation behandelt. (siehe auch: 16. Dezember 04 und 18. Januar 05)

SchwZ 21.1.05; AK Asyl BaWü 9.3.05;

AK für Asylbewerber Wangen;

Petra Brennenstuhl-Haug – Rechtsanwältin

 

3. August 04

 

Bundesland Rheinland Pfalz. Als eine fünfköpfige kurdische Familie in der Stadt Daun morgens um 6.00 Uhr zur Abschiebung abgeholt werden soll, greift der Familienvater ein Messer und droht, sich damit das Leben zu nehmen. Polizeibeamten gelingt es, den 36-Jährigen von seiner Familie zu trennen und diese zunächst in Sicherheit zu bringen.

    Gegen 8.30 Uhr wird der Mann von Beamten eines Spezialeinsatzkommandos überwältigt und entwaffnet.

    Die Abschiebung wird zunächst abgebrochen. Der Familie gelingt es in dem jetzt wieder offenen Zeitintervall, weitere Rechtsmittel geltend zu machen, so daß schließlich alle Familienmitglieder eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen.

Polizei Trier 3.8.04;

Polizei Trier 4.12.06

 

9. August 04

 

Um 21.30 Uhr stirbt der 23 Jahre alte Nigerianer Chukwuemeka Charles Onyegbule (genannt Emeka) in der Einzelzelle Nr. 106 des Brüsseler Gefängnisses Forest. Es heißt offiziell, er habe sich mit einem Strick oder mit einem Bettlaken erhängt. Er war in der Nacht um ein Uhr von der Polizei aufgegriffen worden und dann am Nachmittag auf noch unklarer rechtlicher Grundlage in das Gefängnis eingeliefert worden.

    Emeka war von seiner Tante Beatrice Onyele 1998 in Umuahia-Nigeria adoptiert und 1999 nach Frankfurt geholt worden. Frau Onyele wollte ihm und noch einem anderen Jungen aus ihrer Familie eine Ausbildung und damit eine bessere Lebensperspektive verschaffen. Die Adoption wurde allerdings zunächst in Deutschland nicht anerkannt, und die Jugendlichen hatten lange Zeit einen unsicheren Aufenthaltsstatus und somit auch sehr eingeschränkte Lebensmöglichkeiten. Emeka verlor das Vertrauen in die deutschen Behörden, verzichtete auf die Adoption und lebte fortan ohne gültige deutsche Aufenthaltspapiere.

    Am 4. März 2002 war er in Belgien eingereist und hatte mehrere Anträge auf Asyl gestellt. Den vierten Antrag hatte er am 22. Juli 2004 gestellt, also drei Wochen vor seinem Tod. Am 16. August hätte er den Anhörungstermin vor den belgischen Behörden wahrnehmen sollen.

emeka-ist-tot.com;

La Dernière Heure, Belgium (Radio) 14.8.04;

Radio Air Libre 20.8.04;

Initiative Schwarze Menschen in Deutschland

 

10. August 04

 

Zwei Polizisten kommen in die Berliner Fritz-Karsen-Schule und holen die 13-jährige Tanja Ristic aus dem laufenden Unterricht. Sie bringen sie in das Abschiebegefängnis Köpenick, wo sie auf ihre Eltern, Milica und Zoran, und ihre 16-jährige Schwester Sanja trifft.

    Die drei sind heute auf der Ausländerbehörde überraschenderweise festgenommen worden. Sie wollten, wie schon so oft, nur ihre Duldung verlängern lassen, als sie in Handschellen gelegt wurden. Die 38 Jahre alte Milica Restic, die durch die Kriegserlebnisse in Bosnien schwer traumatisiert ist, bekam dabei einen Nervenzusammenbruch.

    Die Ristics bleiben in Köpenick, bis sie nachts um drei Uhr von Polizisten geweckt und nach Tempelhof gebracht werden. Ihnen wird mitgeteilt, daß Herr Ristic mit der Tochter Sanja in den nächsten Stunden ausgeflogen werde. Wieder bricht Frau Ristic zusammen, und die Beamten flößen ihr Medikamente ein.

    Rechtsanwälte stellen für Tanja einen Asylantrag. Die Ausländerbehörde entläßt sie daraufhin mit ihrer Mutter aus der Abschiebehaft, droht jedoch damit, daß das Mädchen im Sammellager in Köln auf das Ergebnis warten müsse. Zoran und Sanja Ristic werden am 11. August abgeschoben.

    Sofort nach der Festnahme wurde Tanjas Klasse aktiv,

zieht alle Register demokratischer Einflußnahme (persönliche

Zuwendung in der Abschiebehaft, Briefe an zuständige Politiker, Pressearbeit, öffentliche Aktionen und Demonstrationen) und läßt nicht locker, bis sie Erfolg hat. Nach vorübergehendem Aufenthalt in einem Berliner Flüchtlingsheim können Tanja und ihre Mutter wieder in ihre Wohnung zurück.

    Inzwischen setzen sich auch der Flüchtlingsrat Berlin, die GEW Berlin und das GRIPS-Theater lautstark für ein Bleiberecht von Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien ein. Sie entwickeln ein Aktionsprogramm, welches das Theaterstück "Hier geblieben!", eine Postkartenaktion und Unterrichtsmaterialien zu Bleiberechtsfragen, Kundgebungen bei Innenministerkonferenzen u.a.m. beinhaltet.

    Im Juni 2005 erhalten Milica und Tanja Ristic aufgrund von humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis, womit zumindest ein besuchsweises Wiedersehen mit Vater und Schwester in greifbare Nähe rückt.

    Im Rahmen der Familienzusammenführung wird zunächst der Schwester und im Mai 2006 dem Vater die Einreise erlaubt.

    Der Klasse 8.3 der Neuköllner Fritz-Karsen-Schule wird für die "Tanja muß bleiben"-Aktion der Mete-Eksi-Preis für engagierte Jugendliche verliehen und den beiden Lehrerinnen für ihren Einsatz gegen die Abschiebung von Tanja die Carl-von-Ossietzki-Medaille.

Bericht von Tanja Ristic;

taz 31.8.04; TS 8.7.05;

TS 30.1.05; GEW Berlin Nr.1 2005;

Informationsverbund Asyl e.V.; D-A-S-H

 

11. August 04

 

Kamenz in Sachsen. Am frühen Morgen gerät in einem menschenleeren Zimmer der Flüchtlingsunterkunft in der Gartenstraße ein Sessel in Brand. Das Feuer greift schnell auf andere Räume über, und durch die starke Rauchentwicklung müssen neun BewohnerInnen wegen des Verdachtes auf Vergiftung mit Rauchgas ins Krankenhaus. Einen Tatverdächtigen oder einen Verursacher des Brandes kann die Polizei nicht ermitteln.

ddp 12.8.04; SäZ 12.8.04; FP 12.8.04;

taz 12.8.04; ddp 12.8.04;

Polizei Bautzen

 

11. August 04

 

Der bosnische Flüchtling Saud H. wird nach dreiwöchiger Abschiebehaft nach Sarajewo abgeschoben. Der Mann, der sich wegen einer Traumatisierung in therapeutischer Behandlung befand, wird damit gewaltsam von seiner Frau und den 10-, 12- und 14-jährigen Kindern getrennt. Die Familie lebt seit elf Jahren in Berlin.

FRat Berlin

 

13. August 04

 

In der Straßenbahn von Potsdam nach Teltow kommt es zwischen einem 16-jährigen afghanischen Flüchtling und zwei Fahrkartenkontrolleuren zu einem Streit. Ein junger Deutscher mischt sich ein und stößt den Vater des Flüchtlings Joseph R. zu Boden, der sich dadurch an der Nase verletzt, die stark zu bluten beginnt. Sein Sohn greift ein, und es kommt zur Rangelei, bei der auch die Kontrolleure den 16-Jährigen schlagen. Vater und Sohn fliehen aus der Straßenbahn – gefolgt von dem deutschen Angreifer.

    Als Herr R. am Abend in seine Wohnung in Teltow kommt, ist die Tür aufgebrochen, und die Polizei veranstaltet eine Hausdurchsuchung. Ein entsprechender Hausdurchsuchungsbeschluß wird Herrn R. nicht gezeigt. Stattdessen wird er auf die Polizeiwache Potsdam-Mitte gebracht, wo er sich auf Geheiß der Beamten bis auf die Unterwäsche ausziehen muß. Nach einem eineinhalbstündigen Aufenthalt in einer Zelle wird er nach erkennungsdienstlicher Behandlung um Mitternacht auf die Straße gesetzt. Ein Grund für dieses Vorgehen der Polizei wird ihm zu keinem Zeitpunkt genannt.

Opferperspektive

 

Mitte August 04

 

Eine von Abschiebung akut bedrohte Kurdin unternimmt einen Selbsttötungsversuch und kommt dann in das Krankenhaus im hessischen Friedberg. Die Frau lebt mit ihren fünf Kindern seit sieben Jahren in Büdingen. Ihr Mann sitzt in der Justizvollzugsanstalt Butzbach. Er ist wegen einer Protestaktion der PKK nach der Festnahme des PKK-Vorsitzenden Öcalan (Besetzung des kenianischen Fremdenverkehrsbüros in Frankfurt am Main) zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

    Die Kurdin, die aufgrund ihrer Verfolgungs- und Mißhandlungsgeschichte in der Türkei an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet und verschiedene Therapien – ambulant und stationär – gemacht hat, gibt dem Druck der deutschen Behörden im Oktober nach und willigt ein, "freiwillig" in die Türkei zurückzureisen. Bei einem Zwischenstop in Instanbul werden sie und ihre fünf Kinder von Militärs aus dem Flugzeug geholt. Sie wird von ihren Töchtern getrennt und verhört und bedroht. Die 14-jährige Tochter kommt nach 20 Stunden wieder frei, ihre Mutter fünf Stunden später.

    Der Ehemann und Vater wird später abgeschoben. Auch er gerät unmittelbar nach der Ankunft in Haft und wird – nach Berichten eines Verwandten – mindestens zwei Tage lang unter Schlägen verhört. Als er freigelassen wird, flieht er in den Untergrund.

AZADI 2.10.03;

FR 20.2.04; AZADI 1.3.04;

jW 4.3.04; FR 20.8.04

 

16. August 04

 

Sachsen-Anhalt. Am späten Abend werden drei Brandsätze gegen die Flüchtlingsunterkunft in Calbe geworfen. Die Molotow-Cocktails schlagen zwar an dem Gebäude auf, erlöschen dann aber, so daß keineR der 80 BewohnerInnen zu Schaden kommt. Die Polizei schließt zunächst einen rechtsradikalen Hintergrund des Anschlags aus und ermittelt statt dessen im Umfeld der Flüchtlinge selbst.

jW 18.8.04;  MDZ 18.8.04;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

16. August 04

 

Im Wartezimmer einer frauenärztlichen Praxis im Berliner Bezirk Mitte wartet Herr S. auf seine hochschwangere Frau, die einen Untersuchungstermin wahrnehmen muß, weil es ihr in den letzten Tagen gesundheitlich schlecht ging. Die kleinen Kinder (3 und 4 Jahre alt) spielen mit den im Wartezimmer ausliegenden Heften. Die Ärztin erscheint und meint zu Herrn S., daß ihr Wartezimmer "kein Aufenthaltsraum für Leute von der Straße" sei. Sie bezeichnet ihn als "Scheiß-Ausländer", reißt den Kindern die Prospekte weg und verweist sie des Raumes.

    Herr S. (26) verläßt die Praxis und wartet vor dem Haus auf seine Frau. Die Eheleute sind albanische Flüchtlinge aus dem Kosovo, und Frau S. (31) leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

    Als sie erscheint, geht die Familie wieder in die Praxis, wo die Ärztin die Untersuchung jetzt jedoch verweigert. Sie weigert sich auch, einen Überweisungsschein auszustellen, und wirft letztlich den Mutterpaß auf den Boden. Draußen vor der Tür ruft Herr S. die Polizei, die jedoch erst erscheint, als auch die Ärztin die Polizei informiert, um eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs zu stellen.

    Als die Beamten eintreffen, fällt Frau S. in Ohnmacht. Im Beisein der Polizisten ruft Herr S. einen Notarztwagen, mit dem seine Frau dann unverzüglich zur stationären Behandlung ins Krankenhaus gefahren wird. Ihr Kind wird zwei Monate später tot geboren.

ReachOut Berlin

 

24. August 04

 

In den frühen Morgenstunden um 2.20 Uhr zerbirst mit einem lauten Knall ein Fenster der Flüchtlingsunterkunft in der Löbauer Straße im sächsischen Bautzen. Die Heimleiterin findet einen Stoffbeutel, in dem sich ein Betonstück und ein Zettel befindet, der die Drohung enthält: "Am 28.08.05 brennt ihr alle ...". Zudem befindet sich im Beutel ein Foto, das einen grinsenden glatzköpfigen Menschen zeigt, der einen Pulli von der Marke Lonsdale trägt. In dem Heim leben zur Zeit fünfzig Flüchtlinge.

    Im November gestehen zwei 17 Jahre alte Neonazis, daß sie mit dem Steinwurf einen anderen Neonazi in Schwierigkeiten bringen wollten.

ddp 24.8.04;

SäZ 25.8.04; SäZ 28.8.04;

JWB 1.9.04; SäZ 1.9.04;

SäZ 3.9.04

 

25. August 04

 

Ein 45 Jahre alter Flüchtling wird auf dem Bahnhof des brandenburgischen Ortes Velten von Rechtsradikalen angegriffen und verletzt.

Opferperspektive

 

27. August 04

 

Bad Segeberg in Schleswig-Holstein. Einem 30 Jahre alten kurdischen Flüchtling wird abends um 21.30 Uhr in der Fußgängerzone vor der Volksbank von einem Deutschen der Weg verstellt. Als der Kurde ausweicht und weitergeht, überholt ihn der Deutsche erneut und beginnt dann, mit Fäusten auf ihn einzuschlagen. Ein Freund des Angreifers und noch ein dritter Mann schließen sich der Gewalt-Attacke an und treten und schlagen auf den Flüchtling ein. Einer der Täter nimmt Anlauf und springt auf den Brustkorb des inzwischen am Boden liegenden Verletzten.

    "Es war grauenvoll", schildert eine Anwohnerin, die das Geschehen aus ihrem Fenster beobachtet und sofort die Polizei und den Rettungsdienst informiert. Als diese eintreffen, sind die Angreifer schon geflohen.

    Der Kurde kommt mit einem Nasenbeinbruch und inneren Blutungen ins Krankenhaus. Zudem sind ihm vier Zähne ausgeschlagen worden. Dieser Überfall hat für ihn eine besonders schwerwiegende Wirkung, weil er gerade eine mehrwöchige Behandlung in einer psychosomatischen Klinik hinter sich hat. Eine Behandlung, die notwendig wurde, weil er an den Folgen schwerer Folter in der Türkei leidet.

    Aufgrund von Blutspuren an den Turnschuhen beider Täter kann die Polizei die Angreifer relativ schnell identifizieren.

    Die Verhandlung vor dem Segeberger Schöffengericht endet im Oktober 2005 für den Haupttäter – aufgrund seiner zahlreichen Vorstrafen – mit einer neunmonatigen Haftstrafe. Der Freund kommt mit einer Bewährungsstrafe von neun Monaten davon.

LN 8.10.05

 

28. August 04

 

Zentrale Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber (ZGU) in Gardelegen in Sachsen-Anhalt. Am frühen Morgen um fünf Uhr bricht in dem Zimmer eines 24 Jahre alten Flüchtlings aus Burkina Faso ein Feuer aus. Als die Feuerwehren aus Gardelegen, Jävenitz und Kloster Neuendorf eintreffen, hat sich dicker Qualm im linken Wohngebäude verteilt, und die BewohnerInnen sind in Panik. Mit Leitern und einer Hubrettungsbühne werden zahlreiche Menschen gerettet. Der 24-Jährige, in dessen Zimmer der Brand entstand, wird von MitbewohnerInnen aus dem Feuer gezogen und muß von den Rettungskräften reanimiert werden, bevor er schwer verletzt

ins Krankenhaus kommt. Zwei ältere Frauen werden mit Herz-Kreislauf-Krisen ebenfalls in stationäre Behandlung gebracht. 15 weitere Personen, Erwachsene und Kinder, müssen im Krankenhaus wegen Rauchgasvergiftung behandelt werden.

    Die polizeilichen Ermittlungen ergeben, daß der 24-jährige Flüchtling sich offenbar selbst töten wollte und deshalb das Feuer gelegt hatte.

VM 28.8.04; VM 30.8.04;

VM 31.8.04

 

28. August 04

 

Murat Zigovic, ein Muslim aus dem Sandschak, wird nach viermonatiger Abschiebehaft in BerlinKöpenick nach Belgrad abgeschoben. Er ist schwer kriegstraumatisiert, und nur mit Medikamenten können seine psychischen Beschwerden reduziert werden. Für die Abschiebung stellt die Ausländerbehörde einen Arzt zur Verfügung, der Murat Zigovic auf dem Flug begleitet.

    Mit der Abschiebung wird Murat Zigovic gewaltsam von seiner Familie getrennt. Seine Frau ist ebenfalls traumatisiert und ihr gesundheitlicher Zustand hat sich schon aufgrund der Abschiebehaft ihres Mannes rapide verschlechtert. Der 12-jährige Sohn und die 11-jährige Tochter gehen in Berlin zur Schule. Das jüngste Kind ist erst fünf Jahre alt.

FRat Berlin;

 taz 27.8.04

 

29. August 04

 

Jüterbog in Brandenburg. Der Palästinenser Hussein M. und der Kameruner Serge N. sind auf dem Weg vom Marktplatz zu ihrer Flüchtlingsunterkunft, als sie von einem Radfahrer, der auch einen Hund dabei hat, rassistisch angepöbelt werden: "Scheiß Neger, was machst Du da?"

    Als die Flüchtlinge nachfragen, was das denn solle, steigt der Deutsche von seinem Fahrrad und sagt, daß er Ausländer hasse. In diesem Moment erscheint ein zweiter Mann und schlägt Hussein M. mit einer Bierflasche ins Gesicht. Die Angegriffenen beginnen sich zu wehren, und es entsteht ein verbaler und körperlicher Schlagabtausch, in dessen Verlauf der Deutsche seinen Hund immer wieder auf die beiden hetzt.

Erst als sich ein Passant einmischt, gelingt es, die Auseinandersetzung zu beenden und die Polizei zu rufen.

    In der Rettungsstelle werden bei Hussein M. eine Schädelprellung, ein Nasenbeinbruch und eine Spaltung des Frontzahnes diagnostiziert. Serge N. erlitt mehrere Verletzungen am Kopf und starke Prellungen am Fuß.

    Am 14. Februar 2006 verurteilt das Amtsgericht Luckenwalde die beiden Deutschen wegen des Vorwurfes der gemeinsam begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 bzw. 30 Tagessätzen.

    Bei dem Gerichtsprozeß wird auf die Aussagen des Opfers Hussein M. gänzlich verzichtet. Die eindeutigen Aussagen des Haupttäters, der in Nazikleidung auftritt und keinen Hehl aus seiner rassistischen Gesinnung macht, spielen als Motivation für die Angriffe auf die Flüchtlinge für das Gericht keine Rolle. Die Bestrafung der Täter fällt vor allem deshalb so lächerlich niedrig aus, weil das Amtsgericht das Verfahren führte, "als ob es eine Schlägerei zwischen Jugendlichen war" (Opferperspektive).

JWB 29.9.04;

Mut gegen Rechte Gewalt 18.2.06

 

30. August 04

 

Im thüringischen Gera werden am späten Abend vor dem Hauptbahnhof zwei Iraker von drei Rechtsradikalen mit Schlägen und Tritten angegriffen. Dabei wird ein 21 Jahre alter Flüchtling von einem Angreifer mit Springerstiefeln getreten, ein anderer schlägt auf ihn ein. Der Iraker erleidet einen Kieferbruch, Prellungen und Schnittwunden.

    Die Täter gehören zu einer Gruppe von ca. 50 Rechtsradikalen, die an diesem Abend am Bahnhof Menschen rassistisch jagen und verfolgen. Die Polizei findet Schlagstöcke, ein Würgeholz und ein Eisenrohr bei ihnen.

    Am 24. Februar 2005 stehen die beiden Hauptverdächtigen wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Ein einschlägig vorbestrafter 25-Jähriger wird zu einem Jahr und fünf Monaten Haft verurteilt – der zweite Angeklagte wird aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen.

ddp 31.8.04; FW 1.9.04;

Südthüringer Ztg 24.2.05;

OVZ 25.2.05; FW 25.2.05

 

30. August 04

 

Frankfurt an der Oder in Brandenburg. Ein Wachschützer des Flüchtlingsheimes Seefichten beleidigt einen afrikanischen Flüchtling mit den Worten: "Du bist kein Deutscher, geh arbeiten und lieg' nicht faul rum" und "Du Arschloch". Als sich der Afrikaner dagegen empört, greift ihn der Wachmann an. Umstehende Mitbewohner kommen dem Angegriffenen zu Hilfe und wehren den Angriff vorerst ab. Da läuft der Sicherheitsmann zu seinem Auto, holt einen Knüppel und schreit: "Ich habe schon einmal sieben Jahre wegen Totschlags im Knast gesessen, bei dir habe ich keine Probleme nochmal sieben Jahre wegen Totschlags in den Knast zu gehen." Daraufhin flieht der Afrikaner. Ein anderer Wachschützer stand während des gesamten Vorgangs daneben, ohne einzugreifen.

JWB 29.9.04

 

August 04

 

Im Landkreis Pinneberg in Schleswig-Holstein kam es in diesem Jahr zu zwei Suizidversuchen von Flüchtlingen.

PiT 26.8.04

 

 

August 04

 

Bundesland Thüringen. Der Heimleiter des Flüchtlingsheimes in Sitzendorf spricht eine Bewohnerin nicht mit ihrem Namen an, sondern mit den Worten "Mutter Bimbo" – so führt er sie auch in seinen Akten.

    Das zwei Monate alte Kind der Frau hat einen deutschen Vater und somit hat das Kind einen deutschen Paß.

    Der besagte Heimleiter verweigert der Frau die Herausgabe der Geburtsurkunde und des Passes des Kindes, die sie für die Beantragung sozialer Leistungen benötigt.

THO Chronik (Diakonie Jena)

 

 

Anfang September 04

 

Regierungsbezirk Düsseldorf. Frau X. und ihre fünf minderjährigen Kinder zwischen sechzehn und sechs Jahren werden am Morgen aus ihrer Unterkunft abgeholt und in die Demokratische Republik Kongo abgeschoben. Der zwölfjährige Sohn erleidet dabei einen Armbruch.

    Durch die Abschiebung gerät die Familie in große Not, hat keine Unterkunft und leidet unter Hunger und unter den katastrophalen hygienischen Verhältnissen. Frau X. und ihre Kinder, die nur deutsch sprechen, haben in dem vom Krieg gezeichneten Land keine Chance, Arbeit zu finden.

    Sexuelle Gewalt ist an der Tagesordnung. Frau X. und ihre 16-jährige Tochter erfahren dies schon bald, als der Mann, bei dem sie untergekommen sind, die beiden zu vergewaltigen versucht. Sie müssen flüchten und finden vorübergehend Unterschlupf in einer kirchlichen Einrichtung.

    Anfang Oktober ist die gesamte Familie an Typhus erkrankt; die zehnjährige Tochter hat außerdem Malaria. UnterstützerInnen aus dem ehemaligen Wohnort in Nordrhein-Westfalen versuchen durch Telefonkontakte psychische Überlebenshilfe zu geben und sammeln Spenden, damit die Familie sich wenigstens Lebensmittel und Medikamente kaufen kann.

WAZ 6.10.04;

Antirassistische Initiative Berlin

 

1. September 04

 

In einem Badezimmer des Flüchtlingsheimes der nordrhein-westfälischen Stadt Coesfeld entsteht um 23.30 Uhr ein Brand in der Lüftungsanlage durch einen technischen Defekt. Die BewohnerInnen des Hauses versuchen, durch Abschaltung der Elektrizität den Brand einzudämmen, der dann von der Feuerwehr gelöscht werden kann.

Polizei Coesfeld 2.9.04

 

2. September 04

 

Voerde in Nordrhein-Westfalen. Morgens um 5.30 Uhr erscheinen Polizeibeamte und ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde Wesel in der Wohnung der Kosovo-Albanerin F. H. und künden ihr die Abschiebung an. Sie geben der Frau, Mutter von fünf Kindern im Alter zwischen vier und 14 Jahren, eine halbe Stunde Zeit, die Sachen zu packen. Die akut suizidgefährdete Frau H. schluckt daraufhin Spülmittel, um sich zu töten. Sie kommt ins Krankenhaus Dinslaken, wo ihr der Magen ausgepumpt wird. Umgehend danach erfolgt der Transport zum Gesundheitsamt. Hier wird ihre Flugreisefähigkeit attestiert, so daß sie und ihre Kinder – noch planmäßig – über den Flughafen Düsseldorf ausgeflogen werden.

    Als Frau H. 1996 in die BRD kam, litt sie bereits seit vier Jahren an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, denn sie hatte im Kosovo massive Gewalt erleben müssen und war zudem Zeugin bei der Ermordung naher Angehöriger. Nachdem im Jahre 2001 ihr ebenfalls psychisch kranker Ehemann abgeschoben worden war, war die heute 37-Jährige aufgrund ihrer Erkrankung, aufgrund der konfliktreichen Lebenssituation in der Flüchtlingsunterkunft und aufgrund der alleinigen Verantwortung für die Betreuung ihrer fünf Kinder kontinuierlich überfordert.

    Frau H. war ambulant in psychiatrischer Behandlung gewesen und hatte sich im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge (PSZ) in Düsseldorf um eine Psychotherapie

bemüht. Diese sollte – nach den ersten bereits stattgefundenen Clearinggesprächen – im September beginnen. Aufgrund eines Antrages des PSZ mit einer Stellungnahme zum Gesundheitszustand von Frau H. war der Ausländerbehörde Wesel die kritische Situation der Patientin durchaus bekannt.

    Am 3. September hätte sie einen ersten therapeutischen Termin in einer albanischen Frauengruppe wahrnehmen sollen. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich jedoch bereits im Kosovo.

PSZ Düsseldorf

 

6. September 04

 

Eine 18 Jahre alte Nigerianerin wird morgens um 4.00 Uhr von sieben Polizisten in ihrer Kölner Unterkunft abgeholt und, ohne daß sie Gelegenheit bekommt, ihre Sachen zu packen, zum Flughafen Düsseldorf gebracht. Bei einer Zwischenlandung in Amsterdam spricht die junge Frau niederländische Polizisten weinend an und fleht um Asyl. Die Beamten stoppen daraufhin ihren Weiterflug und unterbrechen die Abschiebung nach Nigeria.

    Der damals noch minderjährigen Nigerianerin war im Juli 2003 die Flucht aus einem Kölner Bordell gelungen, in das sie von Menschenhändlern verschleppt worden war. Sie hatte Anzeige gegen die Täter erstattet und sagte als Zeugin aus. Für die Dauer des Ermittlungsverfahrens wurde ihr Aufenthalt in der BRD geduldet. Als dieses eingestellt wurde, weil die Täter nach Polizeiangaben nicht aufzufinden waren, wurde auch der Abschiebeschutz für die jungen Frau beendet.

    Die durch Mißhandlungen traumatisierte Frau hat panische Angst vor der Abschiebung, weil sie davon ausgeht, daß die Menschenhändler, die sie anwarben, verschleppten und mißbrauchten, sie in Nigeria schnell finden würden.

    Die Abschiebung aus der BRD geschieht entgegen einer dem Verwaltungsgericht gegenüber gemachten Zusage der Kölner Ausländerbehörde." Das ist ein Fehler, der dem Kollegen passiert ist", gibt die Leiterin der Behörde zu.

    Am 1. Oktober kann die junge Nigerianerin mit Hilfe der Fachberatungsstelle agisra, die sie seit über einem Jahr betreut, nach Köln zurückkehren.

agisra 20.9.04; agisra 22.9.04;

taz 25.9.04;FRat NRW 5.10.04

 

9. September 04

 

Die Berliner Ausländerbehörde macht Druck gegen die bosnische Roma-Familie S. Schon vor acht Tagen bekam die Familie überraschenderweise – statt einer Duldung von einem halben Jahr, wie erwartet – jetzt eine Frist von einer Woche, um die Pässe zur Ausreise vorzulegen. In großer Angst vor einer Festnahme gehen Frau S. und ihre 17-jährige Tochter Sulejmana zur Behörde – der kriegstraumatisierte Vater und Ehemann, Suleyman S., ist dazu nicht in der Lage. Sie bekommen wiederum eine Verlängerung der Duldung von einer Woche ausgestellt.

    Zuhause angekommen, berichten sie Suleyman S. und auch seinen alten Eltern von der Galgenfrist. Die 76-jährige Hava S., die Mutter von Sulejman S., bekommt einen Nervenzusammenbruch, weil sie davon ausgeht, daß sie ihre Kinder und ihre fünf Enkelkinder demnächst verliert. Sie ist schwer herzkrank und leidet unter Diabetes mellitus. Sie ist voller Angst und Panik, und nach einem Arztbesuch am nächsten Morgen legt sie sich weinend ins Bett und erliegt am Nachmittag ihrem Leiden.

    Sie war vor dreizehn Jahren mit ihrem Mann aus Bosnien geflohen, und sie hatten es als großes Glück empfunden, daß auch ihre Kinder und ihre Enkel lebend aus dem Krieg herausgekommen waren. Sie lebten ein Jahrzehnt zusammen in Berlin. Aufgrund der Traumatisierung und der körperlichen Leiden ihres Mannes und aufgrund ihres eigenen Leidens hatten beide Aufenthaltsbefugnisse bekommen.

Antirassistische Initiative Berlin

 

12. September 04

 

Mössingen in Baden-Württemberg. Am Rande des Mössinger Bürgerfestes wird ein 28 Jahre alter Asylbewerber, der in Albstadt untergebracht ist, von drei deutschen Männern mit Fäusten traktiert und getreten – auch noch am Boden liegend. Er muß seine Verletzungen im Gesicht und am Arm in der Steinlachklinik behandeln lassen.

TTB 13.9.04

 

12. September 04

 

Auf dem Bahnhof der brandenburgischen Ortschaft Neupetershain werden um 23.30 Uhr zwei 28 bzw. 31 Jahre alte Flüchtlinge aus Kamerun von drei Deutschen zunächst rassistisch beschimpft, dann ins Gesicht geschlagen und schließlich auf die Gleise gestoßen.

    Nach dem Überfall leidet einer der Flüchtlinge unter starken Kopfschmerzen und Gedächtnislücken, weil er mit dem Kopf auf dem Gleis aufgeschlagen ist. Zudem hat er Schmerzen im Brustbereich und an einer Operationswunde. Sein Begleiter trägt Prellungen im Gesicht davon.

JWB 13.10.04; LR 3.3.05;

Opferperspektive

 

13. September 04

 

Die 24 Jahre alte sudanesische Abschiebegefangene und abgelehnte Asylbewerberin Sandra J. wird aus der JVA Dresden abgeholt und soll – aufgrund der von der nigerianischen Botschaft ausgestellten Papiere – nach Nigeria abgeschoben werden. Da sie sich bisher immer gewehrt hatte, ist dies bereits der vierte Abschiebeversuch. Die BeamtInnen setzen jetzt deutlichere Zwangsmittel ein, wodurch Sandra J. leicht verletzt wird.

    Der Abflug erfolgt in einer für 38.000 Euro angemieteten Chartermaschine, einer Piper Cheyenne III, vom Flughafen Dresden – morgens um 8 Uhr. In der Maschine befindet sich auch Christian Chiouba A., der ebenfalls nach Nigeria abgeschoben werden soll. Weitere Mitfliegende sind zwei Piloten, vier BGS-Beamte, ein Arzt aus Sachsen und eine Sanitäterin aus Berlin.

    Bei einer Zwischenlandung in der südalgerischen Ortschaft Tamanrasset stürzt die Maschine um 16 Uhr auf die Landebahn und wird völlig zerstört. Die Gefangenen und auch das begleitende Personal kommen mit dem Schrecken davon und bleiben unverletzt. Sie werden dann alle mit einer Linienmaschine nach Frankfurt am Main zurückgebracht. Von Frankfurt aus wird die Sudanesin Sandra J. am

24. September nach Nigeria (!) abgeschoben.

MS 14.9.04

pax christi – Flüchtlingskontakte Dresden

 

16. September 04

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). Ein asylrechtlich abgelehnter Palästinenser aus dem Libanon wird infolge seines Hungerstreiks ins Klinikum Markendorf nach Frankfurt (Oder) verlegt. Er protestiert mit der Nahrungsverweigerung gegen die drohende Abschiebung, weil er sich um seine zwei deutschen Kinder kümmern will. Ein Abschiebeversuch erfolgt am 26. September und endet am Flughafen Frankfurt am Main, wo er noch stundenlang gefesselt und ohne Essen in einem unbeheizten Raum ausharren muß, bevor er nach Eisenhüttenstadt zurückgebracht wird. Am 10. Oktober wird er aus der Abschiebehaft entlassen.

Alliance of Struggle

 

16. September 04

 

Der 36 Jahre alte Angolaner Manuel Lucio dos Anjos Barros wird in Berlin beim Fahren ohne Fahrkarte entdeckt und verhaftet, weil er auch keine gültigen Aufenthaltspapiere vorweisen kann. Er kommt umgehend in Abschiebehaft nach Berlin-Köpenick. Manuel Barros war vor 16 Jahren als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen und hatte auch nach der deutsch-deutschen Wende lange Jahre gearbeitet. Durch eine schwere psychische Krise kümmerte er sich nicht mehr um seine Aufenthaltspapiere, bis er schließlich seit 2002 keine Aufenthaltserlaubnis mehr hatte.

    Er hat einen schweren Herzfehler und auch in der Abschiebehaft verschlechtert sich seine Gesundheit dermaßen, daß er Ende November für fünf Wochen im Haftkrankenhaus der JVA-Moabit stationär behandelt werden muß. Er ist auf lebenswichtige Medikamente angewiesen.

    Über eine einstimmige Entscheidung der Härtefallkommission, den Flüchtling als Härtefall anzuerkennen, setzt sich Innensenator Körting hinweg, so daß Anjos Barros am 8. Februar 2005 nach Angola abgeschoben wird. Am Flughafen Luanda werden dem Schwerkranken sämtliche Medikamente "aus Sicherheitsgründen" abgenommen.

    Der Innensenator nutzt damit nicht die neuen, größeren Kompetenzen nach dem Zuwanderungsgesetz.

    Im April geht es Herrn Barros in Luanda gesundheitlich sehr schlecht. Er hat weder Medikamente noch Geld noch etwas zu Essen.

taz 2.12.04;

Bündnis 90/Die Grünen 9.2.05;

taz 10.2.05;

Antirassistische Initiative Berlin;

rbb "Klartext" 16.2.05; FRat Berlin

 

16. September 04

 

Ladenburg in Baden-Württemberg. Dagobert Pousseu hat den Zug verpaßt und beschließt, auf den folgenden zu warten, der um 14.58 Uhr einfahren soll. Er befindet sich nahe am Bahnsteig, als er hinter sich zwei 20-jährige Männer wahrnimmt, aber nicht weiter beachtet. Dann spürt er einen kräftigen Stoß und fällt auf die Gleise. In diesem Moment fährt ein Güterzug auf diesem Gleis durch, erfaßt Dagobert Pousseu, so daß dieser wieder auf den Bahnsteig zurückgeworfen wird. Als Dagobert Pousseu zu sich kommt, sieht er seine linke Hand "total ramponiert" und einen Teil der Muskulatur seiner linken Wade abgerissen und einige Meter entfernt liegen.

    Er ruft um Hilfe, doch der Bahnhof ist fast menschenleer. Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig ist ein Mann, der die Hilferufe eigentlich hören müßte, doch er steigt in den dort haltenden Zug. Dagobert Pousseu ruft weiter um Hilfe und spürt inzwischen durch den heftigen Blutverlust zunehmende Schwäche und Bewußtseinstrübung. Zwei etwa 12-jährige Mädchen werden auf ihn aufmerksam und bitten wiederum andere Menschen um Hilfe.

    Als die Polizei eintrifft, stellen die Beamten zunächst die Indentität des Schwerverletzten fest. Dagobert Pousseu ist bewußtlos, als der Rettungswagen mit den Notärzten eintrifft.

    Nach den ersten lebensrettenden Maßnahmen muß Dagobert Pousseu sich in der Universitätsklinik Mannheim zunächst vier Operationen unterziehen. Im Januar 2005 ist seine linke Körperhälfte gelähmt und weitere Operationen stehen noch an.

    Die Polizei hat die Täter nicht ermittelt – auch Zeuginnen oder Zeugen des Mordversuchs auf den Afrikaner haben sich nicht gemeldet.

 Bericht des Betroffenen; VKSM 7.10.04

 

17. September 04

 

Königs Wusterhausen in Brandenburg. Ein 24 Jahre alter Flüchtling aus Bhutan wird um 1.30 Uhr in der Bahnhofstraße von zwei Männern zu Boden geschlagen, so daß er das Bewußtsein verliert. Zur Behandlung seiner Kopfverletzung muß er für vier Tage ins Krankenhaus.

Opferperspektive;

BeZ 18.9.04; JWB 29.9.04

 

17. September 04

 

In einer Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Bayreuth brennt es innerhalb von zwei Tagen zum zweiten Mal. Das Feuer entsteht in dem Bett eines unbewohnten Zimmers im zweiten Stock des Gebäudes. Die BewohnerInnen des Heimes können sich unverletzt in Sicherheit bringen. Die Polizei geht von Brandstiftung aus.

NP 18.9.04

 

17. September 04

 

Altena in Brandenburg. Im Flüchtlingsheim in der Thoméestraße brennt es in einem Zimmer des Dachgeschosses im vierten Stock. Die BewohnerInnen kommen mit dem Schrekken davon und bleiben unverletzt.

Altenaer Kreisblatt 18.9.04

 

20. September 04

 

Ein 21 Jahre alter Flüchtling aus Sierra Leone ist am späten Abend mit dem Fahrrad im brandenburgischen Fürstenwalde unterwegs, als er im Stadtzentrum an der Ecke Alte Neuendorfer Straße / Eisenbahnstraße von zwei Männern angegriffen wird. Sie reißen ihn vom Rad und schlagen auf ihn ein, als er am Boden liegt. Er zieht sich Verletzungen im Gesicht und an der Hand zu. Als sich ein PKW nähert, flüchten die Angreifer.

ddp 22.9.04;

MOZ 22.9.04;

MAZ 22.9.04

 

24. September 04

 

Am Busbahnhof der brandenburgischen Ortschaft Senftenberg wird der 20-jährige Roger F., Flüchtling aus Kamerun, von drei jugendlichen Deutschen zunächst beschimpft, dann zu Boden geschlagen und getreten. Als zwei Passanten dem Niedergeschlagenen helfen wollen, werden sie von zwei der Angreifer festgehalten. Der Afrikaner erleidet leichte Verletzungen.

    Dies ist bereits der zweite rassistische Überfall auf den Flüchtling, der in der Unterkunft in Sedlitz leben muß. Er hat bei der Ausländerbehörde einen Umverteilungsantrag nach Potsdam gestellt, denn dort, so meint er, sei er sicherer.

(siehe auch: Anfang September 03)

LR 6.10.04;

JWB 6.10.04;

LR 8.10.04

 

26. September 04

 

Im Flüchtlingsheim des bayerischen Aholfing im Landkreis Straubing-Bogen entsteht ein Brand durch einen defekten Heizstrahler. Die zwölf BewohnerInnen kommen mit dem Schrecken davon und bleiben unverletzt.

FrP 27.9.04

 

27. September 04

 

Abschiebegefängnis JVA Büren in Nordrhein-Westfalen. Der 23 Jahre alte Serbe Novica Mitrovic drückt auf den Notruf-Knopf, kommt in die Sanitätsstation und erliegt um 9.00 Uhr einer Lungenembolie. Die Reanimationsversuche eines Vertragsarztes und eines Notarztes bleiben erfolglos.

    Der Gefangene war vom 27. August bis zum 3. September im Krankenhaus Fröndenberg wegen einer Thrombose behandelt worden. Zurück in Abschiebehaft war die Behandlung mit Spritzen fortgeführt worden. Nach Aussagen der Mitgefangenen hat der Flüchtling nachts oft vor Schmerzen geschrieen.

Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren

 

29. September 04

 

Backnang in Baden-Württemberg. Morgens um 1.00 Uhr halten vier Polizei-Fahrzeuge vor der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. 20 PolizeibeamtInnen und ein Hund steigen aus, dringen in die Flüchtlingsunterkunft ein und nehmen Herrn Salija Demiri und seine beiden acht- und zehnjährigen Söhne fest. Sie werden über den Flughafen Söllingen bei Baden-Baden in den Kosovo abgeschoben. Frau Demiri und der 16 Monate alte Sohn bleiben zurück.

    Während Herr Demiri seine Familie in der BRD durch Arbeit selbst versorgen und die monatliche Wuchermiete von 500 Euro für das 25 Quadratmeter große Zimmer in der Unterkunft regelmäßig bezahlen konnte, bleibt ihm und seinen Söhnen nach der Abschiebung ein undichtes Zelt, zwei

Nudelpackungen, etwas Reis – Decken haben sie nicht. Seine Frau und das Baby beziehen jetzt "Leistungen" nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

AK Asyl Backnang;

BKZ 3.1.05

 

29. September 04

 

Im brandenburgischen Jüterbog werden am Nachmittag ein palästinensischer Flüchtling und ein Asylbewerber aus Kamerun von zwei deutschen Männern rassistisch beleidigt und tätlich angegriffen. Während der Kameruner leichter verletzt wird, erleidet der 23 Jahre alte Palästinenser eine Schädelprellung, einen Nasenbeinbruch, eine Fraktur eines Schneidezahnes und Schürfwunden und Kratzer an Kopf und Gesicht.

Opferperspektive

 

30. September 04

 

Rauschenberg im Bundesland Hessen. Am frühen Morgen erscheinen eine Polizistin, ein Polizist, ein Arzt und der Vermieter an der Wohnung der Familie Avdija. Mevljude und Enver Avdija und die Kinder, die siebenjährige Fatlume, der

6-jährige Fisnik und deren zweijährige Schwester sollen in den Kosovo abgeschoben werden.

    Die Polizistin betritt das Zimmer der schlafenden Kinder und fordert sie auf, sofort aufzustehen und sich anzuziehen, da sie ganz schnell zum Flughafen müßten. Mevljude wird aufgefordert, schnell einige Sachen in Koffer zu packen – sie wird daraufhin ohnmächtig. Die Kinder sehen, wie der Arzt die Mutter hochnimmt, die langsam wieder zu sich kommt. Enver Avdija befindet sich nicht in der Wohnung. Als sich der Arbeitgeber von Frau Advija mit einer Umarmung verabschieden will, verbieten dies die Polizisten.

    In zwei verschiedenen Bussen – Fisnik wird getrennt von Mutter und Geschwistern transportiert – geht es zum Flughafen Düsseldorf. Der Vater fehlt noch.

    Als die Polizei bei ihm erscheint, um ihn mitzunehmen, weigert er sich und verlangt mit seiner Frau und mit seiner Anwältin zu sprechen. Dies wird ihm verwehrt. Erst nach heftigem Protest darf er seine Anwältin anrufen.

    Es gelingt der Anwältin, mit der UNMIK (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo) zu kommunizieren. Die Verantwortlichen dort lehnen die Einreise aufgrund der gesundheitlichen Probleme und der fehlenden medizinischen Weiterversorgungsmöglichkeiten von Frau Advija ab.

    Die Familie kommt daraufhin von Düsseldorf zurück nach Rauschenberg. Die zweijährige Tochter hat abends hohes Fieber, und die Kinder trauen sich nicht ins Bett zu gehen.

Gegenwehr Heft 3+4/2004

 

30. September 04

 

Aufgrund eines internationalen Haftbefehls der Türkei wird der Kurde Sait Cürükkaya von 15 Polizisten im Studienkolleg in Hamburg aus dem Unterricht heraus festgenommen und nach Bremen in Auslieferungshaft gebracht.

    Wegen seiner Widerstands- und Verfolgungsgeschichte in der Türkei war Sait Cürükkaya am 17. Mai 2001 politisches Asyl gemäß Artikel 16a Grundgesetz zugesprochen worden.

    Aus einer Familie stammend, die sich stets gegen die Unterdrückung gewehrt hatte, hatte er sich als 22-Jähriger der PKK angeschlossen. Von türkischen Militärs wurde er im Jahre 1989 entführt und gefoltert. Als er sich im Dezember 1998 gegen den weiteren militärischen Kampf der PKK aussprach, geriet er zwischen die Fronten, floh in den Nord-Irak, und als er von dort an die Türkei ausgeliefert werden sollte, flüchtete er in die BRD, wo schon einige Angehörige mit anerkanntem Asyl lebten.

    Die "Antiterror-Gesetze" ermöglichen es, Asylberechtigte aufgrund der Anerkennungsgründe als "Terroristen" und damit als Gefahr für Deutschland einzustufen und ihnen die Asylberechtigung zu entziehen.

    So passierte es auch Sait Cürükkaya. Durch ein Widerrufsverfahren wurde ihm am 13. Juli 2004 der Asylstatus aberkannt und gleichzeitig entschieden, daß kein Abschiebehindernis gemäß § 53 AuslG vorliege, weil davon ausgegangen werden könne, daß "mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit" die Gefahr der Folter nach einer Auslieferung nicht gegeben sei. Zudem unterstellte das Bundesamt, daß Sait Cürükkaya durch seine frühere Position in der PKK und dann durch die Abkehr von der PKK seine Nähe zum Terrorismus deutlich mache, denn er sei offensichtlich nicht mit dem "gemäßigten neuen Kurs der PKK" einverstanden.

    Tatsächlich hat sich Sait Cürükkaya lediglich bei den Grünen politisch engagiert.

    Nach über sechs Wochen Gefangenschaft wird Sait Cürükkaya am 15. November unter strengen Auflagen aus der Auslieferungshaft entlassen. Am 10. Juni 2005 wird eine Auslieferung für unzulässig erklärt.

jW 16.10.04; Freitag 26.11.94;

Antirassistische Initiative Berlin

 

4. Oktober 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Aus Protest gegen die langen Haftzeiten und die Haftbedingungen beginnen ca. 25 männliche Gefangene und 35 weibliche Gefangene, der gesamte Frauentrakt, einen Hungerstreik. Gerade sind die Haftzeiten für einen Litauer und einen libanesischen Gefangenen von neun auf zwölf Monate verlängert worden.

    Um 16 Uhr erscheinen ca. 40 PolizistInnen (spezielle Beamte unter Ausschluß des Haftpersonals) im Frauentrakt, woraufhin sich die Frauen unterhaken. Die Beamten versuchen, die Frauen mit Schlägen zu trennen, und schlagen auch gezielt auf die Hände. Einer Frau wird dabei die Hand schwer verletzt. Ein Beamter greift einer afrikanischen Frau in die Haare und schüttelt ihren Kopf hin und her, so daß er auch gegen eine Wand schlägt. Dabei reißt er ihr Haarbüschel aus und der Kopf blutet. Die Frau ist verzweifelt und schlägt dann selbst mit dem Kopf gegen die Wand. Die afrikanischen Frauen werden schließlich unter Schlägen alle zu Boden gezwungen. Als sich eine russische Gefangene mit ihnen solidarisiert, wird sie von einem männlichen Polizisten und einer weiblichen Beamtin mehrfach auf Kopf, Hals und Brust geschlagen.

    Weil sie angeblich Mitgefangene gehindert hätten, das Anstaltsessen anzunehmen (stellvertretender Anstaltsleiter Piper) werden die afrikanischen Frauen isoliert und von einem ca. 25-köpfigen Polizeiaufgebot in die Gefangenensammelstelle Tempelhofer Damm 12 gebracht.

    In Tempelhof kommen die Frauen in Einzelzellen. Am folgenden Tag tragen sie immer noch ihre Schlafanzüge und bekommen noch nicht die Gelegenheit, sich zu waschen. Ihnen werden im Falle weiterer Nahrungsverweigerung "Injektionen" angekündigt.

    Eine Frau wird aus der Haft entlassen, eine zweite kommt in ein Krankenhaus und sechs Frauen werden am 6. Oktober nach Köpenick zurückgebracht. Die 29 Jahre alte Nigerianerin R. I., der Beeinflussung ihrer Mitgefangenen unterstellt wird, und die zudem nicht bereit ist, ein "Stillhaltepapier" zu unterschreiben, muß bis zum 11. Oktober in der Tempelhofer Einzelzelle ausharren, bevor auch sie ins Abschiebegefängnis zurückgebracht wird. Zu diesem Zeitpunkt haben die Gefangenen bereits seit vier Tagen ihre Protestaktion beendet.

    Gegen die "Rädelsführerin" R. I. (Polizeisprecher Dräger) stellt die Anstaltsleitung eine Strafanzeige wegen Nötigung.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Antirassistische Initiative Berlin;

Flüchtlingsrat Berlin;

taz 7.10.04; jW 9.10.04;

 taz 12.10.04;

JWB 17.11.04

 

9. Oktober 04

 

Auf dem deutschen Containerschiff "Lydia Oldendorff" entdecken Seeleute 13 kurdische Flüchtlinge aus der Türkei, als das Schiff im Hafen von Giola Tauro in Italien anlegt. Die "blinden Passagiere", unter ihnen zwei 13 und 15 Jahre alte Jugendliche, werden zu einer Polizeistation gebracht, wo sie Asyl beantragen wollen. Stattdessen bringen die Italiener sie wieder zurück auf das Schiff, das seinen nächsten Stopp im Hafen von Valetta auf Malta hat.

    Auch hier dürfen die Flüchtlinge nicht von Bord gehen. Dadurch spitzt sich die Situation auf dem Schiff zu, und mindestens einer der Flüchtlinge versucht, sich das Leben zu nehmen. Dreimal versuchen die Kurden, per Fax Asyl zu beantragen. Auch das wird von den italienischen Behörden ignoriert. Ein UNHCR-Mitarbeiter, der sich zur Vermittlung und zur Verhandlung mit den Behörden einschaltet, bleibt ebenfalls erfolglos.

taz 23.10.04; taz 25.10.04;

HAB 25.10.04

 

9. Oktober 04

 

Ratingen in Nordrhein-Westfalen. Trotz des Vetos des Oberbürgermeisters Wolfgang Diedrich (CDU), der den Abschiebetermin aus "humanitären Gründen" ausgesetzt hatte, gegen den Willen der SPD und entgegen den Warnungen des Düsseldorfer Amtsarztes setzt die Ratinger Ausländerbehörde die Abschiebung der Roma-Familie Beganovic nach Serbien-Montenegro durch. Die Risikoschwangerschaft von Darica Beganovic und die vier schulpflichtigen Kinder spielen für die Behörde offensichtlich keine Rolle. Die Familie ist in Besitz von 130 Euro und durfte nur das Allernötigste zusammenpacken. Sie lebt seit der Abschiebung in einem Slum.

taz-Ruhr 11.10.04

 

11. Oktober 04

 

Paderborn in Nordrhein-Westfalen. Als der 18 Jahre alte Schüler Jose K. in der Stadtverwaltung erfährt, daß er in diesem Moment festgenommen und noch heute in den Kongo abgeschoben werden soll, ergreift er eine Schere und rammt sie sich in den Bauch. Die beiden Männer, die ihn festnehmen sollen, legen ihm "zur eigenen und zur Sicherung anderer" Handschellen an und alarmieren den Notarzt, so der Leiter der Ausländerbehörde Paderborn vor dem Sozialausschuß des Stadtrates. Er selbst habe dem Verletzten die Wunde "abgedrückt". Dann kommt der Verletzte ins Krankenhaus Johannesstift und wird dort umgehend operiert. Die Abschiebung ist vorerst ausgesetzt.

    Schon im Frühjahr mußte eine Abschiebung einerseits wegen organisatorischer Probleme, andererseits wegen der Suizidalität des Kongolesen ausgesetzt werden. Nachdem ein von der Stadt beauftragter psychiatrischer Gutachter die Suizidgefahr nicht bestätigt hatte, war die Abschiebung dann erneut vorbereitet worden.

NW 12.10.04; NW 16.12.04;

Kollegium des Bonifatius-Förderzentrums Paderborn

 

11. Oktober 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 36-jähriger tunesischer Gefangener verschluckt in Selbsttötungsabsicht zwei Rasierklingen. Der Mann kommt umgehend ins Krankenhaus.

NK 14.10.04

 

16. Oktober 04

 

Höchstädt in Bayern. Drei 15-jährige Schüler attackieren das hiesige Flüchtlingsheim am Abend zunächst mit Steinen, und als die BewohnerInnen nicht reagieren, werfen sie einen Molotow-Cocktail auf die Holzbaracke. Zwei vor der Baracke stehende Sofas fangen Feuer, was von den BewohnerInnen entdeckt wird und frühzeitig gelöscht werden kann.

    In dem Heim leben derzeit siebzehn Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak und Iran und anderen Ländern. Sie kommen mit dem Schrecken davon.

    Erst einen Monat nach der Tat können die Täter ermittelt werden, die den Brandanschlag gestehen und ihn mit ihrer rassistischen Einstellung begründen.

Yahoo!Nachrichten 17.10.04;

e110 17.10.04; TS 17.10.04;

ddp 25.11.04;  NN 26.11.04; JWB 1.12.04

 

22. Oktober 04

 

Mecklenburg-Vorpommern. Zwei Flüchtlinge aus der Flüchtlingsunterkunft Tramm besuchen eine Diskothek in Parchim, als einer von ihnen von einem Deutschen gebeten wird, mit vor die Tür zu kommen, um etwas Wichtiges zu besprechen.

Auf der Straße erwarten den Flüchtling ca. zehn Neonazis, sagen ihm, daß er keine deutschen Frauen anzusprechen hat, und schlagen unmittelbar auf ihn ein. Sein Freund, Akubuo Chukwudi, kommt hinzu, redet auf die Schläger ein und wird ebenfalls geschlagen und getreten. Es gelingt ihm wegzurennen, doch er wird eingeholt und wieder attackiert.

    Die Polizei erscheint und kann einige Täter festsetzen. Noch in Gegenwart der Polizei schlägt einer der Rassisten mit der Faust Akubuo Chukwudi in das verletzte Gesicht. Akubuo Chukwudi kommt ins Krankenhaus. Hier werden zahlreiche Prellungen, Schürfungen und Blutergüsse festgestellt und behandelt.

    Im Juni 2006 sind vier Prozeßtage beim Amtsgericht Parchim für einen Sammelprozeß angesetzt, bei dem Akubuo Chukwudi größtenteils wegen vermeintlicher Regelverstöße aus den Jahren 1999, 2000, 2003 und 2004 angeklagt ist, die ihm im Rahmen seiner langjährigen politischen Aktivitäten vorgeworfen werden: Protest gegen das Gutscheinsystem im Supermarkt, Reaktionen auf die Diskriminierungen durch Sozialamt und Ausländerbehörde sowie gefährliche Körperverletzung des rassistischen Angreifers während des oben beschriebenen Angriffes.

    Gleich zu Beginn werden vier Verfahren aus den Jahren 1999 bis 2001 eingestellt. Der Vorwurf der schweren Körperverletzung ist auch nach den Aussagen von Zeugen, die offensichtlich zum Kreis der Angreifer gehören, nicht haltbar und endet mit einem Freispruch.

    Allein aufgrund einer Auseinandersetzung mit einer übergriffigen Kassiererin in einem ALDI-Markt, die einige mit Gutschein bezahlte Waren aus dem Einkaufswagen wieder herausholte, wird Akubuo Chukwudi zu 15 Tagessätzen à 11 Euro verurteilt.
(siehe auch: 15. Dezember 00)

Antilager-Tour 2004;

Plataforma Gruppe 24.11.05; caravane-info 22.5.06;

Karawane 26.7.06

 

26. Oktober 04

 

Berlin. Als der 32 Jahre alte Flüchtling Selim S. auf dem Landeseinwohneramt die Grenzübertrittsbescheinigung verlängern lassen will, wird er festgenommen und verliert in seiner Panik das Bewußtsein. Der kriegstraumatisierte Kosovo-Albaner kommt in ein Krankenhaus, aus dem er am nächsten Tag aus Angst vor der Polizei flüchtet.

    Entgegen der Zusage des Oberverwaltungsgerichts wird Herr S. am 12. November auf dem Landeseinwohneramt erneut festgenommen und ins Abschiebegefängnis Köpenick gebracht. Aufgrund seines akuten Erregungszustands und seiner Selbsttötungsäußerungen bekommt er dort zunächst Beruhigungstabletten. Da diese keinen erwünschten Effekt haben, wird Selim S. in das psychiatrische Krankenhaus Hedwigshöhe gebracht.

    Obwohl die Ärzte ihn hier für haftunfähig erklären, erscheinen am nächsten Tag Polizisten und kündigen an, daß sie ihn abschieben werden – notfalls in Begleitung eines Arztes.

    Der im Kosovo aufgewachsene Selim S. hat eine exzessive Verfolgungsgeschichte hinter sich. So wurde er schon als Schüler – später als Student – von serbischen Milizen bedroht, verfolgt und geschlagen. Im Frühjahr 1989 erlebte er einen Giftgasangriff auf seine Schule durch serbische Milizen und leidet noch heute unter den Folgen. Als er 1995 wegen seiner politischen Tätigkeit für die Lidhja Demokratike e Kosovës (LDK – Demokratische Liga des Kosovo) in Polizeihaft kam, wurde er gefoltert. Das Nasenbein und das Handgelenk wurden ihm gebrochen, er wurde mit dem Tode bedroht, man werde ihm den Kopf abschneiden und die Augen ausreißen. Dann wurde er in einen dunklen Keller gesperrt, wo er unter großen Schmerzen und Todesangst 48 Stunden ausharren mußte. Bewußtlos und schwerkrank war er danach bei seiner Familie abgeliefert worden. Er konnte sich erst nach sechs Wochen wieder bewegen. Von da an lebte er auf der Flucht – meistens versteckte er sich in den Wäldern. Im Januar 1997 gelang ihm die Flucht in die BRD.

    Hier mußte er sich aufgrund seiner festgestellten und dokumentierten Posttraumatischen Belastungsstörung und deren körperlichen Folgen verschiedenen medizinischen Therapien unterziehen. Zunehmend und immer wieder abhängig vom Aufenthaltstatus steigerte sich seine Suizidalität.

    Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus geht Selim S. am 10. Dezember erneut ins Landeseinwohneramt in der Nöldnerstraße in Lichtenberg, um seine Grenzübertrittsbescheinigung verlängern zu lassen.

    Im Wartesaal dieses Amtes befindet sich auch der Tresen für die Gespräche mit den Behördenangestellten. Vor dem Tresen befinden sich Glaskästen, in die die Flüchtlinge hineingehen müssen, um mit den SachbearbeiterInnen zu reden.

    Selim S. begibt sich in einen dieser Glaskästen, als er um kurz vor 12.00 Uhr aufgerufen wird. Er legt ärztliche Unterlagen, seine Anmeldebestätigung und die Anmeldung zur Härtefall-Prüfung vor. Er ist in äußerst kritischer Verfassung, denn er war am Vortage aufgrund einer Noteinweisung noch im Krankenhaus gewesen. Die Sachbearbeiterin legt ihm ein Formular vor, das er unterschreiben soll. Als er dies nicht umgehend tut, droht sie ihm mit Haft. Als Selim S. immer noch nicht entsprechend reagiert, droht sie ihm sofortige Inhaftierung für drei und dann sechs Monate an. Dann verschließt sie mit einer Kollegin von außen die Tür der Glaskabine mit der Drohung, daß er so lange nicht herauskäme, bis er unterschrieben hätte.

    In absoluter Panik gelingt es Selim S., die ca. 2,20 Meter hohe Kabinentür durch Hinaufklettern und Herunterspringen zu überwinden. Dann hetzt er zum Fenster und springt aus dem 1. Stock ins Freie. Im Weglaufen hört er noch, wie drei Sachbereiterinnen ihm hinterherrufen, ihn als "Verrückten" bezeichnen und über ihn lachen.

    Nachdem seine Anwältin eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Nötigung und Verletzung eines psychsich Kranken stellt, für den durch Gerichtsbeschluß sowie Härtefallantrag Abschiebeschutz besteht, entschuldigt sich die Ausländerbehörde für den Vorfall.

taz 31.12.04;

FFM – Eva Weber

 

27. Oktober 04

 

Sindelfingen in Baden-Württemberg. Als morgens um 6 Uhr vier Polizisten und zwei Polizistinnen die Eheleute Fekrie und

Sefket Fejzulov zur Abschiebung abholen wollen, springt Herr Fejzulov vom Balkon der im dritten Stock gelegenen Wohnung.

    Fekrie Fejzulov wird derweil zum Flughafen Baden-Airport transportiert, ohne zu wissen, was mit ihrem Mann ist, und ohne einen Cent Geld. Dem Anwalt gelingt es, einen Eilantrag auf Abschiebestop zum Gericht zu faxen, dem ein Richter stattgibt, so daß Fekrie Fejzulov gegen Mittag wieder in Sindelfingen ankommt.

    Ihr Mann ist psychisch krank und schwer herzkrank, was ihm auch das Gesundheitsamt attestiert hatte. Damit sei er nicht transportfähig und eine Behandlung seiner schweren Erkrankungen sei nach einer eventuellen Abschiebung äußerst schwierig, so das Attest weiter. Ein Richter hatte dennoch für die Abschiebung entschieden.

    Die zwei zwischenzeitlich volljährigen Kinder der Eheleute wurden bereits einige Monate zuvor nach Jugoslawien abgeschoben, darunter der Sohn Senad, der mit seinem Verdienst wesentlich den Lebensunterhalt der Familie bestritt.

    Herr Fejzulov kommt auf die Intensiv-Station eines Krankenhauses. Er hatte seinen Suizid im Falle einer Abschiebung mehrmals angekündigt.

SinZ 28.10.04;

AK-INFO AK-Asyl BaWü Dezember 2004

 

27. Oktober 04

 

In der Hamburger JVA Fuhlsbüttel begeht ein 30 Jahre alter Abschiebegefangener aus Marokko einen Suizidversuch.

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469

 

Oktober 04

 

An der tschechisch-bayerischen Grenze in Schirnding entdecken Grenzschutzbeamte in einem Lkw zwischen Kisten von Elektromotoren 50 versteckte Chinesen. Der Transporter wird umgehend aus dem Verkehr gezogen.

FP 22.12.94

 

Oktober 04

 

Bundesland Baden-Württemberg. Eine 31 Jahre alte Kurdin versucht sich zu töten, als sie von der Ablehnung ihres Asylfolgeantrags erfährt. Sie kommt zunächst in stationäre Behandlung, die später ambulant fortgeführt wird. Aufgrund von traumatisierenden Erlebnissen und Gewalterfahrungen leidet die Mutter dreier Kinder unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

    Als sie dem türkischen Konsulat vorgeführt werden soll, muß sie erneut in eine Klinik eingeliefert werden. Hier erscheinen einige Zeit später Polizeibeamte, um sie zur Abschiebung abzuholen. Die Frau bricht wieder zusammen und muß anschließend wegen Suizidalität tagelang beobachtet werden. (siehe auch: Oktober 03 und 10. November 05)

Refugio Villingen-Schwenningen;

Ernst-Ludwig Iskenius – Arzt

 

Oktober 04

 

Gerlingen in Baden-Württemberg. Die siebenköpfige albanische Familie Syla aus dem Kosovo soll abgeschoben werden, obwohl den Behörden amtsärztlich bestätigte psychische Probleme von Frau Syla bekannt sind. Als sich die 45-Jährige im Bad einschließt und Toilettenreiniger schluckt, muß die Abschiebung abgebrochen werden. Frau Syla kommt ins Krankenhaus und kann erst nach drei Monaten entlassen werden.

    Im Februar 2007 stellt der Rechtsanwalt der Familie einen Antrag auf Bleiberecht, weil die Familie alle Voraussetzungen für die Bleiberechtsregelung erfüllt. Herr Syla lebt seit 1993 in Baden-Württemberg und arbeitet als Fahrer bei einer Gerlinger Firma. Frau Syla war mit vier Kindern 1999 gefolgt. Im Jahr 2000 wurde die Tochter Fatjoma geboren.

Das Landratsamt Ludwigsburg lehnt – wie es scheint unter dem Druck des Regierungspräsidiums Stuttgart – diesen Antrag mit folgender Begründung ab: Frau Syla habe keinen ernsthaften Suizidversuch unternommen, sondern habe mit ihrer Handlung nur die Abschiebung verhindern wollen. Damit habe die Familie ihr Recht auf die Anwendung der Altfallregelung verwirkt.

    Darauf folgen längere Auseinandersetzungen zwischen dem Landratsamt Ludwigsburg, dem Regierungspräsidium Stuttgart, dem Verwaltungsgericht und der Anwaltskanzlei. Obwohl der Verwaltungsgerichtshof Mannheim schließlich um die vorläufige Aussetzung einer Abschiebung bittet, wird in der Nacht vom 5. zum 6. November 07 die Wohnungstür mit einem Vorschlaghammer eingeschlagen. 15 Polizisten stürmen die Wohnung der Familie in der Hofwiesenstraße. Die Eltern werden in Handschellen mit den drei minderjährigen Kindern abgeführt – die zwei volljährigen Töchter bleiben zurück.

    UnterstützerInnen vom Gerlinger Arbeitskreis Asyl gelingt es noch in der Nacht, den Anwalt zu erreichen. Er wendet sich an den Verwaltungsgerichtshof, der diesen Fall noch gar nicht entschieden und deshalb die Behörden um Aufschub gebeten hatte. Familie Syla ist bereits am Flughafen Söllingen, als ein Anruf eines Mannheimer Richters die Abschiebung stoppt.

    Im Urteil machen die Richter des Verwaltungsgerichtshofs ihre Position unmißverständlich deutlich: In Deutschland gebe es keine Sippenhaft; der Mann und die Kinder könnten nicht für das "Verhalten" der Ehefrau bzw. Mutter verantwortlich gemacht werden; Frau Syla sei aber wegen der Unverletzlichkeit von Ehe und Familie eine alleinige Ausreise unzumutbar.

    Im August 2008 erhalten Herr Syla und die Kinder Aufenthaltserlaubnisse. Frau Syla bekommt weiterhin eine Duldung.

LT Ba.-Wü DS 14/1960 ;

AK Asyl Stuttgart Jan.08; StZ 28.8.08

 

2. November 04

 

Marktoberdorf in Bayern. Ein 51 Jahre alter Flüchtling aus dem Irak wird abends um 21.30 Uhr in der Füssener Straße auf dem Gelände eines Steinmetz-Betriebes von zwei dunkel gekleideten Männern niedergeschlagen und dabei am Kopf verletzt. Sie fesseln ihr Opfer und verlangen von ihm 50.000 Euro. Als der Flüchtling laut um Hilfe schreit, fliehen die Gewalttäter.

    Dem Mann gelingt es, seine Fesseln zu lösen und mit seinem Handy die Polizei zu rufen.

Allgäuer Ztg 6.11.04;

Polizei Kempten

 

 

2. November 04

 

Justizvollzugsanstalt Dresden. Als die 47 Jahre alte vietnamesische Gefangene Nguyen X. von ihrer Arbeit kommt, wird sie ins Büro der Aufseherin geführt, die ihr mitteilt, daß sie mit einer 14-tägigen Ausgangssperre bestraft wird, weil sie sich verbotenerweise mit Mitgefangenen unterhalten habe.

    Drei Vorfälle werden ihr genannt, aufgrund derer sie bestraft wird. Einmal wurde ihr gesagt, daß sie nur in ein Zimmer deutschsprechender Menschen gegangen sei, um sich mit den Männern zu unterhalten. Ein zweites Mal hatte sie in der Küche, als andere Gefangene nach Musik aus dem Cassettenrecorder tanzten, ein vietnamesisches Lied gesungen, was ihr von der Aufseherin verboten wurde, die sie umgehend in die Zelle schloß. Ein drittes Mal hatte sie mit einem vietnamesischen Gefangenen geredet, weil der sich aufgrund seiner anstehenden Abschiebung von ihr verabschiedete.

    Am Abend bleibt die Zelle von Nguyen X. geschlossen, obwohl ihr die Möglichkeit des Duschens und des Kochens nicht untersagt worden waren. Nach mehrmaligen Anfragen und auch nach der Intervention einer Mitgefangenen sagt sie: "Soll ich denn tot sein, wenn sie mich nicht duschen und kochen lassen?"

    Die Wärterin holt daraufhin KollegInnen, sie legen Frau Nguyen X. Handschellen an und bringen sie in den Disziplinarraum. Hier wird die Gefangene bis auf die Unterwäsche ausgezogen. Ihr werden die Hände auf dem Rücken gefesselt, die Füße gefesselt und Hand- und Fußschellen rücklings mit einer zusätzlichen Schelle verbunden. Frau Nguyen X. schreit laut um Hilfe. Bereits am 14. März hatte sie diese Schaukelfesselung erleiden müssen.

    Hände und Füße schwellen schmerzhaft an, und um 3.00 Uhr morgens löst eine Aufseherin die Fesseln und läßt Frau Nguyen X. in der kalten Zelle und in Unterwäsche zurück. Eine Bitte um eine Decke wird ignoriert.

    Bevor Frau Nguyen X. morgens wieder in ihre Zelle gebracht wird, bekommt sie nach einer ärztlichen Untersuchung Tabletten und eine Salbe ausgehändigt. Am nächsten Morgen erfolgt ihr Transport in das Haftkrankenhaus Leipzig, in dem sie bis zum 10. November bleibt. Danach kommt sie nach einem nächtlichen Aufenthalt in der JVA Chemnitz und einem vierstündigen Aufenthalt in der JVA Dresden zurück in die JVA Chemnitz.

    Aufgrund der öffentlichen Proteste gegen die Foltermethode Schaukelfesselung äußert sich der JVA-Leiter Bernhard Beckmann der Presse gegenüber zynisch: "Sie sollte nicht schaukeln." (siehe auch: 14. März 04)

 Bericht der Betroffenen; JVA Dresden 4.5.04;

 pax christi – Flüchtlingskontakte Dresden 20.11.04;

 taz 27.11.04; SäZ 27.11.04

 

11. November 04

 

Humboldthain-Grundschule in Berlin-Mitte. Zivile Polizeibeamte betreten das Gelände der Schule zwischen 9.00 Uhr und 10.00 Uhr und nehmen die siebenjährige Mimaza Esufi und ihren elfjährigen Bruder Mergim in Gewahrsam.

    Zu diesem Zeitpunkt ist ihre Mutter zusammen mit einem Geschwister bereits festgenommen. Mittags werden alle zusammen über Düsseldorf nach Prishtina abgeschoben.

taz 12.11.04;

FRat Berlin

 

12. November 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Die 16-jährige Sofia X. aus Sierra Leone befindet sich seit acht (!) Monaten in Abschiebehaft. Sie wird trotz medizinischer Reiseunfähigkeitsbescheinigung und Suizidalität in einer Chartermaschine von Berlin-Tegel nach Spanien abgeschoben. Bereits am 5. November hat sie sich – trotz Fesselung – so vehement gegen die Abschiebung gewehrt, daß der Pilot der Maschine ihre Mitnahme verweigerte.

    Die elternlose Sofia X. war aus Sierra Leone geflohen, als ihr Onkel eine Beschneidung bei ihr vornehmen lassen wollte. Auf der Flucht geriet sie in die Hände eines Zuhälters, der sie im Dezember 2003 nach Deutschland brachte. Hier war sie bei einer Razzia in einem Bordell festgenommen worden.

jW 15.11.04

 

14. November 04

 

Hamburg. Eine 27-jährige Asylbewerberin wird vor den Augen ihrer vier Kinder von ihrem getrennt lebenden Mann mit mehreren Messerstichen getötet.

    Da die Frau lediglich einen Duldungsstatus hatte, gehörte sie zu der Gruppe, die seit einem Bescheid von Frauensenatorin Schnieber-Jastram (CDU) keinen Zugang zu Frauenhäusern mehr hat. Die bedrohten "geduldeten" Frauen sind der Männergewalt schutzlos ausgeliefert.

    Obwohl den Sozialarbeitern in der Flüchtlingsunterkunft Hamburg-Volksdorf bekannt war, daß sich die Frau "bedroht und verfolgt fühlt", konnten sie der Frau lediglich anbieten, sie "anonym" in anderen öffentlichen Heimen unterzubringen. Sie hatte diese Angebote jedoch ausgeschlagen, weil die Häuser nicht verschlossen sind und dadurch Männer uneingeschränkten Zugang dazu haben.

taz-HH 23.11.04; jW 10.12.04;

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/1253; taz HH 15.11.05

 

16. November 04

 

Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main in Cargo City Süd, Gebäude C 587. Die hochschwangere Jenny Setiawan, ihr pakistanischer Lebenspartner Imram Firasat und ihr Sohn werden in ein Flugzeug gesetzt und in Begleitung von drei BGS-Beamten und einem Arzt abgeflogen. Nach 14 Stunden Flug und einem kurzen Zwischenstop in Jakarta landet die Maschine in Indonesien. Dort wird die Aufnahme der Familie wegen fehlender gültiger Papiere verweigert, so daß die Familie mit derselben Maschine zurückgebracht wird. Die großen Schmerzen, die bei Jenny Setiawan einsetzen, werden von dem mitfliegenden Arzt als "normale" Schwangerschaftsbeschwerden abgetan – er verweigert demzufolge auch die Applikation von schmerzstillenden Mitteln.

    Nach 24 Stunden Rückflug landet die Familie am
18. November um 5.50 Uhr auf dem Flughafen Frankfurt und wird wieder in die Flughafen-Unterkunft gebracht.

    Der Abschiebeversuch geschah, obwohl eine Härtefallentscheidung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages noch aussteht. Die zweite Abschiebung wird behördlich vorbereitet.

FR 19.11.04;

Komitee f. Grundrechte u. Demokratie 26.11.04

 

16. November 04

 

Bützow in Mecklenburg-Vorpommern. Ein 34 Jahre alter Flüchtling aus Togo wird aus einer Gruppe Jugendlicher heraus rassistisch beschimpft. Nachdem er seinen Weg fortsetzt, überfallen ihn zwei Männer. Sie beschimpfen ihn als "Scheiß Neger" und schlagen ihm mit einem Gegenstand so heftig ins Gesicht, daß er hinfällt. Dann zerren die Täter ihn in ein Gebüsch und treten auf ihn ein. Der Togoer muß seine zahlreichen Verletzungen drei Tage lang im Krankenhaus behandeln lassen. Von den Tätern fehlt jede Spur.

LOBBI

 

16. November 04

 

Im Asyl- und Obdachlosenheim des sächsischen Großdeuben wird um 1.00 Uhr nachts im Büro der Heimleitung Feuer gelegt. Der sich dadurch entwickelnde Schwelbrand kann frühzeitig gelöscht werden.

    Im Dezember wird ein Iraker wegen schwerer Brandstiftung zu einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

LVZ 18.11.04; LVZ 20.12.05

 

16. November 04

 

Wilhelmshaven in Niedersachsen. Morgens um 5.00 Uhr erscheint die Polizei bei der Roma-Familie Mustafa/Asani und nimmt die 23-jährige Bajramsa Asani und ihren dreijährigen Sohn Sali Mustafa mit, um sie nach Belgrad abzuschieben. Damit wird die Familie getrennt.

    Frau Asani ist zu 70% körperbehindert und leidet unter schweren Gleichgewichtsstörungen, so daß sie nur taumelnd gehen kann und oft hinstürzt. Amtlicherseits wurde ihr die Notwendigkeit einer ständige Begleitung attestiert. Auch beschreibt das Jugendamt, daß sie nicht in der Lage ist, für ihren Sohn zu sorgen, so daß ihr Mann Zenel Mustafa das alleinige Sorgerecht bekam. Diese staatliche "Fürsorge" galt allerdings nur bis zur Abschiebung.

    Nach der Abschiebung von Bajramsa Asani und ihrem Sohn argumentieren die Richter anders. Die Realität für Roma aus dem Kosovo in Serbien mißachtend, heißt es jetzt, daß Zenel Mustafa ja nach Belgrad fahren könne, um mit seiner Familie zusammen leben zu können.

    Frau Asani wird von Verwandten aufgenommen, die sehr arm sind und weder die medizinische Behandlung noch die Medikamente für die verzweifelte Frau finanzieren können. (siehe auch: 16. Juni 03)

Migrationsberatung Wilhelmshaven; IMRV Bremen

 

22. November 04

 

Im baden-württembergischen Crailshaim entdecken Beamte der Bundespolizei in einem Hohlraum eines Kleintransporters fünf durchnäßte und erschöpfte chinesische Staatsbürger.

BT-Drucksache 16/9

 

24. November 04

 

Bad Münder am Deister in Niedersachsen. Am frühen Morgen stehen Beamte des Bundesgrenzschutzes vor der Tür der Familie Hasic. Sie nehmen Herrn Hasic, die vier und fünf Jahre alten Kinder und den sechs Monate alten Säugling mit, setzen sie in ein Polizeifahrzeug und fahren sie zum Flughafen Frankfurt am Main, um sie nach Serbien abzuschieben. Die noch stillende Mutter des Babys bleibt zurück.

    Zu dem Vorwurf der Körperverletzung des Anwalts der Familie, dem es gelingt, die Abschiebung in letzter Minute zu stoppen, äußert sich der kommissarische Leiter des Ausländeramtes wie folgt: "Alle Beteiligten waren der Auffassung, dass das Kind auch ohne Mutter ausreichend versorgt werden konnte." So hätten Vollzugskräfte sogar ein Fläschchen Milch und einen Kindersitz dabei gehabt.

NDZ 2.12.04

 

24. November 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 16 Jahre alter libanesischer Gefangener schlägt wiederholt mit seinem Kopf gegen die Kante einer Metallverkleidung und gegen die Wand im Aufenthaltsraum. Mit mehreren Platzwunden wird er zur ärztlichen Versorgung ins Krankenhaus gebracht.

Polizei Berlin 24.11.04;

BK 25.11.04; taz 27.11.04

 

24. November 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Um 16.15 Uhr formt ein russischer Gefangener aus seinem Bettlaken eine Schlinge, verknotet diese an einem Befestigungsteil der Toilettentür und hängt seinen Kopf in die Schlinge. Ein Wachmann entdeckt den 19-Jährigen sofort, löst das Laken und benachrichtigt einen Sanitäter. Der Gefangene kommt ins Krankenhaus und wird am gleichen Abend wieder in das Gefängnis zurückgebracht.

Polizei Berlin 26.11.04;

taz 28.11.04

 

25. November 04

 

Backnang in Baden-Württemberg. Bei einer Polizei-Razzia in der Flüchtlingsunterkunft in der Gartenstraße erleidet eine Frau einen Schock, so daß ein Notarzt geholt werden muß.

    Die Polizei ist mit 200 Einsatzkräften vor Ort: Beamte der Bereitschaftspolizei Böblingen, der Kriminalpolizei, der Drogenermittlungsgruppe, des Polizeireviers Backnang und fünf Hundeführer der Diensthundeführerstaffeln aus Waiblingen und Esslingen. Das Gelände wird morgens um 6 Uhr abgeriegelt, taghell ausgeleuchtet, und die Beamten öffnen ohne Vorankündigung mit einer Ramme Türen der BewohnerInnen.

    Das Ergebnis des dreistündigen Spektakels: der Fund von 124 g Drogen und zwei Festnahmen.

BKZ 26.11.04

 

25. November 04

 

Nordrhein-Westfalen. Ungeachtet des Widerspruchs der UNMIK (United Nation Administration Mission in Kosovo) und ungeachtet eines Eilantrages beim zuständigen Verwaltungsgericht setzt die Ausländerbehörde Düsseldorf die kranke Frau A. und ihre drei minderjährigen Kinder in ein Flugzeug, um sie in den Kosovo abzuschieben. Der Familienvater soll als einziger in Deutschland zurückbleiben.

    Die Frau kollabiert auf dem Flug und wird bewußtlos. Als eine an Bord befindliche Begleitärztin vom Weiterflug abrät, landet die Maschine außerplanmäßig auf dem Frankfurter Flughafen. Hier erfolgt der Transport der Frau mit dem Krankenwagen zur Flughafenambulanz. Der dort tätige Arzt stellt nach Augenschein fest, daß Frau A. simuliere und durchaus weiterfliegen könne. Dann öffnet der Mediziner ihren Mund mit zwei Fingern und schiebt ihr – ohne weitere Erklärung – eine Tablette unter die Zunge. Er hält Frau A. dann solange fest, bis sich die Tablette aufgelöst hat und sie müde wird und vollständig einschläft.

    Als Frau A. tief schlafend wieder zur Abschiebe-Maschine gebracht wird, beginnen ihre drei Kinder in Panik zu schreien, weil sie denken, daß ihre Mutter tot ist. Unterstützt von der Bordärztin weigert sich der Flugkapitän, Frau A. wieder an Bord zu nehmen, so daß die Abschiebung abgebrochen werden muß.

    Mit einem Kleinbus des Zolls wird Frau A. mit ihren Kindern wieder zurück nach Euskirchen gebacht. Dorthin, wo sie am frühen Morgen abgeholt worden war und ihre Kinder von den Beamten aus dem Schlaf gerissen wurden.

    In der folgenden Nacht verschlimmert sich ihr Gesundheitszustand dermaßen, daß ihr Mann sie ins Marienhospital bringen muß. Später kommt Frau A. in neurologische Behandlung.

    Dem Familienvater, der in Düren gemeldet ist, war ein Antrag auf Umverteilung abgelehnt worden. Er durfte jedoch mit ausdrücklicher Duldung der Ausländerbehörde Düren bei seiner Familie in Euskirchen leben. Die gewaltsame Familientrennung durch die Abschiebung der Mutter mit den Kindern begründet der Leiter der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) Düsseldorf, Herr Lindemann, damit, daß die Familie ohnehin nicht zusammen lebe.

    Nach der gescheiterten Abschiebung der Mutter mit den Kindern wird seine Besuchserlaubnis bis zum 13. Dezember 2004 befristet. Danach muß er wieder in Düren wohnen.

taz-Ruhr 29.11.04;

FRat NRW

 

28. November 04

 

Bundesland Brandenburg. In Erlenhof in Potsdam-Schlaatz versucht ein 18 Jahre alter iranischer Flüchtling am Abend, sich mit einem Messer zu erstechen. Er kann rechtzeitig davon abgehalten werden und kommt "zum eigenen Schutz" zunächst in Haft.

PNN 30.11.04

 

30. November 04

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Der 26-jährige Flüchtling Komi E. aus Togo befindet sich in der Schlange vor der Kasse eines REWE-Marktes am Hauptbahnhof, als sich ein junger Mann vor ihm umdreht, ihn als "Neger" beschimpft und ihm dann mit voller Wucht ins Gesicht schlägt. Zwei Angestellte einer Sicherheitsfirma kommen hinzu und können einen abermaligen Angriff verhindern.

    Herr E. muß seine verletzte linke Gesichtshälfte und das Auge ärztlich behandeln lassen. Schwerwiegender sind die Langzeitfolgen des Angriffs. Herrn E. leidet häufig unter quälenden Kopfschmerzen und unter so starken Ängsten, daß er sich einer mehr als dreijährigen psychotherapeutischen Behandlung unterziehen muß.

    Der Täter wird später vom Amtsgericht Halle wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe von 1000 Euro verurteilt.

Bericht des Betroffenen;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

Ende November 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 22-jähriger libanesischer Gefangener schlägt seinen Kopf so heftig gegen die Zellenwand, daß eine große, stark blutende Platzwunde an der Stirn entsteht. (siehe auch: 25. Dezember 04)

Pfarrer D. Ziebarth

 

November 04

 

Bundesland Thüringen. In Erfurt wird ein Asylbewerber aus Kamerun von zwei deutschen Männern rassistisch beschimpft und beleidigt, dann schlagen sie dem Mann ins Gesicht und werfen ihn zu Boden.

    Zeugen rufen die Polizei, so daß die Täter identifiziert und Anzeige gegen sie erstattet werden kann.

    Der Kameruner muß sich mit einer Platzwunde im Mundbereich in ärztliche Behandlung begeben.

THO Chronik (Bericht des Betroffenen)

 

1. Dezember 04

 

Der 30 Jahre alte Angolaner Miquel N. wird aus der Justizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee nach sechs Monaten Strafhaft abgeholt und nach Luanda abgeschoben.

    Er leidet seit Jahren unter schweren psychischen Veränderungen. Eine Psychologin, die ihn in der Haft besuchte, riet, diese Symptome "unverzüglich im Rahmen eines psychiatrischen Diagnostischen Verfahrens zu überprüfen, da Hinweise auf eine schwere psychiatrische Erkrankung vorliegen". Sie schrieb weiter, daß er "nicht in der Lage" sei, "ohne Fremdhilfe für sich selber zu sorgen."

    Damit bestätigte die Psychologin die Aussagen der Bekannten und Freunde und sogar des Wachpersonals in der JVA. Sie alle erkennen, daß der Gefangene "nicht normal" ist, weil die Worte, die er spricht, und die Dinge, die er tut, in keinem Zusammenhang zur Realität stehen. Die Strafe, die der Angolaner im Gefängnis absitzen mußte, war wegen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis (Beförderungserschleichung) in 13 Fällen gegen ihn verhängt worden. Im Urteil wurde strafmildernd berücksichtigt: "Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Tatvorwürfe in vollem Umfang einge-räumt. Er bekomme keine Fahrkarte vom Sozialamt. Oft habe er selbst kein Geld, um sich eine Karte zu kaufen. Ihm fehle selbst das Geld, etwas zu essen zu kaufen."

    Der Angolaner war als 15-jähriger unbegleiteter Flüchtling vor 15 Jahren in die BRD geflohen. Auch die Vaterschaft einer siebenjährigen Tochter, deren Mutter eine Deutsche ist, konnte seine Abschiebung nicht verhindern. Er wurde abgeschoben mit der alten, kaputten und schmutzigen Kleidung, die er in der letzten Zeit im Gefängnis anhatte. Eine Gelegenheit, seine Wohnung aufzulösen oder Habseligkeiten nach eineinhalb Jahrzehnten Deutschland-Aufenthalt mitzunehmen, bekam er nicht.

Antirassistische Initiative Berlin

 

1. Dezember 04

 

Abschiebehaft in Ingelheim in Rheinland-Pfalz. Morgens um 5 Uhr wird der kongolesische Flüchtling M. S. geweckt und aufgefordert, sofort mitzukommen. Die Wachmänner lassen ihm keine Zeit, sich Schuhe und Hose anzuziehen.

    Nachdem dem Mann Hand- und Fußschellen angelegt wurden, muß er einen Bus besteigen, der ihn zum Flughafen nach Bremen fahren soll. In seiner Begleitung befindet sich ein Mann, der sich als Arzt vorgestellt hat. Als der Gefangene einen Schwächeanfall sowie starke Schmerzen in Brust und Rücken bekommt, erklärt der Arzt, daß die Ursache dieser Schmerzen die starke Fesselung sei. Um 13 Uhr erreicht der Bus den Flughafen, und M. S. wird einer Leibesvisitation unterzogen.

    Als Herr S. ins Flugzeug einsteigen soll, beginnt er sich zu widersetzen. Es sind schließlich sechs Beamte, die ihn unter Schlägen auf den Boden zwingen. Nachdem ihm erneut Handschellen angelegt sind, erfolgt eine dreimalige Fesselung der Füße. Dann wird er in eine Decke gewickelt, und weil er nun nicht mehr laufen kann, wird er in den Bus geworfen und dann zum Terminal gefahren. Der Flugkapitän der Linienmaschine weigert sich schließlich den Flüchtling mitzunehmen.

    Im Januar 2005 wird M. S. mit einer Chartermaschine in die Demokratische Republik Kongo abgeschoben.

Menschen in Abschiebehaft März 05

 

2. Dezember 04

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Ein Flüchtling aus dem Kongo wird nach abgelehntem Asylantrag abgeschoben und noch auf dem Flughafen in Kinshasa verhaftet. Bei seiner Entlassung sind seine wenigen Habseligkeiten verschwunden.

    Eine Woche zuvor war er nach der Erstürmung seiner Wohnung durch ein Sondereinsatzkommando verhaftet und in Abschiebehaft genommen worden. Da auch seine Frau und die drei Kinder akut abschiebebedroht sind, sind sie gezwungen, in die Illegalität zu gehen.

Antirassistische Initiative Berlin;

DoZ 7.12.04; WAZ 9.12.04

 

2. Dezember 04

 

Gegen Mitternacht wird starker Rauch in der Flüchtlingsunterkunft an der Dinslakener Fliehburg gemeldet. Ein defekter Nachtspeicherofen wird als Ursache für den Schwelbrand vermutet. Von den BewohnerInnen wird niemand verletzt.

Dinportal.de 3.12.04

 

4. Dezember 04

 

Bundesland Bayern. Der liberianische Asylbewerber Herr A. aus Nürnberg wird aus der Abschiebehaft heraus abgeschoben und damit von seiner deutschen Ehefrau getrennt.

    Die beiden waren zur Eheschließung am 25. Oktober nach Norwegen gefahren, weil die in der BRD erforderlichen Papiere aus Liberia aufgrund der dortigen chaotischen Verhältnisse nicht zu bekommen waren.

    Herr A. wird nach der Eheschließung von Norwegen in die BRD rückgeführt und kommt unmittelbar in Abschiebehaft.

    Weil es in Liberia keine deutsche Auslandsvertretung gibt, muß Herr A. an die Elfenbeinküste (Côte d'Ivoire) fahren, um in Abijan bei der Deutschen Botschaft den Familiennachzug zu beantragen.

    Dafür notwendig ist die Bezahlung der Abschiebekosten, die sich auf 2.913,27 Euro belaufen. Darin enthalten sind 70 Tagessätze à 70 Euro für die Abschiebehaft und die Kosten für einige Transporte nach München und schließlich zum Flughafen. Mit Hilfe von UnterstützerInnen kann die erste Anzahlung in Höhe von 1.500 Euro geleistet werden.

    Die zähen Verhandlungen der Eheleute mit der Ausländerbehörde Nürnberg und der Deutschen Botschaft gipfeln im April 2005 in der Verweigerung der Zustimmung zur Visumserteilung der Ausländerbehörde gegenüber der Deutschen Botschaft.

    Aufgrund der politischen Situation in Côte d'Ivoire begibt sich Herr A. nach Ghana. Seine Ehefrau besucht ihn im Jahre 2006 für sechs Monate. Als sie nach Nürnberg zurückkehrt, ist sie schwanger.

    Die Deutsche Botschaft in Ghana stellt die Anfrage auf Zustimmung zum Familiennachzug von Herrn A. an die Ausländerbehörde in Nürnberg. Diese lehnt dies mangels ausreichender Identitätsabklärung ab, was bedeutet, daß der liberianische Paß von Herrn A., der für die Abschiebung gültig war, für die Rückkehr im Zuge des Familiennachzugs behördlicherseits ungültig ist. Ein Entscheid des zuständigen Gerichtes in Berlin verpflichtet die Verantwortlichen schließlich zur sofortigen Erteilung eines Visums.

    Am 7. April 2007 kann Herr A. zu seiner Frau zurückkehren und sieht seine vor zwei Monaten geborene Tochter zum ersten Mal.

Alternativer Menschenrechtsbericht 2007

 

6. Dezember 04

 

Als die Polizei an seiner Wohnungstür im hessischen Frankfurt klingelt, öffnet der 36 Jahre alte Marokkaner die Tür. Er zeigt nach Aufforderung eine französische Identitätskarte vor, die die Polizisten allerdings als gefälscht erkennen. Als sie versuchen, den Mann festzunehmen, flüchtet er und springt aus dem Fenster. Bei dem Sturz aus dem zweiten Stock bricht er sich ein Bein und kommt ins Krankenhaus.

OP 8.12.04;

Polizei Frankfurt

 

6. Dezember 04

 

Berlin. Die 11-jährige Emina S. und ihre 13-jährige Schwester Lejla werden von Polizisten aus dem Unterricht geholt und festgenommen. Unmittelbar zuvor sind ihre Eltern und ihre 20-jährige Schwester Edisa in der Ausländerbehörde ebenfalls festgenommen worden. Die bosnische Familie muslimischen Glaubens soll nach zehnjährigem Deutschland-Aufenthalt abgeschoben werden.

    Alle Kinder verbringen die folgende Nacht im Abschiebegefängnis, bis am nächsten Tag beim Haftprüfungstermin ihre Freilassung entschieden wird. Im Gefängnis bleiben die schwer kriegstraumatisierte Mutter und der Vater.

    Erst am 13. Januar 2005 kann mit anwaltlicher Hilfe erreicht werden, daß die Eltern aus der Abschiebehaft entlassen werden.

FRat Berlin

 

7. Dezember 04

 

Peine in Niedersachsen. Um 0.20 Uhr erscheinen Polizeibeamte in der St. Jakobi-Kirchengemeinde und halten Pastor Niemann vor, daß er eine "kriminelle Handlung begehe und gegen den Paragraphen 92a – Einschleusen von Ausländern – des Ausländergesetzes verstoße." Herr Niemann verweist auf den Beschluß des Kirchenvorstands, der besagt, daß der vietnamesischen Familie Le / Van seit gestern Kirchenasyl gewährt wird.

    Um 1 Uhr nachts erscheinen die Beamten erneut, jetzt aber in größerer Anzahl – die Streifenwagen sperren sogar die Straßenkreuzungen ab. Der Kreis-Fachbereichsleiter für Umwelt, Bauen und Ordnung, Wolfgang Gemba, ist persönlich vor Ort, läßt keine weiteren Diskussionen zu und ordnet die gewaltsame Durchsetzung der Abschiebung an.

    Die Eheleute Ngoc Thu Le und Manh Tu, ihre 14-jährige Tochter Thu Nga und der 10-jährige Minh Duc werden in den BGS-Bus geführt. Die vierjährige Hanh Duc wird schlafend zum Bus getragen. Über den Flughafen Frankfurt am Main wird die Familie um 12 Uhr im Rahmen einer Sammelabschiebung mit 20 weiteren Flüchtlingen nach Hanoi ausgeflogen.

    Weil der 10-jährige Minh Duc an einer "atypischen autistischen Erkrankung" und akuter Klaustrophobie leidet, hatte bereits am 23. Juli 04 das Verwaltungsgericht Braunschweig auf der Grundlage amtsärztlicher Stellungnahmen die Abschiebung wegen der Dauer des Fluges und der damit verbundenen außergewöhnlichen psychischen Belastungen für das Kind untersagt.

    Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bescheidet schließlich die Zulässigkeit einer Abschiebung unter folgenden Bedingungen: Die Abschiebung muß in Begleitung eines Arztes oder einer Ärztin erfolgen unter Einrichtung einer Patientenkabine, und der Flug muß Nonstop nach Hanoi gehen.

    Diese Vorgaben werden bei der Abschiebung ignoriert. Es gibt einen längeren Zwischenstop in Singapur, bevor die Familie weiter nach Hanoi fliegt. Die Familie und auch der unter Platzangst leidende Minh Duc sitzen im Passagierraum in normalen engen Sitzen, so daß der Junge Wutausbrüche bekommt, sich übergeben muß und mehrere Male Nasenbluten bekommt. Die begleitende Ärztin interveniert nicht.

    Im Juni 2005 kann die 15-jährige Thu Nga Van in die BRD zurückkehren, nachdem ihre leiblichen Eltern die Zustimmung zu einer Adoption ihrer Tochter durch ein befreundetes Ehepaar aus Peine gegeben haben. Der "Runde Tisch Thu Nga" unterstützt und finanziert das Mädchen und auch die Familie in Hanoi. So kann der Besuch einer Privatschule für den behinderten Bruder Minh Duc gewährleistet werden.

    Thu Nga macht Abitur und studiert anschließend Englisch und Französisch in Göttingen – sie will Lehrerin werden. Auch den Jahreswechsel ins Jahr 2012 muß die inzwischen 20-Jährige getrennt von ihren leiblichen Eltern und ihrem Bruder verbringen.

FRat NieSa Heft 104/105 Jan. 2005;

PAZ 21.10.08; BrZ 25.10.08;  jW 19.11.08;

epd Niedersachsen 14.12.11

 

7. Dezember 04

 

Tschiana Nguya stirbt sechs Stunden nach der Geburt ihres Kindes, das nur eine Stunde lebte. Sie war am 26. August 2004 schwanger und krank – zusammen mit dem zehnjährigen Josephat und der zweijährigen Priscilla – aus Niedersachsen in den Kongo abgeschoben worden.

    Die kongolesische Familie Kisiwu / Nguya sollte bereits am 17. Februar 2004 über Amsterdam abgeschoben werden (siehe dort). Diese Abschiebung wurde jedoch von den niederländischen Behörden abgebrochen und die Familie in die BRD zurückgeschickt. Aus Angst vor einem erneuten Abschiebungsversuch durch die Ausländerbehörde in Hameln kehrte sie nicht in die ihnen zugewiesene Gemeinde Emmerthal bei Hameln zurück und hoffte auf eine positive Entscheidung des Niedersächsischen Landtags, bei dem ihre Rechtsanwältin umgehend eine Petition einreichte.

    Da es Frau Nguya gesundheitlich sehr schlecht ging – sie war wieder schwanger und fand keinen Arzt, der sie ohne Krankenschein behandeln wollte –, fuhr sie am 21. Juni nach Hameln, um einen entsprechenden Behandlungsschein zu besorgen. Als die Ausländerbehörde in Hameln von der Rückkehr erfuhr, wurde Frau Nguya mit den Kindern kurzerhand festgenommen und in die Abschiebehaft nach Hannover-Langenhagen gebracht. Das Jugendamt Hannover brachte Josephat und Priscilla an unbekanntem Ort unter; Angehörigen wurde der Kontakt zu den Kindern verwehrt.

    Anfang September erfolgte die Abschiebung von Frau Nguya mit den zwei Kindern; ihr Ehemann Freddy Kisiwu und der inzwischen 15-jährige Sohn – er war beim ersten Abschiebeversuch der Familie geflüchtet – blieben mit unbekanntem Aufenthalt in Westeuropa.

    Nach der Ankunft in Kinshasa wurde Frau Nguya sofort in Polizeihaft genommen. Über die Dauer und die Bedingungen ihrer Inhaftierung liegen diverse unterschiedliche Berichte vor. Ein evangelischer Pastor erklärte sich bereit, die Kinder Josephat und Priscilla vorübergehend zu betreuen, und nahm schließlich auch Frau Nguya auf, die inzwischen hochschwanger und sehr krank war und daher vorübergehend entlassen wurde. Sie stirbt in der Polyklinik Kimbaguiste – nach den Recherchen des TV-Polit-Magazins Monitor an einer nicht behandelten Blutvergiftung, deren Ursache in verdorbenem Essen, verschmutztem Wasser und fehlender medizinischer Versorgung vermutet wird.

    Im Januar 2007 leben die beiden Kinder immer noch beim Pastor in Kinshasa, obwohl dieser wiederholt darauf hingewiesen hat, daß er Josephat und Priscilla nicht auf Dauer versorgen könne und daß der deutsche Staat dafür Verantwortung trage.

    Die Petition vom 8. März 2004 – mit Schreiben vom 29. September 2006 auf Familienzusammenführung erweitert – wird nach mehrmaliger Nachfrage der Rechtsanwältin schließlich Anfang Januar 2007 (!) vom Petitionsausschuß mit dem Ergebnis beraten und beschieden, es werde kein Anlaß gesehen, den Fall erneut aufzugreifen. Allerdings bittet der Ausschuß zugleich darum, daß die Erteilung von Visa zum Zweck der Wiedereinreise und Familienzusammenführung unter Berücksichtigung des besonders schweren Schicksals der Familie wohlwollend geprüft werde.

    Ein Beitrag der TV-Sendung Monitor hatte das Schicksal der Familie Nguya / Kisiwu einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht und eine Welle der Anteilnahme und Spendenbereitschaft ausgelöst. Die Anwältin und die Berliner Tante der Kinder bemühen sich um die Rückkehr.

    Nachdem sich die Länder Niedersachsen und Berlin darauf geeinigt haben, die Wiedereinreisesperre aufzuheben, mühsam eine Sorgerechtsentscheidung nach kongolesischem Recht beschafft ist und die deutsche Botschaft die Visa erteilt hat, kehren der inzwischen 13-jährige Josephat und seine

5-jährige Schwester Priscilla am 28. Mai 2007 in die Bundesrepublik zurück.

    Sie leben heute bei ihrer Tante in Berlin. Der Vater und der inzwischen 17-jährige Bruder sind weiterhin in der Illegalität. (siehe auch: 17. Februar 04)

Emmi Gleim-Msemo – Rechtsanwältin;

Antirassistische Initiative Berlin;

FRat NieSa; Monitor 21.12.06

 

8. Dezember 04

 

Aalen in Baden-Württemberg. Als sich um 2 Uhr morgens in der Ziegelstraße nach dem Klingeln an der Haustür der togoischen Familie Douty nichts tut, schlagen die Polizeibeamten die Scheibe der Glastür ein und verschaffen sich so Zugang. Der Familienvater Didier Douty und die beiden sieben- und achtjährigen Kinder werden mitgenommen. Die Mutter ist zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend.

    Bereits um 18.15 Uhr sitzt Didier Douty in einem Charter-Flugzeug, das in einer landesübergreifenden Abschiebeaktion Flüchtlinge nach Kamerun, Nigeria und Togo ausfliegt.

Die Abgeschobenen werden laut Presseerklärung des Regierungspräsidiums Stuttgart in zwei Kategorien unterteilt: Sechs Personen seien "rechtskräfig verurteilte Straftäter" und zwölf hätten durch "Täuschung oder aggressives Verhalten eine Abschiebung verhindert". Die zweite Gruppe soll im Rahmen einer Botschaftsvorführung die Identitätsfeststellung mit der Übergabe politischer Schriften "sabotiert" haben. Hierzu wird Didier Douty gerechnet, obwohl ihm eine direkte Beteiligung an dem Tumult in der Botschaft nicht unterstellt wird.

    Didier Douty kam vor 12 Jahren in die BRD und arbeitete von Beginn an in ein und derselben Firma als Lagerverwalter. Aber auch die Bemühungen seines Arbeitgebers schützen ihn nicht vor der Abschiebung nach Togo, wo ihm politische Verfolgung droht.

    Weil die Mutter bei der Abschiebung fehlte, werden die Kinder Oskar und Linda nach Aalen zurückgeschickt und kommen in ein Kinderheim. Um eine Verhaftung und anschließende Abschiebung zu vermeiden, ist Djaba Douty, die Mutter der beiden Kinder, vorübergehend untergetaucht.

    Als das Verwaltungsgericht Stuttgart Abschiebehinder-nisse feststellt, kann Djaba Douty mit ihren Kindern wieder in ihre alte Wohnung zurückkehren.

    Seit der Abschiebung gibt es kein Lebenszeichen von Didier Douty – er gilt als verschollen.

    Eine für den 18. November 2006 geplante Abschiebung von Djaba Douty und den Kindern wird allein durch die couragierte Weigerung des Piloten einer französischen Linienmaschine abgebrochen, so daß die Familie wieder zurück nach Aalen kann. Die evangelische und die katholische Kirche, die LehrerInnen der Kinder, Abgeordnete und eine große Zahl von Aalener Menschen setzen sich inzwischen für ein Bleiberecht der  Familie ein. Sogar der Landrat und der Oberbürgermeister wenden sich schriftlich an den Innenminister Rech.

Schwäbische Post Aalen 9.12.04;

AIZ August 2005;

FRat BaWü 20.11.06; SchwZ 20.11.06;

SchwZ 21.11.06; AN 21.11.06;

Stadt Aalen 22.11.06; SchwZ 24.11.06

 

9. Dezember 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Die 44 Jahre alte Rabija Radoncic, die sich seit dem 13. Oktober in Abschiebehaft befindet, wird überraschend abgeholt und über Düsseldorf in den Kosovo abgeschoben. Rabija Radoncic ist halbseitig gelähmt und leidet unter Epilepsie und Herzrhythmusstörungen. Sie kann ohne Hilfe und ohne Medikamente nicht leben. Vom Land Berlin, in dem sie seit elf Jahren lebt, hatte sie einen Schwerbehindertenausweis, der ihre 80-prozentige Behinderung bestätigt. Nur nach drängenden Bitten erklären sich Bedienstete des Düsseldorfer Flughafens bereit, ihren in Berlin lebenden Bruder über ihre heimliche Abschiebung zu informieren.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Flüchtlingsrat Berlin

 

10. Dezember 04

 

Sunny Omwenyeke tritt eine 15-tägige Gefängnisstrafe in Bremen an. Sein Vergehen ist ein Verstoß gegen die "Residenzpflicht". Der Menschenrechtsaktivist aus Nigeria und Aktivist der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen war im Jahre 2000 an den Vorbereitungen des Flüchtlingskongresses in Jena beteiligt. Die erforderliche Erlaubnis, zu diesem Zwecke seinen Landkreis zu verlassen, hatte ihm der Leiter der Ausländerbehörde Wolfsburg nicht erteilt. Auf dem Wege nach Jena geriet Sunny Omwenyeke in eine Polizeikontrolle und erhielt eine Geldbuße, die er mit dem Verweis auf Menschenrechtsverletzungen nicht bezahlte: "Wir werden so lange vor Gericht gegen diese Strafen klagen, bis die Residenzpflicht abgeschafft ist."

    Im Jahre 2003 wird er vom Amtsgericht Bremen zu 15 Tagessätzen à 7,50 Euro verurteilt. Rechtsmittel gegen das Urteil bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht blieben erfolglos.

    "Ich kann unmöglich eine Strafe für ein solch diskriminierendes Gesetz bezahlen, es ist mit meinen Prinzipien nicht vereinbar – ich gehe lieber aufrecht ins Gefängnis, als mich zu beugen. Kein anderes sich demokratisch nennendes Land auf der Welt hat ein solches Gesetz. Lediglich die Passgesetze aus Südafrika zu Zeiten der Apartheid waren vergleichbar, aber die wurden glücklicherweise abgeschafft."

    Zusammen mit einem internationalen Team von AnwältInnen hat Sunny Omwenyeke eine Klage gegen die BRD vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht.

taz Bremen13.12.04;

 FR 14.12.04;  Karawane;

The VOICE 16.12.04;

FRat NieSa Heft 104/105 Januar 2005

 

13. Dezember 04

 

Im Berliner Bezirk Mitte bricht im Flüchtlingsheim in der Chausseestraße 54 nachts im zweiten Obergeschoß des Hinterhauses ein Feuer aus. Durch die starke Rauchentwicklung flüchten viele BewohnerInnen auf die Straße. Eine Frau, ein Kind und ein Feuerwehrmann erleiden Rauchvergiftungen. Die Feuerwehr vermutet als Ursache des Brandes fahrlässige Brandstiftung.

BeZ 14.12.04

 

16. Dezember 04

 

Ausländerbehörde Berlin. Nach Mitteilung, daß die bis heute gültige Duldung nicht verlängert wird, sie beide nun festgenommen sind und abgeschoben werden, bricht die 58 Jahre alte Bosnierin M. H. auf dem Weg in die Abschiebehaft zusammen. Auch Ihr Mann O. H. (62 Jahre alt) muß nach seinem Gerichtstermin im Abschiebegefängnis medizinisch betreut werden.

    Frau H. wird umgehend ins DRK-Krankenhaus Köpenick, dann ins psychiatrische Krankenhaus Hedwigshöhe und schließlich ins Krankenhaus Neukölln gebracht (Kriseninterventionszentrum). Wenig später erfolgt auch die Einlieferung ihres Mannes ins Neuköllner Krankenhaus, wo sie beide zwei Wochen lang psychotherapeutisch behandelt werden.

    Die Eheleute waren vor 10 Jahren kriegsbedingt nach Berlin geflohen, und Frau H. ist seit 1994 in psychotherapeutischer Behandlung – ihr Mann seit 1995. Seit Jahren liegen der Ausländerbehörde Atteste von den verschiedenen behandelnden Ärzten vor. Im Jahre 2003 wird in einer gutachterlichen Stellungnahme bei Frau H. eine Posttraumatische Belastungsstörung von besonderer Schwere beschrieben.

    Über die Berliner Härtefallkommission wird im Mai 2005 erreicht, daß die Eheleute in Berlin bleiben dürfen – allerdings nur unter der Voraussetzung, daß ihre Kinder für ihren Lebensunterhalt aufkommen.

BeZ 23.12.04; FRat Berlin;

Steven Marc Jefferys – Rechtsanwalt

 

16. Dezember 04

 

Wangen in Baden-Württemberg. Als der 20 Jahre alte Fatmir Krasniqi versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden, kann ihn seine Schwester noch rechtzeitig davon abhalten. Dies ist sein dritter Suizidversuch seit seiner Flucht aus dem Kosovo.

    Er kommt – zum zweiten Mal in den letzten Monaten – zur stationären Behandlung in das Zentrum für Psychiatrie Weißenau.

    Die ethnischen Vertreibungen und Massaker gegen die albanische Bevölkerung 1999 im Kosovo hat er als Augenzeuge miterleben müssen, und diese Geschehnisse haben ihn schwer traumatisiert. Er floh mit seinen Eltern und fünf Geschwistern zunächst in die Niederlande, dann nach Schweden, Norwegen und schließlich nach Deutschland. In allen Ländern beantragte er Asyl – in den Niederlanden, Schweden und Deutschland wurde negativ entschieden. Die Entscheidung über den Asylantrag in Norwegen ist zur Zeit (Februar 2006) unbekannt.

(siehe auch: Juli 04 und 18. Januar 05)

SchwZ 21.1.05; AK Asyl BaWü 9.3.05;

AK für Asylbewerber Wangen;

Petra Brennenstuhl-Haug – Rechtsanwältin

 

19. Dezember 04

 

Bundesland Schleswig-Holstein. An der deutsch-skandinavischen Grenzübergangsstelle in Puttgarden auf der Insel Fehmarn, kontrolliert der Bundesgrenzschutz morgens um 2.00 Uhr einen Alfa Romeo, in dem sich neun Personen aus Serbien-Montenegro befinden.

    Der 32-jährige Fahrer hatte versucht, zwei Familien nach Dänemark zu bringen: zwei Männer im Alter von 24 und 22 Jahren, zwei schwangere Frauen im Alter von 22 und 20 Jahren und vier Kinder im Alter von 1, 2, 4 und 5 Jahren. Sie sind alle abgelehnte AsylbewerberInnen aus Deutschland und zur Festnahme, Ausweisung und Abschiebung durch die Ausländerbehörde Coesfeld in Nordrhein-Westfalen ausgeschrieben.

    Während der Kontrolle durch den Bundesgrenzschutz setzen bei der 22-jährigen Frau die Wehen ein, so daß sie mit einem Krankenwagen ins Krankenhaus Oldenburg eingeliefert werden muß.

    Der Fahrer – selbst Asylbewerber in Belgien – wird in Haft genommen, die übrigen Flüchtlinge werden aufgefordert, in ihren Landkreis zurückzukehren.

BGS Flensburg

 

21. Dezember 04

 

Bundesland Hessen. Zwei Beamte der Polizeidirektion Schwerin, die einen 27-jährigen syrischen Gefangenen zur Abschiebung nach Frankfurt am Main bringen sollen, lenken den Wagen um 10.15 Uhr auf die Raststätte Reinhardshain, um eine Pause einzulegen. Dem Syrer gelingt es trotz Handschellen einen Beamten zu schlagen und davon zu rennen.

    An der jetzt ausgelösten Großfahndung beteiligen sich nicht nur örtliche Kräfte mit Diensthunden, sondern auch die Bereitschaftspolizei und ein Polizeihubschrauber.

    Nach knapp zwei Stunden wird der Flüchtige von einem Spürhund in einer Fichtenschonung entlang der Landstraße zwischen Beuern und Geilshausen völlig durchgefroren – auf einem Baum sitzend – aufgefunden.

    Bei der anschließenden Festnahme beißt ihn der Hund ins Bein, so daß er zunächst mit dem Rettungswagen ins Licher Krankenhaus gebracht werden muß. Danach kommt er in Polizeigewahrsam nach Gießen.

    Gegen ihn soll jetzt ein beschleunigtes Verfahren wegen Körperverletzung und Widerstand gegen die Beamten beim Amtsgericht eingeleitet werden.

GA 22.12.04

 

21. Dezember 04

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In einer gut besetzten U-Bahn in Essen-Holsterhausen werden ein 20- und ein 22-jähriger Mann, beide aus Sierra Leone, von zwei deutschen Nazis attackiert. Die Provokateure, sie haben drei Hunde dabei, setzen sich zunächst neben die Afrikaner, beleidigen und beschimpfen sie. Dann steht einer der Deutschen auf und schlägt einem Afrikaner mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Hund seines Kumpanen beißt einen der Angegriffenen in die Hand.

    Da Fahrgäste inzwischen die Polizei verständigt haben, können die Täter an der Haltestelle Hobeisenbrücke vorübergehend festgenommen werden. Die betrunkenen Männer sind wegen Betrugs, Körperverletzungen und rechtsextremistischer Aktivitäten polizeibekannt.

Polizei Essen 22.12.04;

NRZ 23.12.04

 

23. Dezember 04

 

Im Kreishaus der nordrhein-westfälischen Stadt Minden übergießt sich um 13.40 Uhr ein Iraner mit Benzin. Er hält ein Feuerzeug bereit und droht sich anzuzünden. Der 39-jährige abgelehnte Asylbewerber protestiert gegen die Unterbringung in der Unterkunft in Stemwede-Dielingen, denn er hatte eine Verlegung nach Köln erbeten, wo seine Verwandten leben.

    In der einen Hand hält er ein Messer mit einer ca. 15 cm langen Klinge, in der anderen eine Rasierklinge, mit der er sich Verletzungen am Kopf zufügt. Erst um 14.25 Uhr gelingt es einem Polizeikommissar, ihn zur Aufgabe zu bewegen.

    Mit einem Rettungswagen kommt er zur medizinischen Behandlung ins Mindener Klinikum. Nach der Versorgung seiner Wunden wird er in die Psychiatrie in Lübbecke eingewiesen.

Polizei Minden-Lübbecke 23.12.04;

NW 24.12.04; MT 24.12.04; WB 24.12.04;

FRat NRW 3.1.05

 

25. Dezember 04

 

Templin in Brandenburg. In den frühen Morgenstunden werden ein 39 Jahre alter vietnamesischer Flüchtling und ein 43-jähriger Deutscher auf der Straße aus einer Gruppe Jugendlicher heraus angegriffen. Sie beleidigen den Vietnamesen, schlagen ihm mit einer Bierflasche auf den Kopf, reißen ihn zu Boden und treten ihn mit Füßen. Seinem deutschen Begleiter schlagen die Jugendlichen mehrfach ins Gesicht. Dann jagen sie den Vietnamesen durch die Stadt. An dieser Hetzjagd beteiligen sich bis zu 20 Menschen.

    Mit einem Rippenbruch und Schürfwunden kommt der Vietnamese schließlich ins Krankenhaus.

    Die Polizei ermittelt in den folgenden zwei Wochen fünf mutmaßliche Täter, alle im Alter zwischen 18 bis 22 Jahren, alle aus Templin – einige von ihnen wurden bereits strafrechtlich verfolgt.

    Am 20. Februar 2006 werden vier der Täter vom Jugendschöffengericht des Amtsgerichtes Prenzlau zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren bis zu drei Jahren und vier Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung verurteilt. Der damals mißhandelte Vietnamese hat noch heute unter den Folgen der Tat zu leiden.

    Drei der verurteilten Täter legen Rechtsmittel ein, so daß der Prozeß fortgesetzt werden wird.

Opferperspektive;

BM 28.12.04; taz 28.12.04;

rbb-online 29.12.04; BM 30.12.04;

Pfeffer & Salz; JWB 12.1.05;

MAZ 21.2.06; BM 3.3.06; JWB 15.3.06

 

25. Dezember 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Früh morgens schlägt ein 22-jähriger libanesischer Gefangener seinen Kopf so heftig gegen die Zellenwand, daß eine große, stark blutende Platzwunde entsteht. Er kommt umgehend ins DRK-Krankenhaus Köpenick, wird aber im Laufe des folgenden Tages wieder in das Abschiebegefängnis zurückgebracht. Dieses ist bereits die zweite Selbstverletzung, die er sich zufügte.
(siehe auch: Ende November 04)

Pfarrer D. Ziebarth

 

27. Dezember 04

 

In der Nacht wird in einem Spezialraum des Bremer Polizeipräsidiums bei dem 35 Jahre alten abgelehnten Asylbewerber Laye-Alama Condé aus Sierra Leone durch einen Polizeiarzt eine Brechmittelgabe vorgenommen. Unmittelbar während der Maßnahme fällt der Mann ins Koma. Er kommt mit der wahrscheinlichen Diagnose "Hirntod" auf die Intensiv-Station des Krankenhauses St.-Joseph-Stift. Am 6. Januar 2005 bestätigt das Bremer Institut für Rechtsmedizin den Tod des Flüchtlings.

    Bei einer Drogenkontrolle im Steintorviertel war der Flüchtling um Mitternacht am Sielwalleck von Zivilpolizisten festgenommen worden, weil er unter Verdacht stand, Drogenkügelchen verschluckt zu haben. Zur Beweissicherung sollte durch einen Arzt des ärztlichen Beweissicherungsdienstes im Polizeirevier Vahr ein Brechmittel verabreicht werden. Dort wurde der sich heftig wehrende Mann zunächst von den Beamten auf einer speziell dafür vorgesehenen Liege an Armen und Beinen fixiert. Der Arzt legte eine Magensonde und pumpte mittels einer Spritze Brechmittel und Wasser in den Magen. Als die medizinischen Überwachungsgeräte für Blutdruck und Sauerstoffsättigung niedrige Werte anzeigten, rief der Polizeiarzt einen Notarzt-Kollegen. Dieser schildert die Situation bei seinem Eintreffen wie folgt: "Es befanden sich neben der RTW-Besatzung (RTW=Rettungswagen, ARI) noch drei Personen im Raum: zwei Polizeibeamte in schwarzen Lederjacken, bewaffnet, mit Plastikschürzen bekleidet, und eine Zivilperson, hierbei handelte es sich um einen Arzt vom medizinischen Beweissicherungsdienst, ebenfalls mit Plastikschürze. Alle trugen Latexhandschuhe."

    Da die vom Notdienst-Team mitgebrachten Ersatzgeräte normale Vitalfunktionen anzeigten, wurde vermutet, daß die vorher niedrigen Meßwerte durch eine Fehlfunktion der verwendeten Geräte entstanden sein könnten.

    "Der Mann lag ohne sich zu äußern an den Füßen mit Kabelbindern gefesselt da. Die linke Hand war mit einer Handschelle an der Untersuchungsliege fixiert. Der Mann wirkte sehr erschöpft", erinnert sich der Notarzt, "der Kollege versicherte, er habe da Erfahrung, dieses Klientel würde immer so tun als seien sie bewußtlos, um ein Ende der Maßnahmen zu erreichen."

    Nach dem Erbrechen des Flüchtlings wurde Laye-Alama Condé in eine aufrechte Position gebracht, und der Polizeiarzt schob erneut die Magensonde und applizierte mittels sehr großer Spritzen (100 bis 200 ml-Spritzen) Leitungswasser. Er versuchte auch, durch Manipulation im Rachen mittels des stumpfen Endes einer Pinzette, den Brechreiz bei Laye-Alama Condé auszulösen. Dagegen wehrte sich Laye-Alama Condé durch Hin- und Herdrehen des Kopfes. Dieser wurde ihm von einem Polizeibeamten festgehalten, während der andere den linken Arm festhielt. Dieser Vorgang wurde mehrmals wiederholt.

    Nach 20 Minuten dieser Tortur atmete der Mann fast nicht mehr, so daß der Notarzt einschritt. Der Sauerstoffsensor, der während der Prozedur zerbrochen war, mußte von dem Notarzt-Team ersetzt werden und zeigte eine Sättigung von 30% an. Das Anlegen der EKG-Elektroden gestaltete sich schwieriger, weil sie aufgrund der großen Wassermengen, die Laye-Alama Condé erbrochen hatte, einfach nicht mehr klebten. Das Gerät zeigte schließlich einen lebensgefährlichen Sauerstoffmangel im Herzmuskel an. Eine Herzdruckmassage wurde begonnen. Eine Beutelbeatmung konnte nicht durchgeführt werden, weil "der Mund des Patienten voller Wasser" stand. Auch eine Intubation gelang erst im dritten Versuch, weil "aus dem Ösophagus (Speiseröhre) und der Trachea (Luftröhre) Unmengen an Wasser den Rachen immer wieder füllten. Die mobile Absaugung war hier völlig überfordert, und eine stationäre Absaugung gab es in dem Raum nicht. Darüber hinaus war die Lampe des Laryngoskops (Rachenlampe, ARI) nicht einwandfrei funktionsfähig, es mußte ein zweites aus dem NEF besorgt werden." Nachdem die Sauerstoffversorgung wieder gewährleistet war, stabilisierte sich der Kreislauf von Laye-Alama Condé umgehend. Der Notarzt legte eine Magensonde, über die noch einmal ein bis zwei Liter Wasser abliefen. Während des Transportes ins Krankenhaus füllte sich der Sekretbeutel der Magensonde noch einmal mit ca. 500 ml Wasser.

    Allein durch eine Strafanzeige des Notarztes, der in der letzten Phase der Zwangsmaßnahme anwesend war, wird die Tötung des Flüchtlings öffentlich. Er gibt an, daß dem Mann solche Mengen Wasser in den Magen gepumpt worden sei, daß das Wasser dann über die Speiseröhre in die Luftröhre und die Lunge eindrang und der Mann buchstäblich ertrank.

    Der Bremer Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) verteidigt sich unter der lauter werdenden Kritik zu der Brechmittelvergabe und im Hinblick auf den – nicht vorbestraften – und im Koma liegenden Laye-Alama Condé Anfang Januar mit der Äußerung, daß "Schwerstkriminelle" nun mal "mit körperlichen Nachteilen" rechnen müßten. Auch behauptet er wider besseren Wissens, daß der Flüchtling bei der Maßnahme auf Drogenkügelchen gebissen und dadurch eine Vergiftung erlitten hätte (".... das hat er sich selber zuzuschreiben"). Erst am 8. Januar revidiert er diese Lüge und beschließt, daß die Anordnung der Vergabe von Brechmitteln bis zur Aufklärung dieses Falles ausgesetzt wird.

    Das Ergebnis der Beweissicherungsmaßnahme, bei der Laye-Alama Condé getötet wurde, ist der Fund von drei Kokain-Päckchen mit einem Schätzwert von je 20 Euro.

    Am 8. Januar wird bekannt, daß die Staatsanwaltschaft wegen eines Anfangsverdachtes auf fahrlässige Körperverletzung gegen den Notarzt ermittelt. Dieser ergebe sich "aus dem Gedächtnisprotokoll des Notarztes sowie aus Zeugenaussagen." Zudem habe der Notarzt Dienstvorschriften verletzt. In einem Bericht des Innensenators vor der Innendeputation heißt es weiterhin, der Notarzt hätte den Vorfall unverzüglich an den Träger des Einsatzes weiterleiten müssen – also an das Innenressort. Dieser Pflicht sei er nicht nachgekommen.

    Eine Strafanzeige gegen Innensenator Röwekamp wegen fahrlässiger Tötung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung, die 33 BürgerInnen erstattet haben, wird im Mai 2005 von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Begründungen: Die Anordnung von Brechmitteleinsätzen sei durch die Strafprozeßordnung gedeckt; für den Todesfall seien nicht der Senator, sondern allenfalls die Notärzte verantwortlich, gegen die noch ermittelt werde – und die Todesursache stehe bisher (!) noch nicht fest.

    Unter Berufung auf verschiedene Gutachten bestätigt im November 2005 die Staatsanwaltschaft die Diagnose des Notarztes "Ertrinken" als Ursache des Todes von Laye-Alama Condé.

    Im Mai 2006 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den verantwortlichen Arzt Igor V. wegen fahrlässiger Tötung.

    Am 11. Juli 2006 entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), daß die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Die juristische Analyse ergibt, daß das Abwarten auf das natürliche Ausscheiden der Beweismittel (Kotabgang) der mildere Weg ist; die gewaltsame Einführung eines Plastikschlauches und die Eingabe von Brechreiz erzeugenden Mitteln sei dagegen eine "inhumane und erniedrigende Behandlung". Nichtsdestotrotz bleibt die "freiwillige" Vergabe von Brechmitteln weiterhin zulässig.

    Dieses Urteil des EGMR beruht auf der Entscheidung im Falle "Jalloh gegen Deutschland". Dem Kläger Abu Bakah Jalloh, dem im Jahre 1993 (!) zwangsweise und mit brutalster Gewalt Brechmittel eingegeben wurden, mußte die BRD 10.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

    Ebenfalls 10.000 Euro ist die Höhe des Schmerzensgeldes, das der Arzt der Mutter von Laye-Alama Condé nach einer außergerichtlichen Einigung zu zahlen hat.

    Vier Jahre nach der Tötung von Laye-Alama Condé, am 4. Dezember 2008, spricht das Landgericht Bremen den verantwortlichen Gerichtsmediziner Igor V. nach 23 Verhandlungstagen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Der 44-Jährige habe sich zwar "zahlreiche Unsicherheiten, Versäumnisse und Fehler" zuschulden kommen lassen und objektiv Pflichten verletzt, doch sei ihm subjektiv keine Schuld nachzuweisen, da er unerfahren und überfordert gewesen sei. Dazu

der Vize-Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery vor der Presse: ein Urteil nach dem Motto "Unwissenheit schützt vor Strafe" widerspreche seinem Rechtsverständnis.

    Nachdem Mutter und Bruder des Getöteten dieses Urteil mit einer Sachrüge angegriffen haben, wird der Freispruch des Igor V. vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes in Leipzig am 28. April 10 wieder aufgehoben und die Sache zurück an eine Schwurgerichtskammer des Bremer Landgerichts gegeben, weil jetzt auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge denkbar sei. Der Richter des BGH spricht von einem "menschenunwürdigen" Umgang mit dem Festgenommenen und von "ebenfalls todesursächliche(n) Pflichtverletzungen Dritter" und bezeichnet sowohl den Notarzt als auch beteiligte Beamte des Beweismittelsicherungsdienstes als "bisher unbehelligte Nebentäter".

    Ab dem 8. März 2011 muß sich der Arzt Igor V. wegen Körperverletzung mit Todesfolge erneut vor dem Landgericht Bremen verantworten.

    Am 14. Juni lautet das Urteil "Im Zweifel für den Angeklagten". Obwohl die zehn Gutachter alle den Tod durch Ertränken für wahrscheinlich halten, räumen sie medizinische Ungereimtheiten ein, die auch den Tod durch Vorerkrankungen für möglich erscheinen lassen.

    Die Mutter des Getöteten legt erneut Revision ein, und der Bundesgerichtshof Leipzig verweist den Fall am 20. Juni 2012 ein zweites Mal zurück an die Bremer Justiz, die jetzt ein drittes Mal entscheiden muß.

    Der Vorsitzende Bundesrichter Basdorf findet deutliche Worte in Richtung Bremen: "Die Feststellungen des Schwurgerichts ergeben für sich eindeutig einen Sachverhalt, der einen Schuldspruch der Körperverletzung mit Todesfolge rechtfertigt. In aller Eindeutigkeit."

    Zum Auftakt des dritten Verfahrens vor einem Bremer Schwurgericht bricht der angeklagte Arzt erstmals sein Schweigen. Er bedauere Condés Tod, der ihm sehr nahe gegangen sei. Später macht er auch Aussagen zum Geschehenen, verstrickt sich in Widersprüche und läßt schließlich offen, warum er nicht erkannt hat, daß Laye-Alama Condé zunehmend in einen lebensbedrohlichen Zustand geriet.

    Im September 2013 wird der ehemalige SPD-Bürgermeister und Justizsenator Henning Scherf als Zeuge gehört und verteidigt mit seiner Aussage offensiv die zwangsweise Vergabe von Brechmittelsirup. Dennoch: Der Tod Condés sei "eine große Überraschung" gewesen, da es bisher gar keine "Schwierigkeiten" gegeben habe. Er selbst hatte 1992 die rechtliche Grundlage für diese Beweismittel-Beschaffungsmethode gekegt.

    Aufgrund der von Gutachtern attestierten dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten stimmen am 31. Oktober 13 alle Prozeßbeteiligten dem Vorschlag der Schwurgerichtskammer zu, das Verfahren einzustellen. Der Angeklagte soll 20.000 Euro an die Mutter des Getöteten zahlen. Zudem stufen die Bremer Richter – aufgrund der Aussagen des Angeklagten – den vom BGH festgelegten Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge zurück auf fahrlässige Körperverletzung.

Gedächtnisprotokoll des Notarztes; Polizei Bremen 4.1.05;

ND 5.1.05; FRat HH 6.1.05; taz 6.1.05; taz 7.1.05;

SäZ 7.1.05; taz 8.1.05; WK 8.1.05; taz 10.1.05;

taz 11.1.05; taz Bremen14.1.05;

WK 14.1.05; Freitag 14.1.05;

taz Bremen15.1.05; taz 18.1.05;


FR 30.5.05; WK 26.11.05; TS 10.5.06;

FR 11.5.06; taz 11.5.06; taz 12.7.06;

Pressestelle Hamburger Senat 1.8.06;

CILIP 2/2008; jW 29.5.08; WK 12.6.08;

FR 5.12.08; taz 5.12.08; HA 5.12.08; NWZ 9.12.08;

taz 27.4.10; taz 29.4.10; WK 29.4.10; Welt 29.4.10;

radio bremen 29.4.10;

radio bremen 2.3.11; Bild 2.3.11; Welt 3.3.11; jW 9.3.11;

HA 14.6.11; SD 14.6.11; WK 14.6.11; Ärzte Zeitung 14.6.11;

Welt 15.6.11; FR 15.6.11;

Dr. Helmut Pollähne 21.6.12;

radio bremen 9.11.12;

radio bremen 12.6.13;

 taz 17.9.13; radio bremen 18.9.13;

radio bremen 1.11.13; FR 2.11.13

 

27. Dezember 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Abends um 22 Uhr verletzt sich ein 22 Jahre alter Gefangener mit einem Teil seines Reißverschlusses an Brust und Bauch. Er kommt daraufhin in den Isolationstrakt zur Überwachung.

Polizei Berlin 28.12.04; BM 29.12.04

 

28. Dezember 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 22 Jahre alter lettischer Gefangener fügt sich mit einer abgebrochenen Rasierklinge Schnittverletzungen zu und kommt nach der medizinischen Versorgung der Wunden wieder zurück auf seine Etage.

    In der folgenden Nacht um 3.15 Uhr versucht er dann, sich im Toilettenraum mit einem Bettlaken zu erhängen. Ein Mitgefangener alarmiert Bewachungsbeamte, die das Bettlaken durchschneiden und veranlassen, daß der Mann ins Krankenhaus kommt. Nach medizinischer Behandlung erfolgt seine Verlegung ins psychiatrische Krankenhaus Hedwigshöhe.

    Wegen fehlender "Kooperationsbereitschaft" erfolgt von dort seine Rückverlegung ins Abschiebegefängnis – und zwar jetzt in den Isolationstrakt.

    Nach 16-tägiger Einzelhaft beschwert er sich schriftlich über die Isolationshaft und droht an, sich aus Protest etwas anzutun. Einen Tag später, am 14. Januar 2005, versucht er sich beim Hofgang um 10.45 Uhr an einem Basketballkorb zu erhängen. Mitgefangene heben seinen Körper an, um das Gewicht zu verringern. Als er abgehängt wird, ist er kurzzeitig bewußtlos und wird zur Ärztin des Polizeiärztlichen Dienstes getragen. Diese ordnet erneut und mit der Begründung der Suizidalität weitere Isolationshaft an.

    Nach insgesamt 21 Tagen (!) Einzelhaft wird der Mann in die Gemeinschaftszelle zurückverlegt. Am 7. März 2005 wird er ohne weitere Begründung aus der Abschiebehaft entlassen.

Polizei Berlin 28.12.04; BM 29.12.04;

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin; Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

JWB 12.1.05; Polizei Berlin 15.1.05;

 Gamma infotelefon Leipzig 31.1.05

 

31. Dezember 04

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 17-jähriger palästinensischer Gefangener bringt sich in dieser Nacht zum Neuen Jahr vielfache Schnittverletzungen am linken Oberarm und am linken Unterschenkel bei. Nach einer Versorgung der Wunden im DRK-Krankenhaus Köpenick kommt er ins Abschiebegefängnis zurück und wird für sechs Tage in Isolationshaft genommen. Nach dem Motiv für die Selbstverletzungen befragt, sagt er dem Gefängnispfarrer Herrn Ziebarth,

daß er nicht mehr leben wolle, weil es ihm seit Wochen sehr schlecht gehe und er es nicht mehr aushalte. Zudem äußert er jetzt massive Ängste, von der Polizei getötet zu werden, was Herr Ziebarth mit traumatischen Ereignissen in seiner Vergangenheit in Zusammenhang bringt.

    Der Palästinenser aus dem Libanon leidet seit vier Wochen unter unvermindert starken Kopfschmerzen, die von den Kiefer- und Stirnhöhlen ausgehen. Zudem quält ihn – ebenfalls seit Wochen – Erbrechen nach jeder Aufnahme von fester Nahrung. Bei den drei Besuchen in der medizinischen Abteilung des Gefängnisses war er einmal der Ärztin vorgeführt worden – untersucht wurde er dabei nicht. Ihm wurde eine Tablette pro Tag verordnet, die allerdings keinerlei Einfluß auf seine schweren Symptome hatte. Nachts schlief er nicht mehr, er ging im Zimmer und im Gang herum und redete laut mit sich selbst. Später konnte er sich daran nicht mehr erinnern.

    Erst der Gefängnispfarrer hatte – unter Hinzuziehung der Rechtsanwältin und des Gefängnisbeirats – einen Untersuchungstermin beim Polizeiärztlichen Dienst am 23. Dezember in Gegenwart eines Dolmetschers erreicht. Der Jugendliche berichtete ihm, daß er über Nacht zum 24. Dezember im Erdgeschoß unter Beobachtung geblieben war, daß ihm keine Diagnose mitgeteilt worden war und daß die Tablettengabe unvermindert fortgeführt werden sollte. Seine Kopfschmerzen blieben unerträglich, er bekam zusätzlich eitrigen Nasenausfluß, und das Erbrochene wurde zunehmend blutiger.

    Mit Hilfe der Rechtsanwältin gelang es dem Gefängnispfarrer, einen Untersuchungstermin beim Psychiatrischen Dienst am 29. Dezember zu bekommen. Hier wurde eine Migräne festgestellt.

    Als der Jugendliche nach seinen Selbstverletzungen aus der Isolation heraus zurück in den Zellentrakt verlegt wird, bietet sich dem Gefängnispfarrer folgendes Bild: Medikamente bekommt der Jugendliche gar nicht mehr; er hat weiterhin sofortiges Erbrechen nach jeder Nahrungsaufnahme und starke Kopfschmerzen; Flüssigkeit nimmt er nur in kleinen Mengen und unter Zureden zu sich; seine durchgebluteten und verkrusteten Verbände sind seit zwei Tagen nicht gewechselt worden, und die Sanitäter lehnen auch ab, dies zu tun. Seine von Mitgefangenen geliehene Kleidung konnte der Schwerkranke tagelang nicht austauschen, weil die vom Pfarrer besorgte Ersatzkleidung nicht mehr auffindbar war.

Pfarrer D. Ziebarth

 

Dezember 04

 

Obersulm-Willsbach in Baden-Württemberg. Nach einer durchzechten Nacht begeben sich sechs deutsche Männer zwischen 17 und 21 Jahren zum Flüchtlingsheim und greifen es mit Pflastersteinen, einer Bierflasche, einem Fernsehgerät und einem PC-Bildschirm an. Dann flüchten sie.

    Bei der Gerichtsverhandlung im Oktober 2005 geben die Täter als Motiv "Langeweile" an. Daß das von der Polizei zwischenzeitlich ermittelte Motiv "Übungswerfen für Molotow-Cocktails" ebenfalls zutreffen könnte, geht aus den Ergebnissen von Hausdurchsuchungen bei den Angeklagten hervor, bei denen umfangreiches rechtsradikales Propagandamaterial in Form von Flyern, Aufklebern, CDs, Computerspielen und Reichskriegsflaggen gefunden wurde. Trotzdem gehen die Sachverständigen am Ende des Prozesses nicht von Rechtsradikalismus als Auslöser der Tat aus.

    Gerichtsurteil: Alle sechs Angeklagten verbringen ein Wochenende in einer Jugendarrestanstalt.

StZ 3.2.05;

Infoladen Ludwigsburg 4.2.05;

KAH 17.3.05;

stimme.de 28.10.05

 

 

 

 

Im Jahre 2004

 

Bundesland Baden-Württemberg. Der Kurde Sait Aslan wird kurz vor der Geburt seines dritten Kindes, der Tochter Leyla, nach abgelehntem Asylantrag in die Türkei abgeschoben. Damit ist er von seiner Frau Senel Aslan Eroglu und seinen zwei Söhnen, dem 5-jährigen Hüseyin und dem 7-jährigen Küres, getrennt.

    Nach seiner Abschiebung erfolgt noch auf dem Flughafen seine Verhaftung. Er bleibt 18 Monate im Gefängnis in Gaziantep, und danach gelingt es ihm erst nach mehrmaligen Versuchen, wieder in die Bundesrepublik zu kommen.

    Anfang 2010 stellt er dann in Tübingen einen Asylfolgeantrag. Seine Frau und die drei Kinder haben zwischenzeitlich den Flüchtlingsstatus anerkannt bekommen. Aber für Herrn Aslan erfolgt erneut die Festnahme und Abschiebehaft in der JVA Mannheim.

    Sait Aslan war das erste Mal im Jahre 2000 in die Bundesrepublik geflüchtet, weil er durch seine Mitgliedschaft in der kurdischen Demokratie-Partei DHP immer mehr unter Verfolgungsdruck geraten war. Er hatte auch Haft und Folter erleben müssen.

    Jetzt droht ihm erneut die Auslieferung an seine Verfolger. In buchstäblich letzter Minute entscheidet das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einem Eilverfahren, daß ein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden muß. Herr Aslan kommt frei.

    Im Juli 2011 fordert das Land Baden-Württemberg ihn auf, Abschiebekosten in Höhe von 8.235,92 Euro zu bezahlen. Sollte er dazu nicht in der Lage sein, dann würde er seinen Aufenthalt verwirken. In der Abrechnung fallen vor allem folgende Beträge auf: Flugkosten 155 Euro, Abschiebehaft 5000 Euro, Begleitung durch die Bundespolizei 2300 Euro – abzüglich der "Barmittel" in Höhe von 283,04 Euro, die Herrn Aslan vor der Abschiebung abgenommen wurden.

    Wegen seines provisorischen Status unterliegt Herr Aslan einem Arbeitsverbot, obwohl er schon mehrere Angebote auf Baustellen vorlegen konnte. Zudem hat er sich wegen seiner Rückreise in die Bundesrepublik bei Fluchthelfern verschuldet, so daß zur Zeit nur ein Spendenaufruf der Tübinger Erhardsgemeinde helfen könnte.

SchwT 22.4.10; FRat BaWü 26.4.10;  SchwT 28.4.10;

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg/Tübingen 27.4.10;

SchwT 15.7.11

 

 

Im Jahre 2004

 

Frau S., eine Romni aus Serbien, wird nach einer Herz-Operation aus einem Hamburger Krankenhaus herausgeholt und zusammen mit ihrem Mann und zwei Söhnen nach 15-jährigem Deutschland-Aufenthalt nach Serbien abgeschoben.

    Nach der Abschiebung finden sie in der Nähe von Belgrad in einer Roma-Siedlung in Krivac eine Unterkunft aus Holz, Pappe, Plastik und etwas Beton.

    Im Sommer 2011 berichtet Frau S. deutschen BesucherInnen, daß sie unter Bluthochdruck und Herzproblemen schwer leidet und große Angst vor einer erneuten Operation hat, weil die Ärzte ihr eine Überlebenschance von 50 % einräumen.

Dokumentationsreise 2011

 

 

Im Jahre 2004

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Flüchtlingsunterkunft Bündener Straße in Löhne wird der 20 Jahre alte Kurde Mehmet Demir von Neonazis überfallen und zusammengeschlagen. Er trägt eine blutende Kopfwunde davon.

NW 18.9.10

 

 

Im Jahre 2004

 

Bundesland Brandenburg. Der 29 Jahre alte Flüchtling Blaise Kamtchoum wird am Potsdamer Johannes-Kepler-Platz von vier deutschen Jugendlichen zusammengeschlagen. Sie kommentieren ihren Angriff mit den Worten "Das ist dafür, daß Du nicht arbeiten willst, Neger!"

    Herr Kamtchoum ist Biochemiker und Physiotherapeut und hatte vor seiner Flucht einen Lehrauftrag an einer Universität in Kamerun. Aus Angst zeigt er den Überfall nicht an.

TS 8.2.07

 

 

Im Jahre 2004

 

Einem kurdischen Ehepaar, das mit seinen Kindern seit Jahren in Hessen lebt, droht die Abschiebung in die Türkei. Sowohl der Vater, die Mutter wie auch einige Kinder sind sowohl durch Verfolgung und Mißhandlung in der Türkei als auch durch die ständige Abschiebeandrohung der deutschen Behörden schwer traumatisiert. Die Eltern haben beide bereits mehrmals versucht, sich zu töten.

Antirassistische Initiative Berlin

 

 

Im Jahre 2004

 

Im Zusammenhang mit dem Tod von Laye-Alama Condé (27.12.04) wird bekannt, daß in den vergangenen 12 Jahren in Bremen an die 1000 Brechmitteleinsätze gegen mutmaßliche Kleindealer durchgeführt wurden.

taz 11.1.05

 

 

Im Jahre 2004

 

Bei einer Routinekontrolle des Bundesgrenzschutzes morgens um 6.30 Uhr am Grenzübergang Pomellen im Uecker-Randow-Kreis in Mecklenburg-Vorpommern entdecken die Beamten ukrainische Flüchtlinge in einem litauischen Sattelschlepper. Die sieben Männer und fünf Frauen, die sich hinter einer ungesicherten Ladung Holz zwischen Schnee und Eis befinden, sind völlig unterkühlt. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt hatten die Menschen bereits Stunden auf dem Sattelauflieger ausgeharrt. Ein älterer Mann trägt lediglich eine Strickjacke. "Die geladenen Kanthölzer hätten während der Fahrt jederzeit verrutschen können, weil sie nicht befestigt waren," so ein BGS-Sprecher. Eine Vollbremsung des Sattelschleppers wäre der sichere Tod der Menschen gewesen.

SVZ 14.12.04

 

 

Im Jahre 2004

 

Neun Personen werden infolge ihres nicht erlaubten Grenzübertrittes "durch von Schleusern verursachte Verkehrsunfälle" verletzt.

    Infolge der Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Bundespolizei erlitten zwei Personen Verletzungen.

BT-Drucksache 16/9

 

 

Im Jahre 2004

 

Bundesland Schleswig-Holstein. In der Jugendstrafanstalt Neumünster befanden sich 12 Jugendliche (zwischen 16 und 18 Jahren) bei einer mittleren Haftdauer von 40,5 Tagen in Abschiebehaft. Zum Jahreswechsel sitzen hier noch drei Jugendliche mit Haftdauern zwischen 28 und 87 Tagen.

Landesbeirat – Jahresbericht 2004

 

 

Im Jahre 2004

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Im Abschiebegefängnis Rendsburg haben sich drei Gefangene selbst verletzt.

Landesbeirat – Jahresbericht 2004