zur Hauptseite                                               Zusammenfassung  2012

Kürzel-Erklärung

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und
ihre tödlichen Folgen 
2012

 

1. Januar 12

 

Heidenau im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge –Bundesland Sachsen. Unbekannte werfen Steine gegen die Flüchtlingsunterkunft in der Geschwister-Scholl-Straße und zerstören dabei eine Fensterscheibe.

(siehe auch: 24. Januar 12 und 15. März 12)

Polizei Dresden 27.3.14;

BT DS 18/203

 

2. Januar 12

 

Ein Flüchtling aus Tschetschenien verletzt sich absichtlich durch einen Schnitt in den linken Unterarm. Er kommt daraufhin in die psychiatrische Abteilung eines Berliner Krankenhauses zur stationären Behandlung.

    Am 6. Januar versucht er, sich mit seinem Gürtel zu erhängen. Der 26 Jahre alte Mann ist Folteropfer und leidet unter Angstschüben vor dem russischen Geheimdienst, der ihn in Polen finden könnte. Im Dezember 2011 war er bereits schon einmal in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in den St. Hedwig Kliniken Berlin.

    Kurz zuvor – Anfang Dezember – war er mit seiner Frau und der 2-jährigen Tochter über Polen in die Bundesrepublik eingereist. Die 28-jährige Frau leidet unter akuter infektiöser Nierenbecken- und akuter Gebärmutterentzündung, hat starke Rückenschmerzen und Depressionen – ihre kleine Tochter wird wegen eitriger Mandelentzündung und wiederkehrenden Harnwegsentzündungen behandelt. Ungeachtet dessen soll die Familie im Rahmen des Dublin-II-Abkommens nach Polen zurückgeschoben werden.

XENION 2013

 

4. Januar 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein 28 Jahre alter algerischer Flüchtling soll abgeschoben werden. Da er sich in der Vergangenheit bereits erfolgreich dagegen gewehrt hatte, wird er jetzt in Hand- und Fußfesseln gebracht. Beamte finden in seinem Mund eine Rasierklinge, und da er sich heftig zur Wehr setzt, wird die Abschiebung abgebrochen.

    Ein anderer Algerier jedoch, bei dem Beamte die Klinge eines Bleistiftanspitzers im Mund finden, wird nach Algier ausgeflogen.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

8. Januar 12

 

Berliner Bezirk Prenzlauer Berg: Eberswalder Straße Ecke Schönhauser Allee. Am Sonntagmorgen um 5.20 Uhr wird der 23 Jahre alte Marokkaner Hamid-Tahar A., der sich auf der Straße mit einer Frau unterhält, von drei Männern zwischen 20 und 25 Jahren rassistisch beleidigt und beschimpft: "Laß unsere Frauen in Ruhe" und "Ausländer, geh nach Hause". Als Hamid-Tahar A. auf die drei zugeht, um sich zu wehren, trifft ihn die Faust eines der Provokateure mitten ins Gesicht. Er fällt zu Boden, und der Täter tritt jetzt gezielt gegen seinen Kopf und den Hals. Dann flüchten die Rassisten in Richtung Kastanienallee.

    Hamid-Tahar A. kommt mit einem gebrochenen Nasenbein und einem Beinahe-Genickbruch (Riß eines Halswirbels) in Lebensgefahr ins Krankenhaus.

    Während die Polizei die Tat zunächst als gefährliche Körperverletzung wertet, ermittelt die Staatsanwaltschaft eine knappe Woche später wegen versuchten Mordes.
    Am 13. Januar demonstrieren über 900 Menschen gegen die zunehmende rassistische Gewalt auf den Straßen. Das Motto der Demo, die sich durch den Kiez zieht: "Wenn Rassisten zuschlagen, sorge dafür, dass sie es nie wieder tun."

    Hamid-Tahar A., der erst im August letzten Jahres in die BRD einreiste, Asyl beantragte und in Berlin-Schöneberg in einem Flüchtlingsheim lebt, erholt sich nur sehr langsam von den schweren Verletzungen.

BM 9.1.12; BZ 9.1.12;

TS 10.1.12; taz 13.1.12;

ReachOut Berlin 16.1.12;

indymedia 16.1.12;

ND 16.1.12; jW 16.1.12;

BM 20.1.12

 

11. Januar 12

 

Bundesland Bayern. Die Regierung von Oberbayern läßt auf ärztlichen Rat hin etwa 20 minderjährige Flüchtlinge in ein Krankenhaus einweisen.

    Diese Jugendlichen befinden sich seit dem 7. Januar in einem Hunger- und Durststreik – am 10. Januar schlossen sich weitere 10 Flüchtlinge an.

    Sie protestieren gegen die für sie unerträglichen Zustände in der überfüllten "Bayern-Kaserne" in München, in der sie leben müssen. Die Jugendlichen warten dort viele Monate auf ihren Transfer in Wohneinrichtungen und sind weitgehend auf sich allein gestellt. Es gibt kaum Betreuung tagsüber, und nachts patrouilliert ausschließlich der Sicherheitsdienst, der den meist traumatisierten Jugendlichen Angst macht. Auf 80 Minderjährige kommt ein Vormund, der wenig Zeit für die Anliegen der Einzelnen hat. Es fehlt an Kochgelegenheiten, Duschen und Waschmaschinen. Zwei Tage im Monat fließt kein Wasser; das Essen ist schlecht und reicht zum Sattwerden nicht aus. Internet gibt es nicht, nicht einmal Ausweise für Bibliotheken – und Deutschkurse sind Mangelware.

    "Weil wir viele Probleme haben und niemand uns helfen kann, bekommen wir nach und nach psychische Probleme", schreiben die Hungerstreikenden in einer Pressemitteilung.

    Das Zwischenlager wird von der Inneren Mission München verwaltet, und der verantwortliche Pfarrer Herden spielt die Kritik herunter, lenkt ein mit Äußerungen, daß der Zustand der Kaserne "nicht ideal" sei, und es gehe "eng zu".

    Den Hungerstreik bagatellisiert und demontiert er der Öffentlichkeit gegenüber. Der Presse und UnterstützerInnen wird der Zugang zu den Hungerstreikenden verweigert – ihnen selbst wird das Verbot auferlegt, mit Pressevertretungen zu sprechen. Sogar dem Ausländerbeirat München wird der Zugang zu den Jugendlichen nach mehreren schriftlichen Anfragen verwehrt.

    Schließlich wird in einem Interview des Pfarrers Herden mit der Süddeutschen Zeitung deutlich, was hinter seinen Versuchen, den verzweifelten Protest der Jugendlichen zu boykottieren, tatsächlich steckt: "Durch den Umstand, dass die Betreuungsstellen in der Bayernkaserne zu hundert Prozent von der Landesregierung refinanziert werden, bin ich hier loyal und weisungsgebunden. Ich handele im Auftrag der Regierung von Oberbayern ...."

    Am 16. Januar wird eine Delegation der Jungendlichen in einem fünfstündigen Treffen mit Vertretungen des Sozial- und Kultusministeriums, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, des Jugendamtes, der Regierung von Oberbayern sowie der Inneren Mission überredet, den Hungerstreik zu beenden, indem Zugeständnisse gemacht wurden, die sowieso in Planung waren, oder durch das Versprechen, daß tatsächliche Rechtsbrüche beseitigt würden. Viele zentrale Forderungen bleiben unerfüllt.

    Eine Woche vor dem ersten geplanten Runden Tisch – am 7. März 12 – versucht sich einer der Sprecher der jugendlichen Flüchtlinge zu erhängen (siehe dort).

    Bei diesem Runden Tisch prangern die Flüchtlinge die weiterhin katastrophalen Zustände im Lager an.

Hinterland Dezember 2012

 

12. Januar 12

 

Bundesland Baden-Württemberg. Die 39 Jahre alte Ljuljeta Ademaj wird aus der Abschiebehaft Schwäbisch-Gmünd über Baden Airpark mit einem Sammelabschiebeflug in den Kosovo abgeschoben und ist dadurch von ihren vier Kindern getrennt.

    Ljuljeta Ademaj war vor 20 Jahren mit ihrer ältesten Tochter und ihrem damaligen Lebenspartner aus Montenegro in die Bundesrepublik geflüchtet und hatte die meiste Zeit im niedersächsischen Emden gelebt und gearbeitet. Hier sind auch ihre zweite Tochter und ihre beiden Söhne aufgewachsen.

    Die Abschiebung, die eigentlich behördlicherseits für Ende Oktober 2011 geplant war, konnten Ljuljeta Ademaj und ihre 14 und 16 Jahre alten Söhne verhindern, indem sie nicht Zuhause waren, als die Polizei sie abholen wollte. Seitdem galten sie als "untergetaucht".

    Um ihre Abschiebung zu verhindern, beschlossen Ljuljeta Ademaj und ihr Freiburger Lebensgefährte, die schon länger geplante Heirat aktiv in die Wege zu leiten. Doch als sie am 16. Dezember 11 auf dem Freiburger Standesamt die Formalitäten erledigen wollten, wurde Frau Ademaj von Zivilpolizisten festgenommen und in Handschellen abgeführt. Sie kam umgehend in Abschiebehaft.

    Der Grund: Nach dem Abschiebeversuch im Oktober war sie zur Fahndung ausgeschrieben worden, weshalb die Behörden zwischen Niedersachsen und Baden-Württemberg miteinander kommunizierten.

    Erst im Februar 2012 – drei Wochen nach der Abschiebung der Mutter – tauchen die beiden minderjährigen Söhne wieder auf und melden sich bei der Stadt Emden. Sie kommen bei ihren Schwestern unter, die nicht akut abschiebebedroht sind, weil die 22-Jährige eine feste Anstellung hat und die 20-Jährige sich noch in der Ausbildung befindet.

    Am 19. März 12 überreicht der Initiativkreis für das Bleiberecht von Roma in der Krummhörn und Emden ein Protestschreiben von 1095 Menschen an den Oberbürgermeister von Emden, in dem auch die schnelle Rückkehr von Ljuljeta Ademaj gefordert wird.

    Im August heiratet Frau Ademaj ihren deutschen Freund in Montenegro, und im Oktober wird die Einreisesperre aufgehoben. Jetzt hat Frau Ademaj im Rahmen der Familienzusammenführung die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht.

BaZ 21.12.11;

FRat NieSa 12.1.12;

NWZ 3.2.12; BaZ 13.2.12; FRat NieSa 29.3.12;

Emder Ztg 24.8.12; Emder Ztg 17.10.12

 

13. Januar 12

 

Nordhausen im Bundesland Thüringen. Als vier junge Flüchtlinge abends in einer Diskothek Geburtstag feiern wollen, werden sie schon am Eingang von den Türstehern gestoppt. "Guck mal, die Ausländer wollen hier rein", ruft der eine seinem Kollegen zu, der daraufhin auf die Gruppe zugeht und sie anschnauzt, daß Ausländer hier nichts zu suchen hätten. Als er einen der Afrikaner schubst, läuft ein anderer in Panik davon. Die beiden Security-Leute verfolgen ihn noch, holen ihn aber nicht ein. Zurückgekommen nehmen sie sich den Jüngsten, einen 17-Jährigen, vor. Sie schlagen und treten auf ihn ein und zerren ihn vom Gelände. Als die Polizei eintrifft, haben die Beamten Mühe, die Angreifer davon abzuhalten, weiter auf den blutenden Jungen einzuschlagen.

    Trotz der deutlichen Verletzungen des Jugendlichen rufen die Polizisten keinen Krankenwagen, sondern lassen ihn alleine und zu Fuß nach Hause gehen.

ezra

 

18. Januar 12

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Als die 6-köpfige afghanische Familie X. in der Nacht aus dem Flüchtlingsheim Jürgensdorf zur Rückschiebung nach Norwegen abgeholt werden soll, erleidet die 34 Jahre alte traumatisierte Sarah X. beim Packen der Habseligkeiten einen Schock und bricht zusammen. Sie kommt ins Krankenhaus, so daß die Maßnahme abgebrochen wird.

    Die evangelische Gemeinde Dom St. Nikolai entscheidet danach sehr kurzfristig, das Ehepaar Sarah und Ahmad X. und die 16-jährige Arezu, den 15 Jahre alten Omid, seinen Bruder Erfan und das vier Monate alte Baby ins "stille" Kirchenasyl zu nehmen.

    Die Familie hatte Afghanistan im Juni 2009 verlassen müssen, weil sie sich der Zwangsverheiratung der damals 13-jährigen Arezu mit einem Onkel väterlicherseits entziehen mußten. Die Folge ihrer Verweigerung waren Attacken und Beschimpfungen als "Ungläubige" auf offener Straße.

    Sie verkauften ihr Haus und gelangten mit Hilfe von Fluchthelfern auf dem Landweg über den Iran in die Türkei – von dort mit einem kleinen Boot bis nach Griechenland und schließlich mit dem Flugzeug nach Norwegen.

    Aus Angst vor der Abschiebung nach der Ablehnung des Asyls fuhr die Familie mit dem Bus in die Bundesrepublik.

    Ende Juni übernahm Deutschland aufgrund der gesundheitlichen Situation von Sarah X. die Durchführung des Asylverfahrens, und im Januar 2013 wird der Familie ein Bleiberecht gewährt.

Deutschlandradio 22.9.12;

FRat MeckPom

 

21. Januar 12

 

Abschiebegefängnis JVA Büren in Nordrhein-Westfalen. Ein 35 Jahre alter Palästinenser entzündet seine Matratze in suizidaler Absicht und wird dann mit schweren Verbrennungen und einer Rauchgasvergiftung ins Paderborner St. Johannisstift und anschließend in das Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg gebracht. Die Zelle brennt völlig aus.

    Drei Tage später erfolgt seine Entlassung aus dem Krankenhaus und die unmittelbare Vorführung beim Amtsgericht Paderborn, wo eine erneute Haftverlängerung um vier Wochen entschieden wird.

    Der Gefangene kommt zurück nach Büren in die "besondere" Zelle, in der er schon einige Wochen vor seinem Suizidversuch verbringen mußte, weil er Selbsttötungsabsichten geäußert hatte. Das "Besondere" an dieser Zelle sind Kontrollen in 15-minütigen Abständen.

    Eine Einweisung in die Psychiatrie wurde von keinem der Verantwortlichen in Erwägung gezogen.

Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren;

NW 24.1.12; Der Patriot 25.1.12

 

23. Januar 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Es ist der dritte Versuch der deutschen Behörden, einen abgelehnten Asylbewerber nach Guinea abzuschieben. Er soll in Polizei- und Arztbegleitung ausgeflogen werden. Bei seiner Durchsuchung finden die BeamtInnen drei Rasierklingen in seinem Mund. Als sie diese entfernen wollen, wehrt sich der Mann, verletzt sich, spuckt Blut und ringt nach Atem. Er kommt in die Flughafenklinik, wo die Rasierklingen in seinem Mundbereich nicht mehr gefunden werden. Da der Mann sich weigert, Röntgenaufnahmen machen zu lassen, bleibt völlig unklar, wie viele Klingen sich noch und an welcher Stelle in seinem Körper befinden.

    Trotzdem wird dort gemeinsam mit dem Abschiebungsarzt entschieden, daß er flugtauglich sei. Mit der Spezialfesselung, dem Bodycuff, und Fußschellen wird er ins Flugzeug gebracht. Da er dort sehr laut protestiert, lehnt schließlich der Flugkapitän seine Beförderung ab, so daß auch die Bundespolizei die Abschiebung für heute aussetzen muß.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

24. Januar 12

 

Bundesland Baden-Württemberg. Gegen 16.00 Uhr entsteht ein Brand im Flur der dritten Etage des Flüchtlingsheimes in Hechingen.

    In dem Gebäude leben insgesamt 140 Personen. Zehn Menschen müssen wegen der starken Rauchentwicklung evakuiert werden – ein Kleinkind wird vorsorglich mit Verdacht auf eine Rauchgasvergiftung stationär ins Krankenhaus eingeliefert. Ein brennendes Sofa – der eigentliche Brandherd – wird von der Hechinger Feuerwehr vor das Gebäude geschafft.

    Nach Belüftung des Stockwerkes können die BewohnerInnen wieder in ihre Zimmer.

Freiwillige Feuerwehr Hechingen 24.1.12;

SK 24.1.12; Polizei Balingen 24.1.12;

Zollern-Alb-Kurier25.1.12;

Schwarzwälder Bote 25.1.12

 

24. Januar 12

 

Heidenau im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge –Bundesland Sachsen. Unbekannte werfen zwei Steine gegen die Flüchtlingsunterkunft in der Geschwister-Scholl-Straße. Die Steine bleiben in der Scheibe stecken, so daß niemand zu Schaden kommen kann.

(siehe auch: 1. Januar 12 und 15. März 12)

Polizei Dresden 27.3.14;

BT DS 18/203

 

28. Januar 12

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Ein 24 Jahre alter Gefangener aus Albanien verletzt sich, indem er mit der Faust gegen Fenster schlägt.

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

29. Januar 12

 

Bundesland Bayern. Im Zimmer 321 des Gebäudes 305 vom Würzburger Flüchtlingsheim erhängt sich der 29 Jahre alte Iraner Mohammad Rahsepar mit einem Laken.

    Herr Rahsepar hatte seinen letzten Nachmittag in der Universitätsklinik Würzburg verbracht, weil er unter starken Kopfschmerzen litt. Er war ohne Begleitperson dort abgesetzt worden, und durch die sprachlichen Schwierigkeiten war es ihm nicht gelungen, seine gesundheitlichen Probleme deutlich zu machen. Nach mehreren Stunden Wartezeit verließ er frustriert und verzweifelt die Klinik und ging zurück zum Flüchtlingsheim, das er um 20.30 Uhr erreichte.

    Gegen 1.00 Uhr morgens schloß sich Herr Rahsepar in seinem Zimmer ein und reagierte nicht mehr auf Klopfen und Rufen. MitbewohnerInnen riefen zunächst den Hausmeister, dann den Sicherheitsdienst und die Polizei, aber erst der Feuerwehr war es gelungen, die von innen verschlossene schwere Eisentür des Zimmers zu öffnen. Da war Mohammad Rahsepar bereits tot.

    Mohammad Rahsepar hatte im Iran als Polizist gearbeitet, und als er sich Befehlen widersetzte, wurde er verhaftet und gefoltert. Vor acht Monaten gelang ihm die Flucht in die Bundesrepublik – seine Frau und sein Kind mußte er im Iran zurücklassen.

    Im Juli 2011 hatte der Arzt in der Aufnahmestelle Zirndorf Mohammad Rahsepar aufgrund seiner Leidensgeschichte gesundheitliche und psychische Belastungen bescheinigt und geraten, daß der Iraner statt in eine Sammelunterkunft zu seiner in Köln lebenden älteren Schwester kommt. Doch ein Zusammenzug von Geschwistern erlauben die deutschen Gesetze nicht, und so kam Mohammad Rahsepar in die Flüchtlingsunterkunft nach Würzburg.

    Als er während einer stationären Behandlung im Dezember Suizidabsichten äußerte, beantragte das medizinische Team um den verantwortlichen Arzt der Unterkunft, Prof. August Stich, "unter höchster Dringlichkeit" eine Veränderung der Unterbringung. Entweder in die Uni-Klinik oder zu seiner Schwester nach Köln. In der Gemeinschafts-Unterkunft jedenfalls seien die Voraussetzungen für seine Gesundung nicht gegeben.

    Sowohl Freunde und MitbewohnerInnen von Herrn Rahsepar als auch Prof. Stich machen die "entmündigenden" und "menschenverachtenden" Zustände in der Unterkunft und die Mißachtung der medizinischen Empfehlung eines Ortswechsels für den Suizid verantwortlich. Prof. Stich berichtet weiter, daß vor allem für diejenigen BewohnerInnen, die Folter und Gefangenschaft erlitten haben, die Unterbringung in einer ehemaligen Kaserne ("Emery-Kaserne") sehr belastend sei. Er konstatiert weiter "eine Zunahme an den Symptomen von psychiatrischen Erkrankungen, von Belastungsstörungen durch die Realität des Lebens in den Lagern."
    Der ohnehin schwer traumatisierte Mohammad Rahsepar befand sich seit sieben Monaten in diesem Flüchtlingslager und war zunehmend depressiver geworden.

    Am Tage nach seinem Tod demonstrieren 80 Menschen in der Würzburger Innenstadt. Sie trauern um Mohammad Rahsepar und fordern ein Ende der Zwangsunterbringung von Flüchtlingen in Heimen.

    Azar Rahsepar, die Schwester des Toten, die als politisch Verfolgte anerkannt ist und in Köln lebt, kritisiert auf einer Demonstration am 13. Februar, daß auch die Ärzte in der Uni-Klinik sich nicht um ihren Bruder gekümmert haben, als er an seinem letzten Tag um Hilfe suchte: " .... sonst wäre er noch am Leben."

Internationale Föderation Iranischer Flüchtlinge;

inFranken.de 30.1.12; SZ 31.1.12;

Südwest Presse 31.1.12; dapd 2.2.12; Main Post 5.2.12;

Antifa Teheran Köln 7.2.12; Main Post 10.2.12;

CosmoTV 24.6.12; Monitor 15.9.12

 

Ende Januar 12

 

Bundesland Brandenburg. Dem afghanischen Flüchtling Naser N. wird von der Kirchengemeinde Prenzlau Kirchenasyl gewährt, weil die behördlich veranlaßte Rückschiebung nach Italien bevorsteht. Dem schwer gehbehinderten Mann droht in Italien wie vielen anderen Flüchtlingen auch die Obdachlosigkeit. Das Verwaltungsgericht in Potsdam hatte keinen Rechtschutz gewährt, und auch nach dem Kirchenasyl ab Juni versuchen die Behörden erneut, die Rückschiebung durchzusetzen. Erst kurz vor Weihnachten – ein Jahr nach seiner Einreise in die BRD – entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), daß das Asylverfahren in der Bundesrepublik durchgeführt werden soll.

Infobrief - FRat Brbg Januar 2013

 

4. Februar 12

 

Cottbus in Brandenburg. Am frühen Morgen wird ein 26 Jahre alter Asylbewerber aus Kenia von zwei Männern angepöbelt, bedrängt und bis in seine Wohnung im Hoyerwerdaer Ring verfolgt. Die zwei Männer dringen gewaltsam ein, schlagen gegen die verschlossene Zimmertür und pöbeln weiter.

    Aus Angst klettert der Kenianer durch ein Fenster der im Erdgeschoß liegenden Wohnung ins Freie und verletzt sich dabei die Hand. Draußen benachrichtigt er die Polizei.

MAZ 6.2.12; LR 7.2.12;

Opferperspektive

 

7. Februar 12

 

Korbach im Bundesland Hessen. Als die Polizei morgens um 5.30 Uhr unangemeldet an der Wohnungstür der Roma-Familie Celic steht, um deren Abschiebung durchzuführen, springt der 30 Jahre alte Baskim Celic vom Balkon der im zweiten Stock liegenden Wohnung. Er erleidet dabei Brüche in beiden Handgelenken und am Unterarm und Verletzungen im Gesicht. Er kommt auf die Intensivstation des Korbacher Kranken

hauses.

    Ungeachtet des Dramas um den Vater und Ehemann werden Bukurija Celic, die 6-jährige Tochter Nerdivana und der 9-jährige Sohn Neda zum Flughafen Düsseldorf gebracht.

    Von hier aus erfolgt ihre Abschiebung im Rahmen einer sogenannten Sammelabschiebung, zu der in diesem Falle europaweit Flüchtlinge festgenommen und in Düsseldorf zusammengeführt wurden. Auch bei einer Zwischenlandung in Wien werden weitere Menschen zugeladen und in den Kosovo ausgeflogen.

    Herr Celic wird im Krankenhaus von Polizeibeamten bewacht, denn es besteht offiziell weiterhin Fluchtgefahr, und sobald er transportfähig ist, wird er in Abschiebehaft kommen und gegebenenfalls im Gefängniskrankenhaus der JVA Kassel weiterbehandelt.

    Familie Celic lebte seit 2007 in Landkreis Waldeck-Frankenberg, und seit Ende 2011 war Baskim Celic in Besitz einer Arbeitserlaubnis und einer Arbeitsstelle.

    Frau Celic ist durch erlittene Erlebnisse im Kosovo traumatisiert, und der Sohn Neda leidet unter Asthma und Allergien. Therapeutische Möglichkeiten gibt es für sie, als Angehörige der Roma, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht.

    Die Abschiebung der Familie aus Korbach und der Umgang mit dem Familienvater rufen auch außerhalb des Freundes- und Bekanntenkreises, zum Beispiel in den Schulen und Kirchen, große Empörung hervor, und so wird schon eine Woche später eine Eil-Petition an den Hessischen Landtag gestartet, um die Abschiebung von Baskim Celic zu verhindern und die Wiedereinreise seiner Familie zu erreichen.

    Am 22. Februar findet eine Kundgebung unter dem Motto: "Bleiberecht – das wäre gerecht" in der Fußgängerzone von

Korbach statt. Unter den circa 350 Menschen, die daran teilnehmen, befindet sich auch Baskim Celic, der am Vortag aus der Abschiebehaft entlassen wurde.

    Als der "Fall Celic" vom Petitionsausschuß Anfang März an die Härtefallkommission weiterempfohlen wird, verstärkt sich die Hoffnung auf eine gute Wendung. Nach Zustimmung des Innenministers für eine Aufenthaltserlaubnis am 21. Juli reist Baskim Celic in den Kosovo, erledigt Formalitäten und kommt mit seiner Familie zurück nach Korbach.

    Ein Jahr nach der dramatischen Abschiebung hat Frau Celic Arbeit gefunden, und ihr Mann hat eine Nach-Operation gut überstanden.

Waldeckische Landeszeitung 8.2.12; HNA 10.2.12;

Waldeckische Landeszeitung 13.2.12; HNA 16.2.12;

Korbacher Ztg 23.2.12;

HNA 18.8.12; Korbacher Ztg 19.8.12;

DW Flüchtlingsberatung Waldeck-Frankenberg

 

11. Februar 12

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Ein 32 Jahre alter türkischer Gefangener versucht, sich mit seiner Jacke am Fußballtor zu strangulieren.

BT DS 17/10597;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

13. Februar 12

 

Zentralkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis in Hamburg. Um 6.30 Uhr wird der 25 Jahre alte Barry Bubaker (Bubakar; Bubakkar) tot in seiner Zelle aufgefunden. Er ist infolge eines epileptischen Anfalls an Erbrochenem erstickt. Am Vortag um 16.45 Uhr ist er das letzte Mal lebend gesehen worden.

    Barry Bubaker war als Kindersoldat in Sierra Leone mißbraucht worden, bis ihm schließlich die Flucht als 15-Jähriger außer Landes gelang. Durch sein Schicksal im Bürgerkrieg war Barry Bubaker körperlich und psychisch schwer krank. Sein Körper war voller Narben, und ab 2002 peinigten ihn epileptische Anfälle, als deren Ursache eine Kopfverletzung ver-

mutet wird.

    Entgegen seinen eigenen Angaben legte das Institut für Rechtsmedizin der Universitätskliniken Eppendorf (UKE) sein Alter auf 20 Jahre fest, wodurch dem Jugendlichen "ein zweites Mal seine Kindheit" geraubt wurde. Ihm stand als "Erwachsenem" kein Vormund zu, keine qualifizierte Jugendeinrichtung und erst recht kein Schulunterricht. Er lebte in öffentlichen Unterkünften für Asylbewerber.

    Schon im Jahre 2002 wurde sein Asylantrag als "unanfechtbar" abgelehnt, weil Abschiebehindernisse von den Behörden nicht gesehen wurden.

    Erst 2007 wurden aufgrund einer Klage gegen die Abschiebeandrohung seine schweren Erkrankungen anerkannt, und er erhielt einen Aufenthaltstitel. Dieser ermöglichte es ihm jetzt, sein Leben neu zu organisieren. Er belegte Integrationskurse und versuchte eine Arbeit zu finden. Aufgrund seiner Krankheiten gelang ihm dies nicht, was zur Folge hatte, daß er auch keine Wohnung mieten konnte. Er lebte weiterhin in Flüchtlingsunterkünften.

    Neben der schweren Epilepsie, wodurch Barry Bubaker teilweise mehrmals wöchentlich von Krampfanfällen gepeinigt wurde, litt er an Leberzirrhose, wahrscheinlich infolge einer Bilharziose, an einer Erkrankung der Speiseröhre und des Magens (Varizen) und an einer Eisenmangelanämie. Zudem hatte er über einige Zeit Drogen- und Alkoholprobleme, die er allerdings aus eigener Kraft überwinden konnte.

    Ein sozialmedizinisches Gutachten aus dem Jahre 2009 beschrieb die "gesundheitlichen Folgen seiner sozialbiographi-

schen Leidensgeschichte" und empfahl eine "enge hausärztliche/internistische und neurologische Mitbehandlung".

    Da sich die Anfälle oft mit einem Aggressionsschub ankündigten, waren die Freunde von Barry Bubaker von großer Wichtigkeit, weil sie in der Lage waren, ihn entsprechend zu beruhigen und festzuhalten.

    Am 31. Januar war Barry Bubaker allerdings alleine, als er um 19.27 Uhr von Polizeibeamten auf Höhe der Sengelmannstraße 80 festgenommen wurde, weil er an einer tätlichen Auseinandersetzung beteiligt gewesen sein sollte.

    Am nächsten Tag um 4.40 Uhr wurde er dem Haftrichter vorgeführt, der wegen "Fluchtgefahr" ("fehlende soziale Bindungen", "keine legale Arbeit", "Wohnunterkunft für Asylbewerber") einen Haftbefehl erließ. Barry Bubaker wurde wegen des Verdachts auf Körperverletzung in Untersuchungshaft genommen.

    Bei der 15-minütigen Aufnahmeuntersuchung wurde festgestellt, daß Barry Bubaker einen "gefaßten Eindruck machte" (Senat) und daß er eine verschorfte Platzwunde als Folge eines Krampfanfalles hatte. Am 2. Februar wurde er aufgrund eines erneuten Krampfanfalls ins Zentralkrankenhaus verlegt.

    Zehn Tage nach seiner Festnahme wurde Barry Bubaker bei einem sogenannten Zugangsgespräch gefragt, ob er eine anwaltliche Vertretung hätte. Er bejahte dies, konnte jedoch den Namen des Anwalts nur phonetisch und nicht schriftlich angeben, wodurch letztlich kein Anwalt über seine Inhaftierung informiert wurde.

    Für die im Zentralkrankenhaus zuständigen Ärzte spielte die Vorgeschichte des Gefangenen offensichtlich überhaupt keine Rolle. Sie diagnostizierten zwar die Epilepsie, forderten allerdings weder Krankenberichte aus den diversen Krankenhäusern ein, in denen Barry Bubaker behandelt worden war, noch stellten sie den Kontakt zu seiner behandelnden Ärztin her.

    Die Haftfähigkeit wurde von ihnen niemals angezweifelt. Barry Bubaker sollte am nächsten Tag aus dem Haftkrankenhaus wieder in die Untersuchungshaft zurückverlegt werden.

Pressestelle des Senats 13.2.12;

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/3231;

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/3346;

Linksfraktion Hamburg 10.4.12;

Protokoll Ausschuß für Justiz Nr. 5.4.12;

Christiane Schneider 9.12.12

 

13. Februar 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. In einem zweiten Versuch wird ein afghanischer Flüchtling entsprechend dem Dublin-II-Verfahren nach Oslo ausgeflogen, obwohl er panische Angst davor hat, von dort aus nach Afghanistan abgeschoben zu werden.

    Der erste Abschiebungsversuch war abgebrochen worden, nachdem in seinem Mund eine Rasierklinge entdeckt worden war.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

15. Februar 12

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Ein 26 Jahre alter Gefangener aus dem Libanon verletzt sich, indem er mit seinem Kopf gegen die Wand schlägt.

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

21. Februar 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine 56 Jahre alte Syrerin soll mit ihrem 31-jährigen Sohn enstprechend dem Dublin-II-Verfahrens nach Kopenhagen bzw. Stockholm rückgeflogen werden. Beide waren seit drei Wochen in Abschiebehaft, und die dortigen Bediensteten hatten dem Abholkommando keinerlei Medikamente für die an Diabetes erkrankte Frau mitgegeben. Dies ist der Grund, weshalb die Bundespolizei die Abschiebung jetzt stoppt und die beiden wieder zurück in Abschiebehaft kommen.

    Das eigentlich Tragische an ihrer Geschichte ist jedoch, daß sie mit einem PKW ohne Erlaubnis in die Bundesrepublik gekommen waren, um das neu geborene Kind der Tochter bzw. Schwester, die mit einem Deutschen verheiratet ist, kennenzulernen. Sie hatten niemals die Absicht, hier zu blei-ben, waren jedoch zwei Tage vor ihrer geplanten Rückkehr von der Polizei verhaftet worden.

    Nach einer weiteren Woche in Gefangenschaft, die vor allem die Frau an ihre physischen und psychischen Grenzen bringt, werden sie dann ausgeflogen.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

22. Februar 12

 

Kamenz im Bundesland Sachsen. Gegen 3.30 Uhr schlagen drei vermummte Personen die Fensterscheiben der Flüchtlingsunterkunft in der Gartenstraße ein. Bevor die Polizei eintrifft, sind die Täter verschwunden.

    Am Tag zuvor war ein neues Flüchtlingsheim für AsylbewerberInnen in unmittelbarer Nähe eingeweiht worden, und in den nächsten Tagen sollen die Flüchtlinge aus der Gartenstraße und aus Seeligstadt dorthin umziehen.

    Die Polizei geht von einem rechtsextremistischen Hintergrund aus – der Staatschutz ermittelt.

    Als Reaktion auf den Anschlag demonstrieren am 29. Februar rund 500 Personen in Kamenz mit einer Menschenkette ("Gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit"), zu der alle Fraktionen des Stadtrats und drei Kirchen aufgerufen haben.

Linksfraktion Kamenz 23.2.12;

LR 1.3.12

 

24. Februar 12

 

Bundesland Bayern. Um 0.06 Uhr geht eine Meldung in der polizeilichen Leitstelle Straubing ein, daß im Flüchtlingsheim Deggendorf eine Bombe versteckt ist.

    Es erfolgt zügig die Evakuierung der ca. 100 BewohnerInnen, von denen vor allem die Frauen und Kinder in einer naheliegenden Diskothek unterkommen können. Die männlichen Bewohner – viele nur notdürftig bekleidet – müssen in den winterlichen Temperaturen den Abschluß der Durchsuchung des Gebäudes durch Polizisten und Spürhunde im Freien abwarten.

    Auch stehen den Flüchtlingen keinerlei psychologische Betreuung oder AnsprechpartnerInnen zur Verfügung – weder während noch nach der Evakuierung des Heimes. Die zum Teil schwer traumatisierten Menschen bleiben sich selbst überlassen, einige berichten, daß sie die Nacht in Todesangst verbracht haben.

    Obwohl die NPD am Vorabend ihre Aschermittwochs-Veranstaltung in Deggendorf abgehalten hat, schließt die Polizei einen rechtsradikalen Hintergrund aus.

FRat Bayern 28.2.12;

Polizei Niederbayern 5.3.12;

aida-archiv.de

 

25. Februar 12

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Zwei 18 Jahre alte und ein 35-jähriger Flüchtling sind nachts auf dem Heimweg zu ihrer Unterkunft, der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewreber (ZAST). Auf diesem Weg werden sie von zwei Halberstädter Männern – 20 und 23 Jahre alt – rassistisch beleidigt und bedroht. Den gerufenen Polizeibeamten gelingt es, eine Eskalation zu verhindern.

    Gegen die beiden Täter werden Ermittlungen wegen Volksverhetzung und Bedrohung aufgenommen.

dapd 26.2.12

 

27. Februar 12

 

Bundesland Bayern. Die Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verschickt einen Bescheid an Maida Murselovic, in dem steht, daß ihr acht Monate alter Sohn Karam innerhalb einer Woche die Bundesrepublik zu verlassen habe – andernfalls würde er nach Serbien abgeschoben. An diesen Bescheid angeheftet ist eine Tabelle mit Reisekosten und Zuschüssen für die Reise per Bahn, Bus oder Flugzeug.

    Die 23 Jahre alte Romni Maida Murselovic kam als 10-Jährige mit ihren Eltern aus Serbien nach Bayern und besitzt heute ein vorübergehendes Bleiberecht. Im Flüchtlingsheim Neuburg lernte sie den Iraker Haji R. kennen, sie heirateten und bekamen drei Kinder – Karam ist das jüngste.

    Als Maida Murselovic mit den Kindern in München untergebracht wurde, erfolgte die Trennung der Familie, weil ihr Mann im Flüchtlingsheim Neuburg bleiben muß. Und weil er sich nicht mehr um die Kinder kümmern konnte, konnte seine Frau nicht mehr arbeiten gehen. Eine Arbeitsstelle ist aber für die Verfestigung ihres Aufenthaltes unumgänglich.

    Auf Nachfragen beim Bundesamt wird erklärt, daß die Zuschickung der Ausreiseaufforderung an unter 5-Jährige eine Routineangelegenheit des Bundesamtes sei. Ein Begleitschreiben, das den erschrockenen und in Panik geratenen Eltern erklärt, daß es sich bei dieser "Abschiebungsandrohung" nur um einen formalen Vorgang handelt, zu dem die Behörde "verpflichtet" sei, und nicht um eine tatsächliche Abschiebungsandrohung, hält das Amt nicht für notwendig.

Welt 14.3.12;

dapd 15.3.12; SZ 15.3.12;

Spiegel 20.3.12

 

28. Februar 12

 

Bundesland Brandenburg. Ein 28 Jahre alter Neonazi randaliert vor der Flüchtlingsunterkunft in Potsdam. Er wirft Steine in Richtung des Gebäudes, zerschlägt mit einer Bierflasche die Eingangstür und zeigt den "Hitlergruß".

    Bei seiner Festnahme leistet er deutliche Gegenwehr und bespukt die Beamten.

MAZ 28.2.12

 

7. März 12

 

Bundesland Bayern. Ein 17-jähriger afghanischer Flüchtling versucht sich in der sogenannten Bayern-Kaserne in München zu erhängen. Nur durch das rasche Einschreiten einiger Sozialbetreuer und der Mitarbeiter des Wachdienstes, die auch erste Hilfe leisten, kann er gerettet werden und kommt ins Krankenhaus.

    Der Jugendliche wohnt seit ca. fünf Monaten in der Erstaufnahmestelle für minderjährige Flüchtlinge und ist einer der Sprecher der BewohnerInnen, die seit Monaten gegen die "menschenunwürdige Unterbringung" protestieren.

    Bereits im Januar hatten bis zu 40 Jugendliche mit einem Hunger- und Durststreik auf die Mißstände aufmerksam gemacht.

    Jetzt sollte in einer Woche der erste geplante Runde Tisch stattfinden. (siehe auch 11. Januar 12)

Mainpost 7.3.12;

Münchner Abendzeitung 8.3.12; Welt 8.3.12;

ND 12.3.12

 

7. März 12

 

Bundesland Bayern. Nach Beschluß des Bundesgerichtshofes Karlsruhe wird ein 17 Jahre alter somalischer Flüchtling aus der Abschiebungshaft in der JVA Stadelheim entlassen. Für den nächsten Tag war seine Rückschiebung nach Ungarn geplant.

    Als er am 27. Januar 12 im Zug aus Österreich kommend festgenommen wurde, war er noch 16 Jahre alt.

    In Bayern werden Frauen und Minderjährige, die sich in Abschiebehaft befinden, im regulären Strafvollzug untergebracht. Damit verstößt Bayern gegen eine EU-Richtlinie zur Rückführung illegaler Einwanderer aus dem Jahre 2008, daß Abschiebegefangene getrennt von Strafgefangenen untergebracht werden müssen.

BGH 8.5.12; SZ 16.8.12;

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

8. März 12

 

Bundesland Bayern. Wenige Stunden vor seiner geplanten Abschiebung erleidet der 21 Jahre alte Ismail Afzali in der Abschiebehaft der JVA München-Stadelheim einen schweren psychischen Zusammenbruch, wodurch die Abschiebung nach Afghanistan nicht stattfinden kann. Er kommt in die psychiatrische Klinik München-Haar, in der eine Posttraumatische Belastungsstörung festgestellt wird.

    Ismail Afzali war vor drei Jahren in die BRD geflüchtet und hatte Asyl beantragt, weil er von den Taliban bedroht und unter Druck gesetzt worden war.

    In Passau gelang es ihm, der nie schreiben gelernt hatte, mit enormem Fleiß Deutsch zu lernen und als Übersetzer anderen Flüchtlingen zu helfen. Er suchte sich auch eine Arbeit, bekam aber keine Arbeitserlaubnis. Und er arbeitete unbezahlt (ehrenamtlich) in einem Altenheim, weil er gerne den Beruf des Altenpflegers erlernen wollte.

    Als Ismail Afzali vor einem Jahr schon einmal abschiebebedroht war, hatten sich viele Menschen, auch PolitikerInnen verschiedener Parteien, für ihn eingesetzt, so daß die Abschiebung verhindert werden konnte.

    Als er jetzt wieder bedroht war, tauchte er unter, wurde jedoch am Münchener Hauptbahnhof festgenommen und in Abschiebehaft gebracht.

    Im Mai befindet er sich immer noch in stationärer Behandlung – inzwischen im psychiatrischen Krankenhaus Mainkofen in Deggendorf. Ein Asylfolgeantrag und eine Petition an den Bayerischen Landtag sind noch nicht entschieden.

PNP 8.3.12; PFP 9.3.12;

Zeit 5.5.12; Unser Radio 10.5.12

 

13. März 12

 

Bundesland Niedersachsen. Am frühen Morgen um 3.00 Uhr erscheinen in der Braunschweiger Unterkunft einer Roma-Familie fünf bis sieben Personen in staatlichem Auftrag und fordern das Ehepaar auf, seine Sachen zu packen. Sie sollen mit ihren vier Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren über Düsseldorf nach Serbien abgeschoben werden. Die psychisch schwerkranke Mutter der Kinder gerät in Panik, greift zu einem Messer und versucht, sich die Halsschlagader durchzuschneiden.

    Dies kann verhindert werden. Die Frau kommt in die psychiatrische Klinik nach Königslutter, und die Abschiebung wird vorerst ausgesetzt.

    Die Familie befindet sich seit elf Monaten in der BRD, und die schwere psychische Erkrankung und die Suizidalität der Frau waren den Behörden bekannt, zumal auch der behandelnde Arzt die Frau als reiseunfähig eingestuft hatte.

    Daraufhin hatte die Landesaufnahmebehörde ein Gegengutachten im Braunschweiger Gesundheitsamt in Auftrag gegeben, das zu dem zu erwartenden Schluß kam, daß die Frau durchaus reisefähig sei. Aber "um der Familie und insbesondere der Frau Streß zu ersparen", wurde von dem Psychiater am 13.12.11 geraten, die Abschiebung unangekündigt durchzuführen.

Ratsanfrage der BIBS-Fraktion 20.3.12;

dapd 20.3.12; ndr 20.2.12; HAZ 20.3.12;

FRat NieSa 20.3.12

 

15. März 12

 

Bundesland Bayern. Um 8.30 Uhr geht ein Notruf bei der Feuerwehr der oberfränkischen Stadt Lichtenfels ein: "Brand im Asylbewerber-Wohnheim, mehrere Verletzte". Als die Feuerwehr eintrifft, befinden sich die BewohnerInnen der brennenden Wohnung, ein junges afghanisches Paar mit seinem 4-jährigen Sohn, bereits außerhalb des Gefahrenbereichs.

    Ihr Nachbar, der 26 Jahre alte Russe Aslanbek Pakayi war, nachdem er Hilferufe gehört hatte, sofort in das Erdgeschoß gelaufen. Er drang dort in die brennende Wohnung ein, tastete sich durch den schwarzen Qualm und fand als erstes den Jungen, der bereits bewußtlos war. Nachdem er ihn auf den Flur gebracht hatte, ging er ein zweites Mal in die Wohnung, entdeckte den bewußtlosen Vater des Jungen und schleppte den 27-Jährigen auf den Flur hinaus. Dann riskierte er ein drittes Mal sein Leben und seine Gesundheit, indem er wieder in die Wohnung ging, in einem Nebenraum die Frau am Boden liegend fand und schließlich auch hinaustrug.

    Die gerufenen Rettungsdienste versorgen die drei Verletzten vor Ort, die schwere Rauchgasvergiftungen erlitten haben. Die Mutter wird mit dem Rettungshubschrauber in eine Nürnberger Spezialklinik geflogen, der Vater kommt ins Lichtenfelser Klinikum und der kleine Sohn per Hubschrauber in die Kinderklinik nach Erlangen. Auch der Retter der Familie, Aslanbek Pakayi, hat sich verletzt, er hat schwere Bauchkrämpfe und leidet die nächsten Tage unter Appetitlosigkeit, muß aber nicht ins Krankenhaus.

    Allen sonstigen BewohnerInnen gelang es, rechtzeitig das Gebäude zu verlassen. Der Sachschaden wird auf 25.000 Euro geschätzt – die Brandursache ist vorerst unklar.

    Um 11.30 Uhr ist der Rettungseinsatz beendet, an dem sich 95 Feuerwehrleute aus Lichtenfels, 45 Personen vom Rettungs- und Sanitätsdienst und 12 Polizeibeamte beteiligten.

Polizei Oberfranken 15.3.12;

BRK – Coburg 15.3.12;

SanEL 15.3.12;

inFranken.de 26.4.12

 

15. März 12

 

Heidenau im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge –Bundesland Sachsen. Unbekannte werfen Steine gegen die Flüchtlingsunterkunft in der Geschwister-Scholl-Straße. Durch die Splitter der borstenden Scheiben werden zwei Bewohner leicht verletzt.

    Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.

(siehe auch: 1. Januar 12 und 24. Januar 12)

Polizei Dresden 27.3.14;

BT DS 18/203

 

22. März 12

 

Bad Belzig in Brandenburg. Der Flüchtling William K. ist spätabends auf dem Weg in seine Flüchtlingsunterkunft. Auf Höhe des Schwimmbades wird er rassistisch beleidigt und mit einer abgebrochenen Glasflasche um sein Leben bedroht.

    Dies ist bereits der zweite rassistische Angriff auf ihn und William K. ist inzwischen aufgrund der psychischen Folgen in therapeutischer Behandlung. Da das Leben in der Massen

unterkunft eine besondere Belastung darstellt, beantragt

William K. im April den Umzug in eine Wohnung. Nach dreimonatiger Bearbeitungszeit erhält er eine Absage und zusätzlich eine Geldkürzung auf 184 Euro pro Monat.

(siehe auch 12. Dezember 11)

Opferperspektive 3.8.12

 

26. März 12

 

Bundesland Hessen. Im vierten Stock der Zentralen Ausländerbehörde des Regierungspräsidiums in Kassel beginnen für die nächsten zwei Wochen sogenannte Indentitätsfeststel-

lungen.

    77 abgelehnte chinesische AsylbewerberInnen aus verschiedenen Bundesländern werden hier von deutschen und extra eingeflogenen chinesischen Beamten verhört, um anhand der Dialekte und Personalien feststellen zu lassen, ob sie tatsächlich aus China stammen. Sie sitzen also staatlichen Beamten aus dem Land gegenüber, aus dem sie geflüchtet sind.

    Ziel dieser Anhörung ist die Erstellung von Pässen, wodurch die Menschen schneller abgeschoben werden können.

    Die Flüchtlinge berichten hinterher, daß ihnen alle Gegenstände, die sie bei sich führten, ob Taschentücher oder Handys, abgenommen und in kleinen Plastikbeuteln verwahrt wurden und daß einige Flüchtlinge Leibesvisitationen unterzogen wurden, bei denen sie sich völlig entkleiden mußten. Zudem bekamen sie in den vielen Stunden des Wartens weder Getränke noch zu essen. Am schwersten wiegt jedoch der Vorwurf, daß die chinesischen Beamten vom Ministerium für Staatssicherheit gewesen seien und daß diese Einblick in Asylunterlagen hatten.

    Der Pressesprecher des Regierungspräsidiums weist alle Vorwürfe detailliert zurück.

HNA 24.3.12; HNA 29.3.12;

FRat Hessen 23.3.12; FRat Hessen 25.3.12;

FRat Hessen 4.4.12;

 

27. März 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein afghanisches Ehepaar soll mit seinen fünf Kindern auf Weisung des Donnersbergkreises (Rheinland-Pfalz) entsprechend dem Dublin-II-Verfahren nach Rom rückgeschoben werden. Die Frau kommt in vier Tagen in die 35. Schwangerschaftswoche.

    Wegen eines Streiks am Flughafen wird der planmäßige Flug storniert, und die Bundespolizei prüft, ob die Familie in die nächste Maschine umgebucht werden kann.

    Die Wartezeit ím Familienraum dauert viele Stunden, so daß die BeamtInnen Essen und Trinken besorgen müssen. Plötzlich klagt die Frau über Übelkeit und starke Kopfschmerzen, so daß sie in die Flughafenklinik gebracht werden muß. Damit kann die Abschiebung an diesem Tag nicht mehr stattfinden.

    Als die Bundespolizei einen Flugtermin für den nächsten Tag vorschlägt, verzichtet die Ausländerbehörde aufgrund des Risikos durch den Streik auf die Rückschiebung und hat auch in der Folge keine weiteren Überstellungsversuche unternommen.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

28. März 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Auf Anordnung der Ausländerbehörde Chemnitz soll ein Ehepaar mit Kindern in unterschiedliche Länder abgeschoben werden: der Mann nach Mazedonien und die Frau mit den beiden gemeinsamen kleinen Kindern nach Serbien. Dieses Vorhaben erfahren sie erst auf dem Flughafengelände.

    Kurz vor dem Abflug wird auf Verfügung des sächsischen Innenministeriums die Abschiebung gestoppt.

    Wegen der Überschreitung der Dienstzeiten können die BeamtInnen der Bundespolizei die Familie nicht mehr nach Sachsen zurückfahren. Sie besorgen Bahntickets und bringen sie zum Fernbahnhof am Flughafen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Familie erhebliche Strapazen hinter sich. Sie sind seit 2.00 Uhr unterwegs, die Frau stillt noch den drei Monate alten Säugling, und alle sind körperlich und seelisch völlig erschöpft.

    Am 4. April wird die Familie dann tatsächlich abgeschoben: der Vater nach Mazedonien und die Mutter mit den kleinen Kindern nach Serbien. Sie sind mittellos und wissen nicht, wie sie ihren Heimatort erreichen sollen. Der Wohnort der Eltern der Mutter liegt ca. 400 Kilometer von Belgrad entfernt. Die Ausländerbehörde erklärt sich bereit, der Mutter "ausnahmsweise" 50 Euro auszuzahlen – der Vater bekommt von der Abschiebebeobachterin ein kleines Handgeld aus Kirchenmitteln.

    Hinsichtlich der Mittellosigkeit erklärt das sächsische Innenministerium auf Nachfrage durch die Abschiebungsbeobachtung, daß aufgrund des regelmäßigen Bezugs von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eine Mittellosigkeit "lebensfremd" sei.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

29. März 12

 

Bundesland Bayern. Es ist der 11. Tag des Hungerstreiks der insgesamt 10 iranischen Flüchtlinge, die seit dem 19. März in Pavillons und Zelten vor dem Würzburger Rathaus campieren. Ein junger Mann kommt mit Kreislaufproblemen in die Klinik. Am nächsten Tag wird der 24-jährige Samander X. mit Verdacht auf Magenblutungen ins Krankenhaus gebracht. Beide Männer werden jeweils am selben Tag wieder entlassen und setzen ihren Protest vor dem Rathaus fort.

    Die Flüchtlinge wollen mit dem Hungerstreik auf ihre ausweglose Situation aufmerksam machen. Sie fordern die Anerkennung als politische Flüchtlinge, und sie fordern ein selbständiges, menschenwürdiges Leben in Freiheit. Sie leben zum Teil seit Jahren in der Gemeinschaftsunterkunft Würzburg, einer alten Kaserne mit rostiger Umzäunung und schweren Eisentüren. Sie erhalten nur Essenspakete, statt ausreichend Bargeld, um sich selbst zu ernähren, sie unterliegen der Residenzpflicht und dem Arbeitsverbot. Viele werden allein durch den Aufenthalt psychisch krank und nehmen Anti

depressiva, nur um den Tag zu überstehen.

    "Aufgrund unserer unwürdigen, krankmachenden Situation als Asylbewerber" bleibe ihnen keine andere Wahl, als an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie sind Oppositionelle, Gefolterte und Verfolgte des Regimes im Iran und gehen davon aus, daß ihnen bei einer Abschiebung die Todesstrafe droht.

    Einer der Sprecher der Hungerstreikenden ist Hassan Hosseinzadeh, der seit fünf Jahren in dem Flüchtlingslager leben muß.

    Er war im Januar von Mohammad Rahsepar nach der Länge der Aufenthaltszeiten der Flüchtlinge in diesem Lager

gefragt worden, und er bereut es noch heute, daß er seinem Mitbewohner damals die Wahrheit sagte, denn Mohammad Rahsepar erhängte sich kurz danach. (29. Januar 12)

    Mit dem Hungerstreik gelingt es den Iranern, ihre Situation als Flüchtlinge in Bayern öffentlich zu machen. Presse und PolitikerInnen besuchen die Zelte vor dem Rathaus, nur die Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU), mit der die Flüchtlinge sprechen möchten, fühlt sich nicht zuständig.

    Ab dem 11. Hungerstreik-Tag (29. März) trinken die Männer nur noch Wasser – keine Säfte und keine Tees mehr.

    Nachdem am Wochenende (31. März/1. April) zwei Hungerstreikende ins Krankenhaus kommen, bricht am Montag ein dritter Mann wegen Unterzuckerung zusammen und muß ebenfalls stationär behandelt werden.

    Am 5. April brechen die Flüchtlinge den Hungerstreik zunächst ab, weil der Vizepräsident des Bundesamtes für Migration und ein Vertreter des Bayerischen Sozialministeriums sich bereit erklärt haben, die Asylgründe der Iraner noch einmal zu prüfen und mit ihnen im Würzburger Rathaus zu sprechen.

    Der Protest der Flüchtlinge wird unvermindert fortgesetzt, auch als ihnen die Stadtverwaltung den Platz vor dem Rathaus verwehrt und sie zum Unteren Markt umziehen müssen. Dort dürfen sie allerdings nur die Pavillons aufstellen, dort zu nächtigen wird verboten, was die Polizei dann auch mit der Wegnahme von neun Schlafplätzen durchsetzt.

    Am 23. April starten die Flüchtlinge eine Petition an den Bayerischen Landtag. Sie fordern neben der Abschaffung von Gemeinschaftsunterkünften und Essenspaketen auch das Recht eines jeden Asylantragstellers und einer jeden Antragstellerin auf DolmetscherInnen und RechtsanwältInnen.

    Am 30. April setzen die Flüchtlinge den Hungerstreik fort – sie nehmen ab sofort nur noch Wasser zu sich. Damit protestieren sie auch gegen den Ablauf der Überprüfungsfrist ihrer Asylanträge, die vom Bundesamt nach Einbringung neuer Fakten neu entschieden werden sollen.

    Am 4. Mai wird öffentlich, daß vier Flüchtlinge als Asylbewerber jetzt anerkannt sind, ein Antrag bearbeitet und abgelehnt ist, zwei weitere sich noch im Wiederaufnahme-Prozeß befinden und für drei Anträge noch keine Entscheidung gefallen ist. Diese Behörden-Aktivitäten hätten allerdings mit dem Hungerstreik der Asylantragsteller nichts zu tun, denn das Bundesamt sei "nicht erpressbar", so eine Sprecherin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

    Trotz dieser Teilerfolge des Protestes streiken alle Iraner weiter, um für alle die Anerkennung als Asylbewerber zu erreichen.

    Am 9. Mai beenden die Flüchtlinge den Hungerstreik – ihr nun schon seit siebeneinhalb Wochen dauerndes Protest-Camp setzen sie fort.

    In der Nacht zum 4. Juni, zehn Wochen nach Beginn der Protestaktionen, verkünden Arash Dosthossein und Mohamad Hassanzadeh Kalali, daß sie erneut einen Hungerstreik beginnen und nähen sich die Lippen zusammen. Bis zur Erfüllung ihrer Forderungen werden sich alle drei Tage weitere Iraner den Mund zunähen.

    Arash Dosthossein war im Iran Rechtsanwalt, wurde inhaftiert und gefoltert und mußte ohne seine Frau aus dem Iran flüchten.

    Der 33-jährige Mohamad Hassanzadeh Kalali war Mechaniker im islamisch-konservativen Maschhad, der zweitgrößten Stadt des Irans. Er hatte gegen den Islamismus gekämpft, und bei einer Abschiebung droht ihm der Tod.

    Die beiden wiederholen die Forderung nach Anerkennung aller (!) Protestierenden als politische Flüchtlinge, denn es wurden vom Bundesamt bisher nur fünf positiv entschieden.

Ein weiterer Mann darf nicht abgeschoben werden, ein Antrag wurde abgelehnt, und die übrigen drei Männer klagen derzeit vor dem Verwaltungsgericht gegen ihre ablehnenden Bescheide. Zudem fordern sie weiterhin die Abschaffung aller Flüchtlingslager, Abschiebestop u.a.

    Aus Solidarität und zur Unterstützung der Forderungen kleben sich sechs weitere Protestierende ihre Lippen mit Pflaster zu. Da die Aktion auch auf Seiten der UnterstützerInnen nicht unumstritten ist, erklären die beiden öffentlich, daß sie sich zu diesem "gezielten und bewußten Kampf" in "körperlicher und geistiger Gesundheit" entschlossen haben.

    Am 6. Juni nähen sich zwei weitere Iraner die Münder zu: Reza Feizi aus Aub und Payam Rahhoo aus Schweinfurt. Reza Feizi ist nierenkrank und zudem im Besitz von nur einer Niere. Am 8. Juni wird er ins Krankenhaus eingeliefert.

    Am 11. Juni schließen sich drei weitere Flüchtlinge dem Protest an und vernähen sich die Lippen. Es sind Frau Mandana Hemat Esfeh aus Bayreuth, Azhin Asadi aus Aub und Mehdi Sajadi aus Augsburg. Damit erhöht sich die Zahl der Hungerstreikenden, die ausschließlich Wasser zu sich nehmen, auf dreizehn.

    Der 24-jährige Mehdi Sajadi war Internetblogger in Teheran und wandte sich öffentlich gegen die Steinigungen durch das Ayatollah-Regime. Nachdem die Geheimpolizei seine Wohnung durchsucht hatte, gelang ihm die Flucht außer

Landes.

    Erneut reagiert die Stadtverwaltung mit Verboten und Schikanen. Am 15. Juni wird den Flüchtlingen mit zugenähten Mündern verboten, sich weiterhin im Protest-Camp aufzuhalten – auch dürfen von ihnen keine Bilder sichtbar aufgehängt werden. Dies sei nötig, um die Öffentlichkeit zu schützen. Zudem sollen die Protestierenden erneut zu einem anderen Ort der Innenstadt umziehen. Um "Versammlungstourismus" zu verhindern, verbietet die Stadt kurzerhand Flüchtlingen aus anderen Städten, an dem Protest teilzunehmen.

    Drei Tage später hebt das Verwaltungsgericht Würzburg diese Verbote wieder auf.

    Reza Feizi und Payam Rahoo haben durch ihren Protest-Hungerstreik und das Zusammennähen der Lippen jetzt – nach zweijähriger Wartezeit – die Anerkennung als politische Flüchtlinge erhalten. Frau Mandana Hemat Esfeh, die auf Drängen ihrer Freunde die Fäden an ihrem Mund wieder entfernt hat, wird mitgeteilt, daß ihre Tochter in eine andere Gemeinschaftsunterkunft kommen wird, wenn sie nicht umgehend nach Bayreuth zurückkehrt.

    Am 22. Juni kündigen Mohamad Hassanzadeh Kalali und Arash Dosthossein an, daß sie bis zum 100. Protesttag abwarten und dann, ab dem 27. Juni, auch kein Wasser mehr zu sich nehmen werden, wenn bis dahin die noch anstehenden Asylanträge nicht bearbeitet sein sollten.

    Mohamad Hassanzadeh Kalali begibt sich ab dem Stichtag in Lebensgefahr, indem er seinen Hungerstreik jetzt "trocken" fortsetzt. Der Pressesprecher des Verwaltungsgerichts Regensburg sagt daraufhin eine rasche und zügige Bearbeitung der Akte zu.

    Als am 6. Juli das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Flüchtlingen mündlich mitteilt, daß die vier dort vorliegenden Akten bearbeitet worden seien, entfernen alle Männer ihre zum Teil seit Wochen in den Lippen sitzenden Fäden und beenden den Hungerstreik.

    Allein Mohamad Hassanzadeh Kalali nimmt weiterhin keine Nahrung zu sich. Inzwischen hat er 60 Tage gehungert und mehrere Tage nichts getrunken. Er leidet zunehmend unter Herzrhythmusstörungen und Nierenproblemen.

    Seit Anfang Juli sind weitere Protest-Camps entstanden. In Aub und Bamberg haben Flüchtlinge ihre Lager verlassen, bauen Zelte und Pavillons in den Innenstädten auf und protestieren von hier aus gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik.

    Ab dem 11. Juli beginnen sechs Asylbewerber aus dem Iran mit einem Protest-Zelt auf dem Neupfarrplatz in Regensburg.

    Ab 16. Juli besteht ein Protest-Camp auch in Düsseldorf in der Nähe des Nordrhein-Westfälischen Landtages. Auch hier sind Flüchtling aus dem Iran und Guinea in den Hungerstreik getreten.

    Am 28. Juli protestieren mehrere hundert Menschen zeitgleich ab 14.00 Uhr in Würzburg, Aub, Bamberg und Regensburg unter dem Motto :"Kein Mensch ist illegal! Wir bleiben alle!" (siehe auch 23. Juli 12, 5. September 12 und den Text "Flüchtlingsproteste im Jahre 2012")

Hungerstreikende Flüchtlinge in Würzburg;

jW 18.3.12; pSZ 21.3.12; Welt 25.3.12;

SZ 28.3.12; SWP 29.3.12;

inFranken.de 3.4.12; MM 3.4.12;

epd 4.4.12; SZ 4.4.12; Welt 5.4.12;

ND 13.4.12; br 23.4.12;

Welt 30.4.12; inFranken.de 30.4.12;

br 4.5.12; Welt 4.5.12; SZ 5.5.12;

AZ Nürnberg 9.5.12;

domradio 4.6.12; MM 4.6.12; HA 4.6.12;

br 4.6.12; AZ Nürnberg 4.6.12; Mainpost 5.6.12;

inFranken.de 6.6.12; Mainpost 8.6.12;

Bild 15.6.12; br 19.6.12; Focus 19.6.12; AA 20.6.12;

Karawane 3.7.12; Mainpost 6.7.12; BaZ 10.7.12;

ND 21.7.12; SZ 30.7.12;

asylstrikeberlin.wordpress.com;

www.refugeetentaction.net

 

3. April 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Auf Anordnung der Ausländerbehörde Chemnitz soll eine Mutter mit ihren zwei kleinen, in Deutschland geborenen Kindern nach Serbien abgeschoben werden. Die Frau ist in der 31. Schwangerschaftswoche und eine Flugtauglichkeitsbescheinigung liegt nicht vor.

    Als die Frau sich beschwert, wird sie von den BeamtInnen in die Flughafenklinik gebracht, wo eine gynäkologische Untersuchung angeordnet wird.

    Die Frau weint ununterbrochen und wiederholt, daß der Vater der Kinder in Deutschland lebt. Sie versteht nicht, warum sie, die überwiegend in Deutschland gelebt hat, jetzt in ein für sie fremdes Land abgeschoben werden soll.

    Die Bundespolizei bricht die Abschiebung ab, und die Frau kann zu ihrem Heimatort in Sachsen zurückkehren.

    Hinsichtlich der Schwangerschaftsprobleme antwortet das sächsischen Innenministerium auf Nachfrage der Abschiebungsbeobachtung, daß man bei einer Frau in der 31. Schwangerschaftswoche nicht davon ausgehe, daß sie hochschwanger sei.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

13. April 12

 

Hopsten im Kreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen. Vier junge, schwarz gekleidete Männer werfen mitten in der Nacht einen Molotow-Cocktail auf einen Balkon eines Wohnhauses, das als Flüchtlingsunterkunft für albanische Familien dient. Durch eine dort gelagerte Matratze wird der Aufprall der Brandflasche abgefedert, so daß sie nicht zerschellt, die brennende Lunte allerdings die Matratze entzündet. Ein aufmerksamer Zeuge alarmiert die BewohnerInnen, die daraufhin die brennende Matratze auf die Straße werfen, so daß das Feuer dort gelöscht werden kann. Niemand von den Anwesenden wird verletzt.

    Später gestehen insgesamt sechs Jugendliche eine Beteiligung an der Planung des Anschlags und am Bau des Brandsatzes. Es sind zwei 16-Jährige, zwei 17-Jährige, ein 20 und ein 22 Jahre alter Mann – der 20-Jährige gilt als Haupttäter, der den Brandsatz geworfen hat. Schon an einem Wochenende vor der Tat hatten die Männer versuchsweise einen Molotow-Cocktail auf dem ALDI-Parkplatz im Dorf zur Explosion gebracht – als eine Art "Warm-up" für den Brandanschlag, wie ihr Richter es später beschreiben wird.

    Am 17. November 12 haben sich die Täter vor dem Jugendschöffengericht Ibbenbüren zu verantworten. Obwohl einer der Täter bei der polizeilichen Vernehmung als Motiv Rache angegeben hat und mindestens ein zweiter die Aussage gemacht hat, daß Ausländer in Hopsten nichts zu suchen hätten, wird der Suche nach den Motiven für die Tat nicht weiter nachgegangen.

    Die Jugendgerichtshilfe erklärt deutlich, keinen rechten Hintergrund der Täter zu sehen, und die Staatsanwaltschaft äußert, daß es "einen rechtsradikalen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Hopsten nicht gegeben hat."

    Schließlich kommt das Gericht zu dem Schluß, daß die Tat aus "Langeweile", "Sensationslust" und "persönlichen Rachegefühlen" sowie mit "einem erheblichen Maß an Dummheit und Ignoranz" begangen worden sei. Wegen versuchter schwe-

rer Brandstiftung werden alle unter 21-Jährigen zu 60 bis 140 Sozialstunden verurteilt, der 22-Jährige zu neun Monaten Haft auf Bewährung. Zudem müssen sie an einem Anti-Gewalt-Training teilnehmen und sich bei der Familie entschuldigen.

Welt 16.4.12; Ruhr Nachrichten 16.4.12;

NRW rechtsaußen 19.11.12;

Emanzipatorische Antifa Münster 19.11.12

 

14. April 12

 

Bundesland Brandenburg. Im Potsdamer Flüchtlingsheim Am Nuthetal werden durch den Brand eines Kinderwagens drei Personen verletzt. Unter ihnen befinden sich eine schwangere Frau und ihr 11-jähriger Sohn. Sie kommen alle mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung in ein Krankenhaus.

    Das Feuer kann schnell gelöscht werden, so daß die 170 BewohnerInnen im Gebäude bleiben können. Die Polizei ermittelt wegen schwerer Brandstiftung.

ND 14.4.12;

BM 15.4.12;

ND 16.4.12

 

23. April 12

 

Bundesland Bayern. In der Würzburger Flüchtlingsunterkunft Veitshöchheimer Straße – Stadtteil Unterdürrbach – fügt sich um ca. 22.30 Uhr ein iranischer Flüchtling mit den Scherben einer zerbrochenen Flasche schwere Schnittverletzungen zu. Er wird nach medizinischer Versorgung durch Sanitäter aufgrund von Eigengefährdung ins Bezirkskrankenhaus gebracht.

Polizei Unterfranken 24.4.12;

SZ 24.4.12; NBK 24.4.12;

 inFranken.de 24.4.12

 

25. April 12

 

Landkreis Spree-Neiße in Brandenburg. Die Bundespolizei kontrolliert ein in Belgien zugelassenes Fahrzeug, das auf der Bundesstraße 97 in Richtung Cottbus unterwegs ist.

    Außer dem 31-jährigen Fahrer befinden sich noch drei Russen im Alter von 51, 40 und 13 Jahren im Wagen, die keine gültigen Aufenthaltspapiere vorweisen können.

    Der 40-Jährige kommt aufgrund von gesundheitlichen Problemen umgehend in die stationäre Aufnahme eines Krankenhauses. Der 51-Jährige und sein 13 Jahre alter Sohn werden von den Beamten zur zentralen Ausländerbehörde nach Eisenhüttenstadt gebracht.

Bundespolizei Berlin 26.4.12

 

26. April 12

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Eine halbe Stunde nach Mitternacht erscheinen ein Einsatzteam der Bundespolizei und Angestellte der Ausländerbehörde ohne Vorankündigung im Wohnheim von Brilon, durchsuchen die Räume, kontrollieren die Menschen und nehmen den 23-jährigen Rom Adil Herceg mit, um ihn umgehend in den Kosovo abzuschieben. Damit ist der Rom von seiner Ehefrau und seiner 16 Monate alten Tochter gewaltsam getrennt.

    Ebenfalls um 0.30 Uhr dringen ca. 20 Polizisten überfallartig in die Wohnung der Eltern und anderer Familienangehörigen ein und kontrollieren deren Papiere. Da auch diese Menschen von Abschiebung bedroht sind, erleben die z.T. schwerkranken Menschen diesen nächtlichen Überfall in Panik.

    Adil Herceg war vor 20 Jahren, also als 3-Jähriger, mit seinen Eltern in die BRD gekommen, lebte bis zur Abschiebung in Flüchtlingslagern, arbeitete als Leiharbeiter und geriet schließlich durch Fahren ohne Ticket und das Nicht-Bezahlen der Bußgelder in die Rubrik "Straftäter".

    Im Herbst 2013 sind seine Eltern von der Abschiebung bedroht. Die 47-jährige Belina Herceg leidet an Diabetes und und ist in psychotherapeutischer Behandlung – sie hat bereits zwei Suizidversuche hinter sich.

    Sie ist – zusammen mit ihrem Mann Nazmi (49) – vor 21 Jahren in die Bundesrepublik gekommen. Beide betrachten den Hochsauerlandkreis als ihre Heimat und leben unabhängig von staatlicher finanzieller Unterstützung, weil sie beide Arbeit haben. Alle ihre Angehörigen, Kinder und Enkelkinder, leben hier. Nun will die Ausländerbehörde sie in den Kosovo und nach Mazedonien abschieben.

alle bleiben 26.4.12;

WAZ 2.5.12;

alle bleiben 5.5.12;

WAZ 9.10.13; wdr 23.10.13;

Unterstützer*innenkreis der Familie Herceg

 

April 12

 

Bundesland Niedersachsen. Der Landkreis Stade verweigert einer Frau aus dem Kosovo mit ihrem fast fünf Monate alten Baby den Umzug aus Osnabrück zu ihrem Ehemann nach Stade. Die Begründung ist, daß ihr Mann – ein Sinti, der die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland verbrachte, hier arbeitet und keine Sozialleistungen erhält – den gesetzlich geforderten Unterhalt für seine aufenthaltsrechtlich geduldete Ehefrau nicht aufbringen kann.

    Es ist so, daß viele Landkreise gerichtlich durchgesetzt haben, daß MigrantInnen ein höheres Einkommen erwirtschaften müssen (ca. 25 %) als SGB II EmpfängerInnen. Darauf stützt sich der Landkreis, und argumentiert zudem, daß die Frau ja jederzeit sowieso abgeschoben werden könne.

    Erst seit dem 12. Juni 12 wird der Aufenthalt der Frau bei ihrem Mann in Stade geduldet. Am 1. Januar 2013 bringt sie ihr zweites Kind zur Welt.

    Die Ausländerbehörde hat sie aufgefordert, zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern bis zum 15. März 2013 "freiwillig" nach Serbien auszureisen. Sollte sie es nicht tun, würde die Abschiebung angeordnet, und dies, obwohl der sorgeberechtigte Kindesvater über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, in einem festen Arbeitsverhältnis steht und die Familie keinerlei Sozialleistungen in Anspruch nimmt.

Buxtehuder Tageblatt 25.4.12;

Andreas Kuehn - Rechtsanwalt

 

3. Mai 12

 

Bundesland Sachsen. Im Haftkrankenhaus der JVA Leipzig schluckt ein 27 Jahre alter tunesischer Abschiebegefangener vier Schrauben und 12 Tage später einen zerbrochenen Eßlöffel. Am 31. Mai befindet er sich seit 10 Tagen in einem Hungerstreik und schneidet sich seinen Arm auf. Daraufhin wird er 48 Stunden lang in einem besonders gesicherten Haftraum festgebunden.

    Am 21. Juni wird er nach knapp zwei Monaten Abschiebungshaft nach Italien zurückgeschoben. Da jedoch die Überstellungsfrist abgelaufen war, darf er wieder in die Bundesrepublik einreisen.

KMii Leipzig

 

8. Mai 12

 

Flüchtlingsheim Betzingen in Baden-Württemberg. Als der 31 Jahre alte Asylbewerber um 11.40 Uhr im Büro der Heimleitung erfährt, daß er kein Einzelzimmer bekommt, beginnt er, Gegenstände wahllos zu beschädigen, und bedroht den Heimleiter mit einer zerbrochenen Glasflasche.

    Der Heimleiter benutzt Tränengas, um den Bewohner auf Distanz zu halten, der jedoch auch noch den Hausmeister mit einem Messer bedroht. Danach geht er in sein Zimmer und zerstört auch dort die Einrichtung.

    Die gerufene Polizei nimmt den durch das Tränengas verletzten Flüchtling fest und bringt ihn ins Krankenhaus, wo er nach medizinischer Erstversorgung in der psychiatrischen Klinik stationär aufgenommen wird.

SWP 10.5.12

 

8. Mai 12

 

Bundesland Sachsen. Aus der JVA Dresden heraus soll der 27-jährige Abschiebegefangene Idris A. in die Türkei abgeschoben werden. Nachdem sich der Kurde allerdings in den Räumen der Polizeidirektion selber verletzt, verweigert die Bundespolizei seine Übernahme mit der Begründung, er würde die Flugsicherheit gefährden. Beim nächsten Abschiebeversuch am 22. Mai 12 ist Idris A. an Händen und Füßen gefesselt und trägt einen großen Schutzhelm auf dem Kopf. Vor dem Betre-ten des Flugzeuges wehrt er sich und schreit so heftig, daß der Flugkapitän sich weigert, ihn mitzunehmen. An der Gegenwehr und der Drohung, sich wieder zu verletzen, scheitert auch der nächste Abschiebungsversuch am 3. Juli 12.

    Idris A. hat große Angst vor der Rückschiebung in die Türkei, in der er als angeblicher PKK-Sympathisant wiederholt in Gefangenschaft geriet und auch geschlagen wurde.

    Seinem in Deutschland lebenden Bruder gegenüber hat er im Falle einer Abschiebung konkrete Suizidpläne geäußert – allein der Hinweis auf seine Mutter hat ihn von der Umsetzung abgehalten.

    Für den 16. Juli 12, dem Stichtag der nächsten Abschiebung, haben die Behörden eine kleine Cessna-Maschine mitsamt ärztlicher und sicherheitstechnischer Begleitung gebucht.

    Rund 80 AktivistInnen vom Netzwerk Asyl, Migration, Flucht Dresden (NAMF) und andere versuchen vom frühen Morgen des 16. Juli 12, das Zufahrtstor der JVA Dresden zu blockieren. Die Polizisten kesseln die Menschen ein, und beginnen die ersten DemonstrantInnen wegzutragen. Die anderen TeilnehmerInnen skandieren: "Nazis morden – der Staat schiebt ab" und "Bleiberecht für alle – jetzt sofort!".

    Gegen 10.00 Uhr öffnet sich das Eingangstor, und drei Polizeitransportfahrzeuge verlassen das JVA-Gelände und fahren mit Blaulicht davon. Es ist offensichtlich, daß Idris A. sich in einem der Fahrzeuge befindet.

    Idris A., in der Türkei politisch aktiv in der seit Dezember 2009 verbotenen "Demokratiepartei" (DTP), wird nach zweieinhalb Jahren Deutschland-Aufenthalt nach abgelehntem Asylgesuch um 11.07 Uhr vom Flughafen Dresden in die Türkei ausgeflogen.

AZADI infodienst NBr. 115 Juli 12

 

8. Mai 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein 33 Jahre alter Mann soll im zweiten Versuch nach Erbil in den Nordirak abgeschoben werden. Er erzählt gleich bei seiner Ankunft, daß er nicht in den Irak fliegen will. Da er passiven Widerstand leistet, wird er von der Bundespolizei bis zum Flughafenbus getragen. Im Bus legt er sich regungslos auf die Sitzbank und reagiert auf gar nichts mehr. Der Flugkapitän weigert sich daraufhin, ihn zu befördern.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

10. Mai 12

 

Altena in Nordrhein-Westfalen. Ein Feueralarm geht bei der Feuerwehr um 19.45 Uhr ein, und als die Rettungskräfte in der Fritz-Thomee-Straße eintreffen, brennen bereits große Teile des Dachstuhls der dortigen Flüchtlingsunterkunft. Die Rettungskräfte dringen mit schwerem Atemschutz in das weitläufige und verwinkelte Gebäude vor.

    Von den insgesamt 16 BewohnerInnen können die zur Zeit anwesenden neun Personen aus dem Gebäude gerettet werden. Eine Bewohnerin, die den Brand von der Straße aus gesehen hat, kommt mit einem Schock ins Krankenhaus.

    Ein 23-jähriger Bewohner wird in Handschellen abgeführt, denn er steht im Verdacht, das Feuer verursacht zu haben. Mitarbeiter des Ordnungsamtes deuten an, daß er psychische Probleme habe. Er kommt zur stationären Behandlung ins Krankenhaus.

    Die BewohnerInnen werden in einem Haus der Altenaer Baugesellschaft In der Heimecke untergebracht. Im Herbst wird klar, daß sie dort auch bleiben, weil ein Rückzug in das zerstörte Haus nicht möglich ist. In den 16 Zimmern der neuen Unterkunft sollen maximal 23 Personen leben. Familien bekommen von der Stadt allerdings eine normale Wohnung zugewiesen.

RP 10.5.12;

YouTube - Sauerland2day;

come-on.de 11.5.12;

DRK im Märkischen Kreis 11.5.12;

WAZ 25.19.12;

Polizei Altena

 

12. Mai 12

 

Landkreis Dahme-Spree in Brandenburg. Am frühen Morgen brennen im Flüchtlingsheim von Waßmannsdorf zwei Kinderwagen, die offensichtlich von Unbekannten angesteckt wur-

den. Die Feuerwehr kann ein Übergreifen der Flammen auf weitere Räume verhindern. Die Polizei schließt einen politischen Hintergrund nicht aus.

ND 14.5.12

 

15. Mai 12

 

Bundesland Brandenburg. An der Potsdamer Haltestelle Magnus-Zeller-Platz werden gegen 19.00 Uhr drei Flüchtlinge zunächst beleidigt mit Sätzen wie "Was machst du in Deutschland, du Penner". Danach werden sie geschlagen und getreten. Ein 22-jähriger afghanischer Flüchtling wird von einer Bierflasche am Kopf getroffen und verletzt. Aufgrund seines körperlichen Zustandes wird er von Rettungskräften in ein Krankenhaus gefahren, wo er feststellt, daß ihm Bargeld fehlt. Er läßt sich auf eigenen Wunsch umgehend entlassen.

    Einer der Angreifer, ein 27-jähriger Mann, war kurz vor dem Angriff auf die Flüchtlinge wegen eines bestehenden Hausverbots von Angestellten der Security aus der Flüchtlingsunterkunft verwiesen worden.

Polizei Brandenburg 15.5.12;

Opferperspektive

 

29. Mai 12

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In Halle werden ein 31 Jahre alter Flüchtling aus Sierra Leone und seine 25-jährige Begleiterin in der Straßenbahn Linie 1 gegen 22.45 Uhr von einer vierköpfigen Gruppe rassistisch beleidigt. Als die beiden aussteigen wollen, stellt eine Frau aus der Gruppe der 25-Jährigen ein Bein und ein Mann beginnt, den Flüchtling massiv zu schubsen. Als die Betroffenen an der Haltestelle Marktplatz in eine andere Bahn umsteigen, werden sie von den AggressorInnen bis in den Waggon der Anschlußbahn verfolgt. Gerade als er sich hinsetzen will, bekommt der Mann aus Sierra Leone einen Schlag gegen den Kopf, so daß dieser gegen die Scheibe prallt und er sofort stark aus dem Mund blutet.

    Vier StudentInnen gelingt es jetzt, den Angreifer aus der Bahn zu drängen und die Polizei zu verständigen. Noch auf dem Marktplatz können die Beamten drei Tatverdächtige feststellen.

    Ende Oktober 13 muß sich der 39-jährige Haupttäter vor dem Amtsgericht Halle (Saale) wegen Körperverletzung verantworten. Das Verfahren wegen Beleidigungen seines 36 Jahre alten Kumpanen wird wegen Nicht-Erreichbarkeit abgetrennt, und die Frau dieser Gruppe wird gar nicht erst angeklagt.

    Der Angeklagte wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung verurteilt und bekommt unter Einbeziehung einer anderen Haftstrafe eine Gesamtstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Zudem muß er dem Opfer seiner Aggression 400 Euro Schmerzensgeld zahlen und außerdem die Kosten des Verfahrens tragen.

MDZ 30.5.12;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

30. Mai 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Auf Anweisung der Ausländerbehörde Emsland soll ein 49-jähriger Mann mit seiner Frau und seiner 2-jährigen Tochter nach Montenegro abgeschoben werden. Er wurde vor sechs Monaten am Bein operiert, ist immer noch in medizinischer Behandlung, und sein Bein sieht laut Aussage der Abschiebungsbeobachterin "bedenklich geschwollen" aus.

    Das Ehepaar erzählt, daß zwei Arzttermine – Neurologie und Chirurgie – anstehen und nun nicht wahrgenommen werden können. Zudem sehen sie keine Chance, daß die Behandlung des Beines in Montenegro fortgeführt werden kann. Die Familie wird dann in Begleitung eines Abschiebungsarztes ausgeflogen.

    Auf Nachfrage der Abschiebebeobachtung erklärt das Innenministerium Niedersachsen, daß die medizinische Behandlung des Beines abgeschlossen gewesen sei und der Arzt, der die Familie begleitet hat, "sehr erfahren in der Betreuung und Begleitung von ausreisepflichtigen Personen sei."

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

3. Juni 12

 

Bundesland Bayern. Morgens um 1.30 Uhr wird ein 22 Jahre alter äthiopischer Flüchtling von einem deutschen Rassisten beleidigt, angepöbelt und mit einer Flasche beworfen, die ihn am Schienbein verletzt. Als der Attackierte den Täter zur Rede stellt, setzt dieser seine rassistischen Äußerungen fort – schließlich kommt es zu körperlichen Auseinandersetzungen der beiden Männer und zwischen deren Begleitpersonen. Der Äthiopier erleidet dadurch weitere leichte Verletzungen.

aida-archiv.de;

Konkret (AZ München)

 

7. Juni 12

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In seiner Rostocker Unterkunft im Flüchtlingslager Satower Straße wird der afghanische Flüchtling Alireza Samadi am frühen Morgen von sechs Beamten aus dem Schlaf gerissen. Sie geben ihm 15 Minuten, seine Sachen zu packen und sich unter ihrer Aufsicht anzuziehen. Telefonieren mit dem Anwalt wird ihm und allen weiteren anwesenden MitbewohnerInnen untersagt – ebenfalls die Mitnahme einiger privater Dinge. Dann wird der schwer kriegsstraumatisierte und suizidgefährdete 28-Jährige trotz Vorliegens einer Reiseunfähigkeitsbescheinigung aufgrund des Dublin-II-Abkommens nach Norwegen abgeschoben.

    Herr Samadi war vor mehr als eineinhalb Jahren von Norwegen in die Bundesrepublik gekommen, war zunächst im Lager Nostorf-Horst untergebracht und dann vom Dezember 2010 bis zum Mai 2011 in der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, wo seine schweren Traumatisierungen aufgrund von Kriegs- und Verfolgungserlebnissen in Afghanistan und die Suizidalität stationär behandelt wurden.

    Das Psychosoziale Zentrum in Greifswald, in dem er bis dato in Behandlung war, hatte die Reiseunfähigkeitserklärung ausgestellt, die jedoch vom Gesundheitsamt mißachtet wurde.

    Die Rückschiebung erfolgt völlig überraschend im Zuge eines Alleinganges durch Anordnung des Landesamtes für Migration und Flüchtlinge, das sich in diesem Falle weder mit der Rostocker Ausländerbehörde noch mit dem Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern abgesprochen hat.

    Jetzt besteht für Alireza Samadi die akute Gefahr, daß er von Norwegen nach Afghanistan abgeschoben wird.

Stop it! 8.6.12; FRat HH 9.6.12;

FRat HH 11.6.12

 

13. Juni 12

 

Bundesland Rheinland-Pfalz. Im Ortsteil Heimersheim der Stadt Neuenahr-Ahrweiler brennt um kurz nach 10.00 Uhr ein Zimmer im Dachgeschoß des Flüchtlingsheimes in der Göppinger Straße.

    Nachdem es der Polizei mit Handfeuerlöschern nicht gelingt, den Brand einzudämmen, werden die Feuerwehren Heimersheim und Bad Neuenahr gerufen. Den 27 Einsatzkräften, die zum Teil mit schwerem Atemschutz im Treppenhaus vordringen müssen, gelingt es bald, das Feuer zu löschen.

    Von den insgesamt 14 BewohnerInnen sind zur Zeit des Brandes sieben im Haus, die sich frühzeitig retten können.

Eine Person, die unter Schock steht, muß ins Krankenhaus transportiert werden.

    Die Flüchtlinge können nach dem Brand nicht zurück in die Unterkunft, denn das Haus ist unbewohnbar und das Löschwasser tropft durch alle Decken.

    Als Brandquelle wird ein defektes Elektrogerät vermutet, das auf dem Schrank in dem Dachgeschoßzimmer gestanden hat (vermutlich ein Sat-Empfänger).

General-Anzeiger 13.6.12;

Rhein-Zeitung 13.6.12

 

21. Juni 12

 

Bundesland Brandenburg. In Hennigsdorf/Oberhavel wird ein Flüchtling aus Kenia nachts gegen 2.00 Uhr auf der Straße aus einer Gruppe heraus rassistisch beleidigt und an der Schulter festgehalten ("Was machst Du hier, Du Nigger").

    Dem 36-Jährigen gelingt es, sich loszureißen und zu fliehen.

Opferperspektive

 

23. Juni 12

 

Neustadt im Bundesland Sachsen. Ein Flüchtling wird von einem Deutschen zunächst rassistisch beleidigt und dann mit einer Flasche geschlagen. Mit Prellungen und Blutergüssen am Rücken gelingt es ihm, dem Täter wegzulaufen.

    Im Februar 2013 beginnt der Prozeß gegen den polizeibekannten rechtsradikalen Angreifer.

RAA Dresden

 

24. Juni 12

 

Landesaufnahmebehörde (LAB) Bramsche-Hesepe in Niedersachsen. Der 24 Jahre alte Vahid Firouz, Flüchtling aus Afghanistan, verletzt sich aus Verzweiflung an den Pulsadern, nachdem sein Asylantrag ein zweites Mal abgelehnt wurde. Er kommt in eine geschlossene Abteilung der psychiatrischen Einrichtung Ameos-Klinikum nach Osnabrück.

    Nachdem sein Vater in Afghanistan in Haft an einem Herzinfarkt gestorben war und er durch Vertreter des örtlichen Mullah-Regimes in seiner Heimatstadt Herat zunehmend bedroht wurde, war Vahid Firouz vor 14 Monaten aus dem Land geflohen.

    Seit 10 Monaten lebte er in der Landesaufnahmebehörde Bramsche-Hesepe und litt – wie alle MitbewohnerInnen hier –-

unter den furchtbaren Lebensbedingungen, dem schlechten Essen, der Isolierung und der mangelnden medizinischen Versorgung. "Einmal musste ich zwei Monate auf einen Arztbesuch warten", berichtet er.

no lager osnabrück,

Studentische Initiative Begegnungsgruppe LAB,

Rat der Flüchtlinge des Lagers Bramsche-Hesepe 29.6.12;

jW 13.7.12

 

24. Juni 12

 

Landkreis Rottal-Inn in Bayern. Um 6.40 Uhr sieht der Lokführer der Südostbayernbahn auf der Strecke zwischen Eggenfelden und Pfarrkirchen in Höhe von Spanberg ca. 100 Meter vor sich einen Mann zwischen den Gleisen liegen. Er leitet die Notbremsung ein und gibt ein Warnsignal. Der Regionalzug kommt nicht rechtzeitig zum Stehen und überrollt den Mann, der unmittelbar vor Ort seinen schweren Kopfverletzungen erliegt.

    Bei dem Toten handelt es sich um einen 29 Jahre alten Asylbewerber aus Nigeria, der in Pfarrkirchen wohnte. Er hatte zusammen mit zwei Freunden in einer Gaststätte in Eggenfelden die Nacht verbracht, und als die drei am Morgen auf den Zug warteten, beschloß der Nigerianer, zu Fuß nach Pfarrkirchen zurückzugehen.

    Die Ermittler des Passauer Kriminaldauerdienstes gehen davon aus, daß der Mann "plötzlich müde wurde und sich auf das Gleisbett zwischen die Schienen legte."

PNP 24.6.12; Wochenblatt 24.6.12;

PNP 25.6.12;

Polizei Niederbayern 25.6.12

 

Ende Juni 12

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Im Ausländeramt des Rhein-Erft-Kreises in Bergheim spielen sich dramatische Szenen ab. Der 46 Jahre alte chinesische Flüchtling Zangfu Whang wird – in Handschellen gefesselt – über den Boden geschleift. Ihm wurde gerade mitgeteilt, daß er abgeschoben werden soll. Er schreit vor Angst und Verzweiflung, dann kollabiert er.

    Der seit 1997 in der Bundesrepublik lebende Mann war zum Amt gegangen, um seine Arbeitserlaubnis abzuholen, statt dessen wird er festgenommen und kommt in Abschiebehaft in die JVA Büren.

    Zangfu Whang war als katholischer Christ und Mensch, der sich für Veränderungen der Gesellschaft einsetzte, in China unter Druck geraten, hatte im Gefängnis gesessen, bis er sich entschloß, seine Frau und seine drei Kinder zu verlassen und aus dem Land zu flüchten.

    In der Bundesrepublik wurde er als Asylberechtigter anerkannt – verlor diesen Status aber im Jahre 2003 wieder. Trotz seines prekären Aufenthaltes gelang es ihm, über lange Jahre als Koch in chinesischen Restaurants zu arbeiten.

    Nach den ersten drei Jahren im Übergangslager Münster lebte Zangfu Whang in den letzten zwölf Jahren im Flüchtlingsheim Erfstadt.

    Allein durch die Unterstützung von Personen des Ökumenischen Arbeitskreises Flüchtlingshilfe und Pro Asyl gelingt es über eine Petition an den Düsseldorfer Landtag, die Abschiebung von Zangfu Whang zu verhindern. Nach knapp sechs Wochen Abschiebehaft wird er am 8. August entlassen und kann zurück in seine Unterkunft.

KStA 16.7.12;

KStA 8.8.12; KR 13.8.12

 

Juni 12

 

Reinbek in Schleswig-Holstein. Ein 31 Jahre alter irakischer Flüchtling wird völlig verwahrlost, abgemagert und psychisch schwerkrank von einer Freundin in seiner Unterkunft vorgefunden und ins Krankenhaus gebracht.

    Der Iraker, der vor neun Jahren voller Hoffnung und Optimismus in die BRD gekommen war, zerbrach sukzessive an den Entscheidungen der Behörden, die ihm einen gesicherten Aufenthalt und Arbeit in der Bundesrepublik nicht zugestanden. Zuletzt mußte er sich alle vier Wochen bei der Ausländerbehörde melden, um die Duldung verlängern zu lassen.

    In der Obdachlosen-Unterkunft, wo er seit langem leben mußte, war der schwerkranke Mann absolut sich selbst überlassen und verlor sich in der Isolation. Er war seit langer Zeit nicht mehr gesehen worden.

    Der Bürgermeister zu diesem Thema: "Die Stadt Reinbek ist verpflichtet, Asylbewerber unterzubringen – zu mehr aber auch nicht."

ndr 28.6.12

 

Juni 12

 

Bundesland Bayern. Nach vierwöchiger Abschiebehaft in München wird eine Roma-Familie nach Serbien abgeschoben. Der 19-jährige Sohn Martin wird dadurch von seiner schwangeren deutschen Freundin Isabell getrennt.

    Zwölf Monate später lebt die Familie im Stadtteil Novo Mala von Pirot, einer Kleinstadt im Südosten Serbiens. Hierher ist Isabell gereist, um Martin die Möglichkeit zu geben, seinen sechs Monate alten Sohn Leon Marko zum ersten Mal zu sehen.

    Trotz anwaltlicher Hilfe ist es bisher nicht gelungen, seine Rückkehr nach Deutschland zu erreichen. Martin hat eine dreijährige Einreisesperre für Deutschland und müßte zudem die Kosten seiner Abschiebung aufbringen.

allebleiben.info 1.7.13

 

3. Juli 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Im Auftrag des Regierungspräsidiums Kassel soll eine sechsköpfige Familie aus Afghanistan nach Italien ausgeflogen werden. Als bekannt wird, daß eines der Kinder an Epilepsie leidet, und der Vater auf die Verletzungen im Mund des Jungen hinweist, die er sich bei den jetzt immer häufiger auftretenden Krämpfen zugefügt hat, meint der anwesende Abschiebearzt, daß er nicht von einer Epilepsieerkrankung ausgehen könne.

    Schließlich wird die Familie ausgeflogen – der mitfliegende Arzt wird von der Ausländerbehörde ermächtigt, ein Handgeld von 150 Euro an die Familie zu übergeben.

    Der Familienvater war bereits im Jahre 2003 in die Bundesrepublik geflüchtet und hatte Flüchtlingsschutz bekommen. Allein aus Sorge um seine Frau und Kinder ist er "freiwillig" nach Afghanistan zurückgefahren, um sie nach Deutschland zu holen. Sie sind über die Türkei in einem kleinen Boot nach Italien gekommen. Die Küstenwache hatte sich dort um die Kinder gekümmert, weil diese tagelang nichts getrunken und gegessen hatten.

    In Italien haben sie keinen Asylantrag gestellt, weil Deutschland ihr Ziel war, denn hier leben Verwandte.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

4. Juli 12

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In der Flüchtlingsunterkunft in Neubrandenburg verbrüht sich ein 3-jähriges Kind und kommt mit schweren Verbrennungen am Arm, an der Brust, der Schulter und am Oberkörper ins Krankenhaus. Auch Tage später ist der Zustand der kleinen Dina laut Aussagen des Chefarztes der Klinik für Kinder-  und Jugendmedizin, Dr. Sven Armbrust, weiter "kritisch".

    Die Eltern des Kindes müssen sich im Flüchtlingsheim ein 20 Quadratmeter großes Zimmer mit einem dritten Erwachsenen teilen – so schreibt es das Innenministerium vor: sechs Quadratmeter pro Person – mehr nicht.

    In dieser Enge hatte der Mitbewohner Wasser für Tee aufgesetzt – und als das Kind sich im Schlaf umdrehte, schlug es mit der Hand gegen das Gefäß.

    Ende des Sommers ist Dina aus dem Krankenhaus entlassen, muß aber noch bis zum Jahresende Spezialkleidung

tragen.

    Die Polizei hat inzwischen eine Mitschuld der Eltern festgestellt, weil die Geräte, die in dem Zimmer betrieben wurden, laut Hausordnung nicht erlaubt seien.

    Trotzdem wird die Familie in absehbarer Zeit in eine
2-Raum-Wohnung auf dem Gelände umziehen dürfen .

NK 9.7.12;

FRat MeckPom

 

9. Juli 12

 

Bundesland Bayern. Im Flüchtlingsheim Tirschenreuth schluckt der 25 Jahre alte iranische Asylbewerber Azad Khodamoradi am siebenten Tag eines Hungerstreiks Tabletten, um sich zu töten. Sein Mitbewohner findet ihn morgens bewußtlos vor. Er kommt ins Krankenhaus auf die Intensiv-Station.

    Der Iraner hatte seit seiner ersten Anhörung vor 19 Monaten keinerlei Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhalten. Diese Ungewißheit belastete seine Psyche so sehr, daß er aus Protest und Verzweiflung über seine Lage den Hungerstreik begonnen hatte.

Die protestierenden Asylbewerber vom Aub-Heim;

Mainpost 12.7.12

 

9. Juli 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Auf Anordnung des Main-Kinzig-Kreises in Hessen soll eine Inderin mit ihren 2- und 11-jährigen Kindern nach Delhi abgeschoben werden. Es wird ein Arzt mitfliegen, da sie unter Bluthochdruck leidet.

    Der 11-jährige Sohn erklärt den Bundespolizisten von Anfang an und in bestem Deutsch, daß der Vater nicht Zuhause gewesen war, als die Familie abgeholt wurde.

    Es stellt sich heraus, daß der Familienvater in Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist und daß er mit seiner Frau zwar nach indischem Recht, jedoch nicht nach deutschem Recht verheiratet sei.

    Die Frau spricht nur ihre Muttersprache, und die Verhandlungen laufen über den Sohn als Dolmetscher.

    Als sie zur Toilette geht, fällt sie zu Boden und bleibt regungslos liegen. Der anwesende Arzt untersucht sie und erklärt, daß mit ihr alles in Ordnung sei, woraufhin sie von BeamtInnen in den Familienraum getragen und aufs Bett gelegt wird. Sie hat starken Brechreiz und heftige pochende Kopfschmerzen.

    Dann wird sie in einen Rollstuhl gesetzt und zum Bus geschoben, der die Familie zum Flugzeug bringen soll. Als sie im Bus unter lautem Klagen zu Boden fällt, wird endlich die Abschiebung abgebrochen.

    Der Rechtsanwalt der Familie erklärt, daß die Frau an einer starken Psychose leide und unter schweren Psychopharmaka stehe und daß ein entsprechender Untersuchungstermin zur Klärung ihres Gesundheitszustandes anstand.

    Die Abschiebungsbeobachterinnen äußern die Ansicht, daß – unabhängig von juristischen Erwägungen – die Abschiebungsmaßnahmen dem Kindeswohl widersprochen haben, denn die Mutter wäre nicht in der Lage gewesen, für die minderjährigen Kinder nach der Abschiebung zu sorgen. Zudem mußten die Kinder mit ansehen, was mit ihrer Mutter am Flughafen geschah – obwohl der Abschiebungsarzt immer wieder erklärte, daß "alles in Ordnung" sei.

    Auf Nachfrage beim Regierungspräsidium Darmstadt wird erklärt, daß der Ausländerbehörde von einer starken Psychose nichts bekannt sei. Allerdings sei der Begleitarzt in der Vorbereitung der Abschiebung darüber informiert worden, daß die Frau unter Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit leide – unter anderem mittels eines Attestes des behandelnden Hausarztes, dem zu entnehmen ist, daß ihr aufgrund psychischer Probleme Psychopharmaka verordnet werden.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

10. Juli 12

 

Neustadt im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge im Bundesland Sachsen. Der 21 Jahre alter Koch Sandro S. und der 40-jähriger Monteur André R. – beide aus der Region stammend – begeben sich nach einem Saufgelage spätabends zum Flüchtlingsheim in Langburkersdorf. Dort schieben sie einige kleine Zweige durch ein angekipptes Fenster im Erdgeschoß, übergießen sie mit Grillanzünder und setzen alles in Brand. Dann verlassen sie hastig den Ort. Im Hause halten sich zu dieser  Zeit ca. 100 Personen auf.

    Da der hauseigene Rauchmelder Alarm schlägt, gelingt es einem Wachmann rechtzeitig, den Brand mit einem Feuerlöscher zu ersticken.

    Erst zwei Monate später werden die Täter von der Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) des Landeskriminalamtes ermittelt und gestehen ihre Tatbeteiligung.

    Im Mai 2013 haben sich die beiden Brandstifter vor dem Schöffengericht Pirna wegen schwerer Brandstiftung zu verantworten. "Wir wollten niemanden schaden" erklärt Sandro S., "Wir wollten nur ein Zeichen setzen." Ausländerfeindlich sei er deshalb noch lange nicht, dafür esse er zu gern Döner.

    Die Brandstifter werden zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt – ausgesetzt auf drei Jahre Bewährungszeit.

SäZ 28.9.12; DNN 29.9.12;

Alternative Dresden News 2.10.12;

SäZ 22.5.2013

 

11. Juli 12

 

Flüchtlingsunterkunft Wietersheim in Nordrhein-Westfalen. Um 7.30 Uhr wird ein 32 Jahre alter Flüchtling aus Guinea von MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde Minden-Lübbecke und Polizeikräften in seinem Bett geweckt. Als der Betroffene auf seine psychische Erkrankung hinweist, werden seine Psychopharmaka vom Tisch gefegt, er wird gepackt und nackt in Handschellen gefesselt. Dann wird er – weiterhin völlig nackt – durch den Flur des Heimes geführt, wobei er auch mit Stökken geschlagen wird. Weiterhin völlig unbekleidet kommt er nach Bielefeld in eine Polizeistation, und erst hier bekommt er durch eine Vertretung des Petershäger Sozialamtes Kleidung ausgehändigt.

    Dann wird er in der zentralen Ausländerbehörde Bielefeld einem Vertreter der Botschaft Guineas vorgeführt, der die Identität des abgelehnten Asylbewerbers feststellen soll.

    Der Betroffene leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung und wurde deshalb auch schon stationär behandelt.

    Nach diesem dramatischen und entwürdigenden Erlebnis kommt der Mann in die psychiatrische Klinik Lübbecke. Sein Anwalt erstattet Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld.

    Die Pressestelle der Kreisverwaltung äußert sich dahingehend, daß die "Maßnahme verhältnismäßig durchgeführt" wurde. Zudem würde die Darstellung des Flüchtlings in "wesentlichen Teilen nicht dem tatsächlichen Verlauf" entsprechen.

MT 20.7.12;

MT 21.7.12

 

11. Juli 12

 

Rheine in Nordrhein-Westfalen. Um 23.20 Uhr wird mit einem Luftgewehr auf ein erleuchtetes Fenster der Flüchtlingsunterkunft am Kammweg geschossen. Die BewohnerInnen werden durch den lauten Knall aufmerksam und rufen die Polizei.

    Da die Vorhänge des Fensters zugezogen sind, gehen die ermittelnden BeamtInnen davon aus, daß nicht gezielt auf Personen geschossen wurde. Der Schuß verursacht ein 4 x 4 Millimeter großes Loch in der Außenscheibe des Doppelglas-Fensters. Ein Projektil wird nicht gefunden.

Polizei Münster 12.2.14;

BT DS 18/203

 

13. Juli 12

 

Eisenhüttenstadt in Brandenburg. Im Wohnheim der Zentralen Ausländerbehörde (ZABH) in der Poststraße brennt es gegen 3.00 Uhr morgens. Unbekannte haben eine Matratze an die Tür eines Wohnraumes gelehnt und angezündet. Die beiden 18 und 23 Jahre alten somalischen Bewohner des Raumes erwachen durch die Rauchentwicklung und können sich durch das Fenster über ein Baugerüst ins Freie retten.

    Als die Rettungskräfte der Feuerwehr eintreffen, steht die Tür bereits in Flammen, kann jedoch schnell gelöscht werden. Die Polizei nimmt Ermittlungen wegen Brandstiftung auf.

dapd 13.7.12;

MOZ 13.7.12; BeZ 13.7.12

 

13. Juli 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Als drei Beamte im Wartesaal auf einen somalischen Flüchtling zugehen, um ihn für die Rückschiebung nach Italien abzuholen, zieht dieser sein Oberteil aus, läßt sich auf den Boden fallen und schreit laut. Die Beamten wenden nun unmittelbaren Zwang an, drücken den Mann auf den Boden und fixieren ihn mit Plastikfesseln. Dann tragen und ziehen sie den schreienden Mann über den Flur in einen gesonderten Gewahrsamsraum.

    Als die Abschiebebeobachterin ihre Kritik an diesem Vorgehen gegenüber den Beamten der Bundespolizei äußert, erklärt der verantwortliche Polizist, daß die Rückführungsmaßnahme bereits nach den ersten Widerstandshandlungen als abgebrochen galt – die Zwangsanwendungen seien jedoch ausschließlich zum Schutz vor Selbstverletzungen erforderlich gewesen.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

16. Juli 12

 

Abschiebegefängnis Rendsburg in Schleswig-Holstein. Der 25 Jahre alte Tunesier H. M. fügt sich in selbsttötender Absicht tiefe, 3-5 Zentimeter lange Schnittwunden an den Handgelenken (Pulsadern), dem linken Oberarm und einem Oberschenkel zu. Er wird daraufhin in die JVA Kiel verlegt und von Angehörigen des medizinischen Dienstes behandelt.

    Herr M., der auf dem Wege nach Schweden am 5. Juni 12 von der Bundespolizei an der deutsch-dänischen Grenze festgenommen worden war, hatte offensichtlich schon in Italien Asyl beantragt. Weil eine Übernahmezusage des zuständigen Dublin-Landes zeitlich nicht absehbar ist, erfolgt die Entlassung aus der Haft am nächsten Tag.

    Herr M. wird zunächst in Kiel der Unterkunft für Flüchtlinge in der Körnerstraße zugewiesen. Im Zentrum für Integrative Psychiatrie werden eine Medikamentenabhängigkeit und eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Eine nicht behandelte Epilepsie kann nicht ausgeschlossen werden.

    Aufgrund seiner Angstzustände läßt sich Herr M. auf eine vom Arzt vorgeschlagene stationäre Behandlung nicht ein. Auch weitere Termine zur Diagnose in der Neurologie des Unfallkrankenhauses Schleswig-Holstein nimmt er nicht wahr, weil er sich in seinem Zimmer verschanzt hat und nicht bereit ist, es zu verlassen.

    Zu einem von der Bundespolizei organisierten Termin zur Prüfung seiner Flugtauglichkeit beim Kieler Gesundheitsamt am 7. August kommt es nicht, weil H. M. eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates bereits am 6. August darüber informiert, daß er sich im Zug nach Italien befindet. Seine Angst vor einer Abschiebung in Polizeibegleitung und die Angst vor erneuter Inhaftierung haben ihn dazu gebracht, der Rückführung vorzugreifen und sich selbst wieder in ein Leben auf der Straße in Italien zu begeben.

FRat SH 19.2.13

 

Zeitraum vom 17. bis 22. Juli 12

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Der tunesische Abschiebegefangene S. T. kündigt der Gefängnispsychologin an, daß er sich selbst etwas antun wird. Kurz darauf trinkt er eine Flasche flüssiger Seife. Er kommt zur medizinischen Versorgung ins Krankenhaus und wird von dort aus der Abschiebehaft entlassen.

    Herr T. war auf dem Weg von Schweden zurück nach Tunesien in Deutschland festgenommen worden. Er hatte Angst vor der Rückschiebung nach Schweden.

    Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus setzt er seine Reise nach Tunesien fort – und meldet sich von dort aus bei einem Unterstützer.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

23. Juli 12

 

Bundesland Bayern. Der 24 Jahre alte afghanische Flüchtling Farid Mirzaie wird mit Nierenproblemen ins Krankenhaus gebracht. Er befindet sich seit sieben Tagen im Hungerstreik – zusammen mit elf weiteren Flüchtlingen aus Afghanistan, Irak und Iran, die ihr Flüchtlingsheim in Aub verlassen haben, um vor dem Bürgermeisteramt rund um die Uhr in einem Pavillon gegen die deutsche Flüchtlingspolitik zu demonstrieren.

    Damit schließen sie sich dem Flüchtlingsprotest in Würzburg an, der am 19. März begann. (siehe 29. März 12)

Die protestierenden Asylbewerber aus Aubheim;

AdK-Blog 25.10.12

 

25. Juli 12

 

Willich-Anrath in Nordrhein-Westfalen. Morgens um 4.45 Uhr benachrichtigen BewohnerInnen der Flüchtlingsunterkunft die Feuerwehr, weil es in der Waschküche des Heimes brennt. In dem Waschraum, der sich in einem Anbau befindet und frei zugänglich ist, ist das Feuer absichtlich gelegt worden. Die brennenden Kleidungsstücke, Kabel und Kunststoffverkleidungen verursachen dichten Rauch, der durch die Brandschutz-Türen in seiner Ausbreitung gebremst wird.

    Die 62 dort wohnenden Flüchtlinge müssen das Gebäude zunächst verlassen und können nach Löschung des Brandes wieder in ihre Zimmer zurückkehren.

    Bereits am Vortag hatte der Hausmeister an der Wand eines anderen Gebäudes der Anlage Hakenkreuze in der Größe von 40 x 40 cm festgestellt. Wegen der Brandstiftung und der verfassungswidrigen Kennzeichen nimmt der polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen auf.

Polizei Mönchengladbach 25.7.12;

WZ 25.7.12; RP 25.7.12;

Polizei Mönchengladbach 21.2.14;

BT DS 18/203

 

27. Juli 12

 

Hamburg. Gegen 20.00 Uhr dringen ca. 10 Polizeibeamte und MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde in die Flüchtlingsunterkunft Hamburg-Billstedt ein und versuchen, mit Fotos in den Händen die Mitglieder einer 7-köpfigen Roma-Familie zu finden. Als sie das Ehepaar Sajda und Sebastjan Aliji antreffen, geben sie ihnen eine halbe Stunde Zeit, ihre Sachen zu packen.

    Schnell wird klar, daß ihre vier Töchter im Alter von vier bis zwölf Jahren nicht in der Unterkunft sind. Um den Aufenthaltsort der Mädchen zu erfahren, reißt die Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde Frau T., Sajda Aliji den 15 Monate alten Sohn Andrejas aus dem Arm und droht, ihn ihr vollends wegzunehmen, wenn sie nicht sagen würde, wo sich ihre Töchter zur Zeit aufhielten. Die Mutter bricht zusammen und gibt dann der Erpressung der Beamtin nach. Sie gibt die Anmeldezettel

für die Ferienfreizeit ihrer Töchter auf der Nordsee-Insel Föhr heraus, die von der Jugendorganisation Die Falken gestaltet wird.

    Um 20.30 Uhr meldet sich Frau T. telefonisch beim Landesvorsitzenden der Hamburger Falken, um zu erfahren, wie die Behörde der 12-jährigen Dvervrija, der 11-jährigen Sibela, der 9-jährigen Nazira und der 7-jährigen Saida noch an diesem Abend habhaft werden könnte. Dieses scheitert offensichtlich allein an der Tatsache, daß die Fähre von Föhr zum Festland zu dieser Zeit nicht mehr fährt.

    Noch in den Räumen der Roma-Familie entwickelt sich ein Streitgespräch über die Frage, welche Behörde in diesem Falle die Verantwortung für die Fehler trägt. Frau T. beendet den Streit mit der Bemerkung, daß der Familie ja sowieso die Abschiebekosten zur Last gelegt würden. Als Frau Aliji Frau T. fragt, warum sie ihr beim letzten Besuch in der Ausländerbehörde nicht gesagt hätte, daß sie auch "freiwillig" ausreisen könne, befiehlt diese ihr zu schweigen mit den Worten: "Schluss mit diesen Zigeunerdiskussionen!"

    Das Ehepaar Aliji wird gefragt, wer von ihnen beiden als erstes und alleine abgeschoben werden wolle.

    Sebastjan Aliji erklärt sich dazu bereit, obwohl er selbst erst am 12. Juli aus der Klinik entlassen worden war. Er war zwei Wochen lang wegen schwerer Depressionen und dem Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung stationär behandelt worden.

    Die Polizisten sperren den Flur ab, verhindern jeglichen Kontakt zu den MitbewohnerInnen in der Unterkunft, und Frau T. droht unverhohlen mit der Äußerung, daß man sich bei der Verlängerung ihrer Duldung sehen würde.

    Dann wird Herr Aliji in einen Reisebus der Firma "Hansa Rundfahrt" aus Hamburg-Bramstedt gesetzt und weggefahren. Diese Firma ist dafür bekannt, daß sie seit Jahren an den Abschiebungen mitwirkt.

    Als die Polizei zum wiederholten Male auch von dem betreuenden Psychotherapeuten auf die schwere Erkrankung

von Herrn Aliji hingewiesen wird, lautet die Antwort, daß eine Ärztin im Bus anwesend sei. Diese Frau fordert Herrn Aliji auf, ein Beruhigungsmittel zu trinken, welches derart dosiert ist, daß er sich gar nicht mehr bewegen kann.

    Herr Aliji wird noch in der Nacht zum Flughafen Düsseldorf gefahren. Dort wird ihm nach eigenen Aussagen sein Bargeld in Höhe 120 bis 200 Euro weggenommen, dann wird er in Begleitung von drei Polizisten und der Ärztin um 6.00 Uhr nach Mazedonien ausgeflogen.

    In Skopje fragen ihn die mazedonischen Polizeibeamten, warum ihn so viele deutsche Polizisten begleiten würden, was er denn verbrochen hätte. Die Ärztin interveniert und bittet darum, Sebastjan Aliji jetzt nicht zu interviewen, denn er sei sehr krank und bräuchte vorerst Ruhe – sie sollten ihn doch in ein oder zwei Wochen schriftlich vorladen.

    Es ist übrigens dieselbe Ärztin, eine Allgemeinärztin, die exakt die Erkrankung ignoriert hatte, die kurz zuvor von psychiatrischen FachärztInnen der Klinik Asklepios nach einem 11-tägigen stationären Aufenthalt von Herrn Aliji diagnostiziert hatten. Jetzt – unmittelbar nach der Abschiebung – hält sie gegenüber den mazedonischen Polizisten Sebastjan Aliji für zu krank, Fragen zu beantworten.

    Dem Abgeschobenen werden die Papiere weggenommen, ihm wird ein "Interview" angekündigt und eine entsprechende Strafe, weil er im Ausland um Asyl gebeten hat. Die Strafe besteht nach Aussagen von mazedonischen Freunden in Hamburg darin, daß der Paß für ein Jahr weggenommen wird und es keine Krankenversicherung und kein Sozialgeld gibt – zudem ist eine Geldstrafe von 2000 bis 3000 Euro möglich.

    Von Skopje gelangt Herr Aliji per Autostop nach Kumanovo, weil er schlichtweg kein Geld für eine Fahrkarte hat.

    Aufgrund der immer lauter werdenden Kritik über das skandalöse Vorgehen der BehördenmitarbeiterInnen beginnt die Staatsanwalt wegen des Anfangsverdachts der Nötigung gegen die Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde Frau T. zu ermitteln. Die Innenbehörde dazu: "Nach den bisherigen Erkenntnissen spricht alles dafür, dass die Mutter einen Schwächeanfall erlitten hat und die Mitarbeiterin des Einwohner-Zentralamtes ihr das Kind abnahm, weil sie zusammensackte."

    Wie sich später herausstellt, war die Trennung der Familie langfristig geplant bzw. behördlicherseits billigend in Kauf genommen worden. Auszug aus der Akte: "Sollte sich ein Elternteil zum Zeitpunkt der Abschiebung im Krankenhaus befinden, ist die Abschiebung des verbleibenden Elternteils mit den Kindern geplant."

Roma-UnterstützerInnen-Gruppe Hamburg;

Bericht des Betroffenen;

KMii – Hamburg 27.7.12;

Die Falken 28.7.12;

taz 29.7.12; Welt 29.7.12;

ndr.de/regional 30.7.12;

Fluchtpunkt.2.8.12; ND 2.8.12; ND 4.8.12;

taz 7.8.12

 

29. Juli 12

 

Bundesland Sachsen – Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Ein mit sechs Personen vollbesetzter PKW fährt am Abend auf das Gelände der Flüchtlingsunterkunft in Schmiedeberg. Unter "Ausländer raus"-Rufen wird vom Fahrer versucht, einen dort stehenden Flüchtling anzufahren. Diesem gelingt es, rechtzeitig auszuweichen. Gleiches passierte auch am folgenden Abend.

    Die Staatsanwaltschaft hat auch im Februar 2013 noch keine Anklage erhoben.

RAA Dresden

 

Ende Juli 12

 

Solingen in Nordrhein-Westfalen. Kleine Löcher in einer Fensterscheibe und an der Fassade des Flüchtlingswohnheimes im Ortsteil Ohligs in der Nippesstaße sorgen für Angst und Aufregung unter den 34 BewohnerInnen.

    Der Staatsschutz und das Bundeskriminalamt stellen fest, daß die Sachbeschädigungen in der Zeit vom 20. Juli bis zum 1. August entstanden sind und durch eine Stahlkugel – wahrscheinlich mit einer Zwille abgeschossen -  verursacht wurden.

    Täter sind auch Ende August noch nicht ermittelt. Ein rassistischer Anschlag kann weder bestätigt noch ausgeschlossen werden.

Polizei Wuppertal 2.8.12; RP 3.8.12;

RP 7.8.12; RP 30.8.12

 

14. August 12

 

Berlin-Weißensee. Gegen 17.00 Uhr wird ein brennender Gegenstand auf den Balkon eines Wohnhauses geworfen, in dem überwiegend Flüchtlingsfamilien leben. Die dort zum Trocknen aufgehängte Wäsche fängt Feuer.

    Eine Nachbarin, die das beobachtet, alarmiert die BewohnerInnen, so daß diese sofort mit dem Löschen beginnen. Es gelingt ihnen auch, bevor die Feuerwehr eintrifft.

    Die Polizei, die ebenfalls am Ort erscheint, fährt wieder weg, ohne mit den betroffenen BewohnerInnen Kontakt aufgenommen zu haben.

Reachout

 

21. August 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein Ehepaar mit zwei kleinen Kindern – 10 Monate und 3 Jahre alt – wird nach Prishtina in den Kosovo abgeschoben. Die Roma sind seit 1989 in der Bundesrepublik – ihre gesamte Familie lebt hier, drei Brüder des Vaters haben die deutsche Staatsangehörigkeit.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

25. August 12

 

Bundesland Baden-Württemberg. Als die Feuerwehr nach den ersten Hilferufen ab 5.53 Uhr zum Flüchtlingsheim Kirchheimer Straße im Stuttgarter Ortsteil Sillenbuch kommt, schlagen die Flammen bereits aus den Fenstern der dritten Etage bei einem der drei Gebäudeteile. Von den 130 Flüchtlingen, die dort wohnen, können sich 30 akut Bedrohte selbst retten. Eine Schwangere und eine ältere Bewohnerin retten sich aus der dritten Etage, indem sie Vorhänge an eine Satellitenschüssel knoten und sich daran herunterlassen. Die ältere Frau stürzt dabei auf Höhe des zweiten Stockes ab und verletzt sich an den Beinen. Ein 26-Jähriger und seine im fünften Monat schwangere Freundin seilen sich an zusammengeknoteten Bettlaken aus dem zweiten Stock ab und zwei weitere Flüchtlinge springen aus den Fenstern der ersten Etage, weil Feuer und Rauch den Fluchtweg versperren.

    Ein 47 Jahre alter Flüchtling kommt mit schweren Brandwunden ins Krankenhaus, ein 41-Jähriger erleidet eine schwere Rauchgasvergiftung – sieben weitere Personen kommen mit leichteren Verletzungen davon. Unter den Verletzten sind keine Kinder.

    Um 6.44 Uhr haben die 90 Rettungskräfte der Feuerwehren Stuttgart, Heumaden, Birbach und Degerloch-Hoffeld den Brand unter Kontrolle, obwohl sich immer wieder Glutnester im Schutt entzünden.

    40 Einsatzkräfte des Rettungsdienstes und ehrenamtliche HelferInnen des Roten Kreuzes kümmern sich um die medizinische, psychologische und organisatorische Betreuung.

68 Personen müssen das Gebäude verlassen, und 30 Flüchtlinge sind nach dem Brand obdachlos.

    Es stellt sich heraus, daß das Feuer in einem Raum der ersten Etage entstanden ist und sich dann sehr schnell auf das zweite Obergeschoß und den Dachstuhl ausgebreitet hat.

    Zwei Tage nach dem Brand können alle acht leichter Verletzten das Krankenhaus wieder verlassen.

    Im Hinblick auf den 20. Jahrestag der Gewaltausbrüche eines rassistischen Mobs in Rostock-Lichtenhagen (23. August 92) wird zunächst auch ein politisches Motiv für eine Brandstiftung nicht ausgeschlossen. Schließlich verdichtet sich der Verdacht auf einen Mitbewohner, gegen den dann Ermittlungen wegen fahrlässiger Brandstiftung aufgenommen werden.

    Am 15. Dezember 14 steht dieser Mann vor dem Amtsgericht Stuttgart und muß sich verantworten. Nachdem eine Zeugin erklärt, daß ihr der 43-jährige Angeklagte anvertraute, für den Brand verantwortlich zu sein, weil er damit aus dem Heim herauskommen wollte, verweist die Richterin den Prozeß an das Landgericht. Damit besteht der hinreichende Tatverdacht einer vorsätzlichen Brandstiftung und die billigende Inkaufnah versuchten Totschlags in 33 Fällen.

dpa 25.8.12; SZ 25.8.12; Welt 25.8.12;

Spiegel 25.8.12; StZ 26.8.12; Welt 26.8.12;

StZ 27.8.12; Bild 27.8.12; StN 27.8.12;

Polizei Stuttgart 31.8.12;

SK 31.8.12; Karawane Oktober 12;

StZ 16.12.14

 

1. September 12

 

Schleswig-Holstein. Um 7.45 Uhr werden zwei junge Flüchtlinge am Flensburger Bahnhof von einer Streife der Bundespoliziei kontrolliert und festgenommen, weil sie keine gültigen Aufenthaltspapiere vorlegen können.

    Der 24-jährige Marokkaner, der bereits in Dänemark und Norwegen vergeblich um Asyl gebeten hatte, und der 17-jährige Palästinenser, der in Schweden, Norwegen und der Bundesrepublik ebenfalls kein Bleiberecht erhielt, werden ins Abschiebegefängnis nach Rendsburg gebracht.

Wedel Schulauer Tageblatt 3.9.12

 

4. September 12

 

Bundesland Bayern. Um 2.30 Uhr bricht ein Feuer im Funktionsbau der Flüchtlingsunterkunft von Böbrach-Maisried aus. Alle 51 Personen, die sich zu dieser Zeit im Wohnbereich aufhalten, können das Gebäude rechtzeitig verlassen. Vier BewohnerInnen im Alter zwischen 25 und 34 Jahren erleiden leichte Rauchgasvergiftungen und kommen vorsorglich ins Krankenhaus.

    Als Brandursache werden menschliche Fahrlässigkeit oder ein technischer Defekt angenommen.

    Die obdachlos gewordenen Flüchtlinge werden auf die Landkreise Deggendorf, Landshut und Rottal-Inn verteilt.

Polizei Niederbayern 4.9.12; Bild 4.9.12;

dapd 4.9.12; Wochenblatt 5.9.12;

PNP 10.9.12

 

4. September 12

 

Kirchheim unter Teck in Baden-Württemberg. Im staatlichen Flüchtlingsheim in der Charlottenstraße wird der 27 Jahre alte Iraner Samir Haschemi in seinem Zimmer tot aufgefunden. Er hat sich vergiftet.

    In den 10 Monaten seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik und in diesem Lager hat er bereits zweimal zuvor versucht, sich zu töten. Jedesmal wurde er von der Polizei in die Psychiatrie gebracht und fünf Tage später wieder ins Heim entlassen.

    Die zur Zeit im Lager lebenden 28 iranischen Flüchtlinge warten alle seit mehreren Monaten auf ihre Anhörung zum Asylverfahren. Viele warten über ein Jahr lang. Auch Samir Haschemi hatte schon mehrmals um einen Termin gebeten, aber keine Antwort erhalten.

    Die Situation der Menschen im Flüchtlingsheim ist hier wie vielerorts: isoliert und perspektivlos. Von den 40 Euro Taschengeld im Monat, das die 150 BewohnerInnen bekommen, können sie sich nicht einmal einen Deutschkurs erlauben. Die Gutscheine für Lebensmittel im Wert von 31 Euro im Monat können nur in dem teuren EDEKA-Laden der Kleinstadt eingelöst werden.

Der Teckbote 4.9.12;

strikeregensburg.wordpress.com 4.9.12;

Bericht von MitbewohnerInnen

 

4. September 12

 

Hameln im Bundesland Niedersachsen. Um 3.00 Uhr werden die 23 Jahre alte Romni Isheherzade Krasniqi und ihre 3-jährige Tochter Fatime von der Polizei aus dem Schlaf gerissen. Frau Krasniqi soll nach 20 Jahren Deutschland-Aufenthalt abgeschoben werden. Die Beamten gewähren der Mutter keine ausreichende Zeit zum Packen, so daß Fatime nicht mehr angezogen werden kann und im Schlafanzug in das Polizeifahrzeug gesetzt wird.

    Dann werden sie über den Flughafen Düsseldorf nach Serbien abgeschoben.

    Schon am Flughafen Belgrad wird die alleinerziehende Mutter von den serbischen Beamten beschimpft, beleidigt und begrabscht. Auch als sie weiter nach Lipijan in den Kosovo fährt, um am Heimatort ihrer Eltern eine Unterkunft zu finden, wird sie immer wieder beschimpft, geschlagen und sexuell

belästigt ("Ich wurde fast vergewaltigt"). Serbische Beamte zerreißen ihre serbischen Paßersatzpapiere.

    Von den BewohnerInnen, die jetzt im ehemaligen Haus ihrer Eltern leben, wird sie verjagt. Schließlich muß sie betteln gehen, um Geld für Essen zu bekommen.

    Mutter und Tochter werden krank. Fatime bekommt Durchfall und starke Bauchschmerzen, und ihre Mutter leidet unter eitrigen Ekzemen an Armen und Beinen.

    Irgendwann treffen sie Menschen, die ihnen helfen wollen und die die Rückfahrt mit einem Lastkraftwagen in die Bundesrepublik organisieren.

    Als Frau Krasniqi sich bei der Ausländerbehörde meldet, will die Sachbearbeiterin sie verhaften lassen, weil sie illegal eingereist ist. Dies kann verhindert werden – stattdessen muß Frau Krasniqi sich täglich (!) bei der Ausländerbehörde melden, um ihre Duldung verlängern zu lassen.

HAZ 26.11.12

 

5. September 12

 

Würzburg in Bayern. Drei Tage vor dem lange und öffentlich angekündigten Start des Protestmarsches der Flüchtlinge nach Berlin wird Arash Dosthossein aus dem Flüchtlingscamp von Polizisten zwecks Identitätsfeststellung mit auf eine Wache genommen. Arash Dosthossein, der seit Monaten einer der Sprecher der Protestbewegung ist, wird auf der Wache ab 15.00 Uhr zunächst auf aggressive Art verhört und anschliessend in Handschellen gelegt.

    Weil er offiziell gegen die Residenzpflicht verstoßen hat, fahren ihn zwei Polizisten nach Nordrhein-Westfalen zurück in sein Lager. Er muß sich mit den auf dem Rücken gefesselten Händen auf den Rücksitz des Polizeifahrzeugs setzen und der Beifahrer schiebt noch seinen Sitz bis nach hinten, so daß Herr Dosthossein richtiggehend eingeklemmt wird. Als ihm nach einer halben Stunde Fahrt die Hände, der Rücken und die Knie schmerzen, bittet er die Beamten in gebrochenem Englisch, ihm doch die Handschellen abzunehmen, weil er so große Schmerzen hat. Die Antworten auf seine Bitten sind: Er sei hier in Deutschland, und hier würde Deutsch gesprochen.

    Als es ihm gelingt, den Oberkörper zur Seite zu legen, um die Schmerzen erträglicher zu machen, hält der Fahrer an und bedroht ihn mit Pfefferspray. Dann wird er wieder aufrecht hingerückt, und die Fahrt geht weiter. In seiner Wut und Verzweiflung beschimpft er schließlich die Beamten, worauf sie eine Anzeige wegen Beleidigung schreiben.

    Am 17. Oktober 13 wird Arash Dosthossein zu zwei Monaten Haft wegen Beleidigung der beiden Polizisten verurteilt. (siehe auch: 29. März 12)

Bericht des Betroffenen

 

6. September 12

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Der 27 Jahre alte Algerier A. A. zieht morgens das an die Steckdose angeschlossene Stromkabel des Fernsehers aus dem Gerät und setzt sich damit selbst unter Strom. Er sollte heute abgeschoben werden.

    Die Abschiebung wird zunächst verschoben. A. A. kommt zur Beobachtung für eine Woche in den Isolationstrakt im Erdgeschoß und wird dann doch nach Algerien abgeschoben.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

10. September 12

 

Bundesland Bayern. Gegen 22.35 Uhr wird ein 49 Jahre alter Asylbewerber aus Aserbaidschan in Nürnberg an der Rothenburger Straße im Bereich des Busbahnhofs verletzt aufgefunden. Mit schweren Stichverletzungen im Bereich der Genitalien kommt der Mann ins Krankenhaus und wird unmittelbar notoperiert.

    Aufgrund seiner eigenen Aussagen ermittelt die Polizei zunächst wegen eines Überfalls auf ihn, bis er Anfang Oktober zugibt, daß er sich die Stichverletzungen selber zugefügt hat.

Polizei Mittelfranken 11.9.12;

Polizei Mittelfranken 13.9.12;

nordbayern.de 13.9.12;

Polizei Mittelfranken 14.9.12;

nordbayern.de 2.10.12

 

13. September 12

 

Bundesland Bayern. In dem Flüchtlingslager "Camp Pitman" im oberpfälzischen Weiden versuchen zwei iranische Flüchtlinge, sich zu töten. Ein 23-jähriger hängt sich auf, und ein 24 Jahre alter Mann verletzt sich mit einem Messer.

    Beide werden rechtzeitig gefunden und kommen in die Psychiatrie des Bezirksklinikums Wöllershof. Ihre Entlassung erfolgt eine Woche später.

    In derselben Nacht vergiftet sich der 23-Jährige mit Tabletten und "noch etwas anderem" und kommt bewußtlos ins Krankenhaus. Er liegt fünf Tage lang im Koma. Den ÄrztInnen gelingt es schließlich, sein Leben zu retten, so daß er Mitte Oktober körperlich gesund entlassen werden kann.

    Beide Iraner sind abgelehnte Asylbewerber und leben seit gut eineinhalb Jahren in dem Flüchtlingsheim. FreundInnen und MitbewohnerInnen, die die Suizidversuche bekannt machen, berichten, daß die beiden durch ihre hoffnungslose Lebenssituation und die Zustände im Lager zunehmend depressiver wurden und verzweifelten.

Karawane 15.9.12; Karawane 27.9.12;

Oberpfalznetz.de 29.9.12;

Antirassistische Initiative Berlin

 

18. September 12

 

Bundesland Thüringen. Eine Pressekonferenz der AktivistInnen des Refugee-Protestmarsches wird in Erfurt von etwa zehn Nazis angegriffen. Diese haben Flugblätter und Transparente dabei, und als die Flüchtlinge sich ihnen entgegenstellen, kommt es zu tätlichen Auseinandersetzungen.

    Obwohl Mitglieder des NPD-Bundesvorstands im Vorfeld zu Gegenaktionen aufgerufen haben, ist die Polizei unterbesetzt und kann den Angriff nicht verhindern.

ezra;

LT DS TH 5/7882

 

18. September 12

 

Bundesland Thüringen. Gegen die Flüchtlingsunterkunft Apolda wird um 20.23 Uhr ein "unbekannter Feuerwerkskörper" geworfen, wodurch ein Fenster kaputt geht – jedoch niemand verletzt wird.

    Die Ermittlungen aufgrund einer Anzeige eines Wachmannes der Unterkunft werden im Februar 2013 ergebnislos eingestellt.

StA Erfurt 28.2.14;

BT DS 18/203

 

19. September 12

 

Landkreis Heilbronn - Baden-Württemberg. Um 1.00 Uhr nachts entsteht ein Brand in der Flüchtlingsunterkunft im Gewerbegebiet Abtsäcker in Ellhofen. Von den 33 gemeldeten BewohnerInnen aus dem Irak, Iran, Syrien und der Türkei befinden sich 17 Personen zur Zeit im Haus. Zwei Mitbewohner wecken sie, so daß sie sich alle aus den Fenstern der ebenerdigen Holzbaracke ins Freie retten können. Sechs Bewohner erleiden Rauchgasvergiftungen und kommen in die umliegenden Krankenhäuser.

    Trotz Großeinsatzes der Feuerwehren von Obersulm, Ellhofen, Lehrensteinsfeld und Weinsberg mit 84 Rettungskräften und 32 Personen der Rettungsdienste kann nicht verhindert werden, daß die Holzbaracke vollständig ausbrennt.

    Nach ersten Ermittlungen ist das Feuer im Bereich der Küche gleich neben dem Eingang ausgebrochen.

Polizei Heilbronn 19.9.12;

dpa 19.9.12

 

27. September 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. In Zuständigkeit der Bundespolizei Kleve wird ein junger Somali nach 22 Tagen Abschiebehaft über Frankfurt nach Malta rückgeschoben. Der Jugendliche gibt sein Alter mit 17 Jahren an – die Behörden haben allerdings anhand einer Röntgenaufnahme der Handwurzelknochen die Volljährigkeit "festgestellt".

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

29. und 30. September 12

 

Schwäbisch Gmünd in Baden-Württemberg. Im Flüchtlingsheim Auf dem Hardt versuchen ein indischer und ein türkischer Flüchtling, sich das Leben zu nehmen.

    Dies wird bekannt, als BewohnerInnen der Flüchtlingsunterkunft am 30. September ein Protestcamp auf dem Marktplatz errichten und gegen die Lebensbedingungen in der ehemaligen Hardt-Kaserne protestieren. Hier leben circa 200 Personen aus 22 Ländern unter – für die meisten – unerträglichen Bedingungen.

    Die Verhandlungen der Flüchtlinge mit dem Landrat Klaus Pavel münden in einem 12-Thesen-Papier, in dem der Ostalbkreis zusagt, das Warengutschein-System abzuschaffen und Bargeld auszuzahlen, die Ausstellung von Arbeitserlaubnissen, Unterstützung von Sprachunterricht, Genehmigungen zum kurzfristigen Verlassen des Landkreises (Residenzpflicht) möglichst unbürokratisch und durch "großzügige Auslegung des Ermessens" zu handhaben. Auch wird die kurzfristige bauliche Verbesserung der Flüchtlingsunterkunft, die langfristige Abschaffung der Massenunterkunft bis 2014 und die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen zugesagt. Nach dieser Einigung bauen die Flüchtlinge am 5. Oktober 12 das Protestzelt wieder ab.

linksunten.indymedia.org 5.10.12

 

September 12

 

Bundesland Sachsen. Auf dem Leipziger Hauptbahnhof muß eine Flüchtlingsfamilie die Nacht verbringen, weil der Anschlußzug nach Gera erst am nächsten Tag fährt. Die schwerkranke und körperbehinderte Ehefrau befindet sich im Rollstuhl bereits im Waggon, während ihr Mann und ihre 20-jährige Tochter auf dem Bahnsteig warten.

    Ein Gruppe Jugendlicher wird auf die Familie aufmerksam; zwei Jugendliche lösen sich aus der Gruppe und beleidi-

gen Vater und Tochter mit rassistischen Äußerungen. Einer von ihnen läßt seine Hose herunter, entblößt seine Genitalien vor dem Zugfenster, um damit die Ehefrau zu belästigen. Dann betreten die Provokateure den Waggon, Vater und Tochter eilen hinterher, um die Mutter zu schützen. Dabei kommt es zu körperlichen Angriffen gegen Tochter und Vater, die beide jedoch abwehren können.

    Die gerufene Polizei nimmt die Angreifer fest und leitet Ermittlungsverfahren ein.

ezra

 

1. Oktober 12

 

Prenzlau in Brandenburg. An der Bushaltestelle gegenüber dem Flüchtlingsheim an der Berliner Straße wird ein 27 Jahre alter palästinensischer Flüchtling von einem 42-jährigen Deutschen angegriffen. Der Täter tritt ihm gegen Knie und Hüfte und schlägt ihm ins Gesicht. Dabei schreit der Angreifer: "Verpiss dich, du Scheiß-Ausländer!" und "Geh nach Hause!"

    Als sich andere Flüchtlinge zur Wehr setzen, kommt es zu einem kurzen Handgemenge, so daß es dem Angegriffenen gelingt, in die Unterkunft zu flüchten und die Polizei zu rufen.

    Auch im Beisein der Polizeibeamten beleidigt der Täter den Palästinenser weiter und versucht, ihn erneut anzugreifen. Dieser erleidet durch die Attacke Prellungen.

    Am 25. April 14 wird der mehrfach vorbestrafte Täter vom Amtsgericht Prenzlau wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, verurteilt. Außerdem muß er 200 Arbeitsstunden ableisten und die Kosten des Verfahrens tragen.

    Der betroffene Flüchtling ist durch den Überfall psychisch schwer angeschlagen, traut sich nicht mehr im Dunkeln auf die Straße, hat Angstzustände und kann schließlich einen Umzug an einen anderen Ort erwirken. "Unter den Folgen der Tat leidet er heute noch – sein Grundvertrauen ist erschüttert", so der Richter.

(siehe auch 4. Oktober 12)

gegenrede 12.10.12;

Opferperspektive;

Opferperspektive 2.5.02

 

2. Oktober 12

 

Cottbus in Brandenburg. Ein Mitarbeiter des Wachschutzes der Flüchtlingsunterkunft in der Hegelstraße 89-91 informiert um 1.25 Uhr die Polizei, weil er Personen beobachtet, die neben ihrem abgestellten PKW eine Flüssigkeit in eine Flasche füllen und diese dann etwa 15 Meter die Straße hinauf werfen. Die Flasche zerschellt, und es kommt zu einem Brand.

    Die ca. 80 BewohnerInnen der Unterkunft – mehrheitlich aus Afghanistan – bleiben unbeschadet.

    Laut polizeilicher Ermittlungen kann nicht ausgeschlossen werden, "dass es sich bei der Tat um einen gezielten politisch

motivierten Anschlag oder zumindest um eine Drohung gegenüber dem Heim oder den Heimbewohnern handeln könnte."

Polizei Cottbus 24.2.14;

BT DS 18/203

 

4. Oktober 12

 

Prenzlau in Brandenburg. Zwei palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon im Alter von 27 und 33 Jahren werden gegen 21.30 Uhr an der Röpersdorfer Straße – nahe ihrer Unterkunft – von zwei Männern angehalten. Als diese Schlagstock und Messer hervorholen, gelingt dem 27-Jährigen die Flucht. Er war bereits am 1. Oktober auf offener Straße überfallen worden. (siehe dort)

    Der 33-jährige Palästinenser wird mit Schlagstock und Messer derart verletzt, daß seine Verletzungen im Prenzlauer Krankenhaus zwei Tage lang stationär behandelt werden

müssen.

Opferperspektive; Konkret (JWG);

taz 6.10.12;

BeZ 6.10.12;

gegenrede 12.10.12

 

7. Oktober 12

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Auf das Flüchtlingswohnheim in Wolgast wird ein Böller auf einen Balkon geworfen, der geringen Sachschaden verursacht. Verletzt wird niemand.

    Dies ist das Ergebnis der Stimmungsmache der Neonazis und derjenigen, die dagegen sind, daß Wolgast seit August AsylbewerberInnen aufnimmt.

    Zu diesem Zwecke wurde ein Plattenbau im sozialen Brennpunkt Wolgast-Nord renoviert, um 200 Flüchtlinge unterbringen zu können.

    Die NPD hat für den 9. November (Reichspogrom-Nacht) einen Fackelzug "gegen Asylmißbrauch" angemeldet, der vom Bahnhof losgehen soll und vor dem Flüchtlingsheim mit einer langen Kundgebung erst gegen 24.00 Uhr enden soll.

    Am 7. November hebt das Verwaltungsgericht Greifswald das Demonstrationsverbot, das der Landkreis erlassen hatte, wieder auf. Die 200 Nazis dürfen – unter bestimmten Auflagen – gegen das Flüchtlingsheim und die AsylbewerberInnen demonstrieren. Mit Parolen wie "Deutschland den Deutschen –

wir sind ein Volk!" und "Wir wollen keine Asylsantenheime"

ziehen sie durch die Stadt. Circa 1000 GegendemonstrantInnen versuchen mit Blockaden, die Demonstration zu verhindern.

SZ 17.10.12;

Stop It! 25.10.12;

aktuell.evangelisch.de 8.11.12;

NK 10.11.12;

BT DS 18/203

 

9. Oktober 12

 

Bundesland Brandenburg. Das Flüchtlingslager in Waßmannsdorf, Landkreis Dahme-Spreewald, bestehend aus zwei heruntergekommenen Plattenbauten, wird am frühen Morgen angegriffen. Die Täter zerschneiden den Zaun, der das Kasernen-

gelände umgibt, zerstören Fenster mit Steinwürfen, werfen mit Farbe gefüllte Flaschen durch eines der Fenster. Eine der Flaschen zersplittert direkt neben dem Kopf einer dort schlafenden Frau.

    Die Angreifer versuchen in das Gebäude hineinzukommen, was ihnen nicht gelingt – hinterlassen dann aber ein Hakenkreuz und Parolen an den Wänden: "Rostock ist überall" und "NW-Berlin".

    Fünf Tage später tritt der neue Fahrplan für den Nahverkehr in Kraft, woraus hervorgeht, daß die Haltestelle am Flüchtlingsheim in den Abendstunden nicht mehr angefahren wird.

FRat Brbg 9.10.12; jW 10.10.12;

stop it! 16.10.12;

berlin-refugee-strike-tent 25.10.12;

Opferperspektive;

BT DS 18/203

 

9. Oktober 12

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Vor dem Landgericht Paderborn beginnt ein Prozeß gegen den 59 Jahre alten Geschäftsmann Peter W., dem vorgeworfen wird, den 13-jährigen Sohn von armenischen Asylbewerbern vom April 2011 bis zum Sommer 2012 sexuell mißbraucht zu haben.

    Der 13-Jährige hatte zusammen mit seinem Bruder kleinere Aushilfsjobs bei dem Geschäftsmann übernommen. Dabei kam es zu den kriminellen Taten gegen den Jugendlichen. Mit drohender Abschiebung wurde er vom Täter zum Schweigen erpreßt. "Er hat uns mit Gesetzen Angst gemacht", berichten die Brüder. Dabei habe der Täter auf seine Verbindungen zu hohen Paderborner Kreisen verwiesen: "Ich habe Freunde, die euch abschieben können. Und dann seid ihr weg aus Deutschland."

    Nach 12 Verhandlungstagen wird der Täter am 5. Februar 2013 wegen schweren sexuellen Kindesmißbrauchs zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Zwölf weitere angeklagte Taten können nicht gesühnt werden, weil der Junge sie hinsichtlich Ort und Zeit nicht fest einordnen kann.

NW 26.9.12; NW 20.12.12; NW 22.1.13;

Radio Hochstift 5.2.13; NW 7.2.13

 

9. Oktober 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Auf Anweisung der Ausländerbehörde Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis) soll ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan nach Rom rückgeschoben werden.

    Er lebt in einem Jugendheim, und sein Schwager ist zu seinem Vormund bestellt. Bei der Duldungsverlängerung war er festgenommen und direkt zum Flughafen gebracht worden.

    Der Junge klagt über starke Bauchschmerzen, kommt in die Flughafenklinik und erhält dort eine Überweisung zur Chirurgie und eine Flug-Untauglichkeitsbescheinigung.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

10. Oktober 12

 

Bundesland Bayern – Landkreis Aschaffenburg. Der 20 Jahre alte Firad A. aus Aserbaidschan erhängt sich vor einer Kirche in Heimbuchenthal.

    Auf den Tag genau war er vor einem Jahr in der Bundesrepublik angekommen und nach dem Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung Zirndorf am 11. Januar 12 in die Flüchtlingsunterkunft Grüner Baum in Heigenbrücken gekommen. Ab dem 22. März lebte er in der Flüchtlingsunterkunft Hotel Hobelspan in Mespelbrunn.

    Farid A. war bereits in Zirndorf und auch in Mespelbrunn in ärztlicher Behandlung – allerdings wegen körperlicher Symptomatiken. Der Suizid des verheirateten Mannes kam auch für die Flüchtlingsbetreuerin, den behandelnden Hausarzt und für die SachbearbeiterInnen des Gesundheitsamtes Aschaffenburg völlig überraschend.

Mainpost 28.10.12;

Initiativkreis Menschenwürde für Flüchtlinge 29.10.12;

provincialfranconia 30.10.12; SZ 30.10.12;

 Bayerisches Staatsministerium für Arbeit u. Sozialordnung,

Familie u. Frauen 12.12.12;

Dr. Hans Jürgen Fahn – MdL;

Antirassistische Initiative Berlin

 

15. Oktober 12

 

Refugee Protest Strike in Berlin. Vor der nigerianischen Botschaft in der Alten Jakobstraße 4 in Berlin-Mitte findet eine Kundgebung statt, die die Kooperation des deutschen Staates mit Nigeria bei der Erleichterung von Abschiebungen skandalisiert. Konkret werden Botschaftsanhörungen angeprangert, in deren Verlauf die Identitäten von Flüchtlingen anhand der Sprache, des Dialektes, des Aussehens oder sonstiger oder keiner konkreten Kriterien festgelegt werden. Während der Kundgebung gelingt es ca. 20 Flüchtlingen und UnterstützerInnen, in das Gebäude zu gelangen und den Protest auch aus den Fenstern der Botschaft heraus deutlich zu machen.

    Nachdem die BesetzerInnen vom Security-Personal mit Baseballschlägern bedroht werden, erscheint die Polizei und geht mit aller Härte vor. Sowohl in als auch vor der Botschaft werden Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt. Dabei kommt es zu vielen Verletzungen und zu gewaltsamen Festnahmen von 30 Personen – vor allem werden Flüchtlinge herausgegriffen.

    Als die circa 120 KundgebungsteilnehmerInnen anschließend in einer Spontan-Demonstration zum Refugee Protest Camp am Oranienplatz zurückkehren, werden sie von den sie "begleitenden" BeamtInnen immer wieder massiv angegriffen, die versuchen, ihnen Transparente und Plakate zu entreißen.

    Ab 17.30 Uhr begeben sich vom Oranienplatz circa 1000 Menschen von Kreuzberg nach Tempelhof zur Gefangenensammelstelle, um ihren Protest gegen das Vorgehen der Polizei und ihre Solidarität mit den Gefangenen deutlich zu machen. Dabei mißlingen sämtliche Versuche der Polizei, den Strom der Menschen aufzuhalten oder umzulenken. Erst kurz vor dem Ziel – am Platz der Luftbrücke – kommt die Demonstration an einer Kette aus Polizeiwagen und behelmten BeamtInnen zum Stehen. Bis zur Freilassung der letzten Gefangenen um 23.45 Uhr harren über 100 Personen vor dem Polizeigebäude aus.

    Die Freigelassenen berichten von schweren Mißhandlungen durch die Beamten.

    Der Nigerianer Augustine Nnaji Onyema erzählt, daß eine ganze Gruppe von Beamten auf ihn eingetreten hat und ihn mit Schlagstöcken traktierte, als er schon am Boden lag. Er hat dadurch nicht nur ein blutunterlaufenes Auge, sondern auch einen angebrochenen Halswirbel. Zudem haben sich die Beamten, wie er erzählt, über ihn lustig gemacht und sinngemäß gesagt, daß sich niemand um ihn kümmern würde, wenn er sterben würde. Auch vier Wochen nach den Mißhandlungen sind die Einkerbungen der Plastik-Kabelbinder-Fesselungen an seinen Handgelenken deutlich erkennbar.

    Der 33 Jahre alte Flüchtling Patras Bwansi aus Uganda berichtet von Verletzungen, die ihm bei der Festnahme in der Botschaft durch Tritte in die Rippen zugefügt wurden. Auch bei der Abnahme der Fingerabdrücke fiel er durch Schubsen und Stöße der Beamten auf den Rücken. Anschließend traktierten ihn circa sechs Beamte weiter, indem sie mit ihren Stiefeln auf seine Schultern, Hände und Oberkörper traten. Auch Wochen später hat er noch Taubheitsgefühle und Schmerzen in den Fingern der linken Hand, die durch den Stiefel eines Beamten verletzt wurde.

    Der anerkannte politische Flüchtling Hatef Soltani, der Video-Aufnahmen während der Protestaktion gemacht hat, wird nach der Festnahme von den Beamten verbal bedroht und wegen seines Akzents ausgelacht. Sie stoßen seinen Kopf gegen die Wand und übergießen ihn mit kaltem Wasser. Als er bei seiner Freilassung eine Quittung für seinen Tablet-Computer verlangt, verweigern die Beamten dies, ziehen ihm seine Jacke über den Kopf, werfen ihn auf den Boden, schlagen auf ihn ein und prügeln ihn die Treppen hinunter bis zum

Ausgang. Sein Fazit: "Die Berliner Polizisten haben sich ähnlich verhalten wie die im Iran, als ich dort verhaftet wurde."

    Mehrere Gefangene berichten, daß ihnen die einschnürenden Kabelbinder, die ihre Handgelenke fixierten, erst nach einer Stunde gelöst wurden.

    Eine Ärztin, die einige Personen am nächsten Tag untersuchte, beschreibt Blutergüsse im Schulter- und Nackenbereich, am Brustkorb und am unteren Rücken, multiple Prellungen und psychische Schockzustände der verletzten Personen.

    Zehn Tage nach der Botschaftsbesetzung wird gegen drei Polizisten wegen Körperverletzung im Amt ermittelt.

(siehe hierzu auch:  "Flüchtlingsproteste im Jahre 2012")

KMii 15.10.12; TS 15.10.12; taz 15.10.12;

TS 26.10.12; rbb-Inforadio 26.10.12;

BeZ 9.11.12;

ND 10.11.12; TS 10.11.12; jW 10.11.12;

Berichte einiger Betroffener;

asylstrikeberlin.wordpress.com;

www.refugeetentaction.net

 

19. Oktober 12

 

Bundesland Bayern. Morgens um 6.00 Uhr erscheint eine Polizeieinheit in der Gemeinschaftsunterkunft Würzburg, um eine sechsköpfige tschetschenische Familie abzuschieben.

    Vor den Augen seiner schwangeren Frau und den vier Kindern im Alter von acht Monaten, zwei, drei und fünf Jahren verletzt sich der 38 Jahre alte Familienvater in seiner Verzweiflung und Panik mit vier tiefen Messerstichen am Unterarm. Seine Frau bricht daraufhin zusammen und wird ins Krankenhaus gefahren, wo die 36-Jährige auf der Intensiv-Station behandelt werden muß. Die Schnittwunden ihres Mannes werden im gleichen Krankenhaus chirurgisch versorgt.

    Nachdem die Asylanträge der Eheleute in Polen abgelehnt worden waren, waren sie im Sommer 2011 in die Bundesrepublik gekommen und dann über das Erstaufnahmelager Zirndorf in das Flüchtlingslager nach Würzburg verteilt worden.

    Die Familie sollte jetzt nach Polen zurückgeschoben werden. Die Eheleute sind sich sicher, daß sie von dort weiter nach Rußland verfrachtet würden, was für den Mann und Vater den sicheren Tod bedeuten wird. Die Verfolgungsgeschichte und die Fluchtgründe der Familie spielen in der BRD überhaupt keine Rolle, denn von hier aus soll nur die Rückschiebung nach dem Dublin-II-Abkommen durchgeführt werden.

Mainpost 25.10.12;

abschiebealarm 26.10.12;

Pro Asyl 21.11.12

 

24. Oktober 12

 

Refugee Tent Aktion in Berlin. Knapp 20 Flüchtlinge beginnen auf dem Pariser Platz, direkt am Brandenburger Tor, mit einem unbegrenzten Hungerstreik, um ihren Kampf für eine menschenwürdige Asylpolitik fortzusetzen. Am Abend befindet sich ein großes Polizeiaufgebot am Platz: 30 Mannschaftswagen, eine Hundestaffel und Kräfte der Kriminalpolizei. Gegen 22.00 Uhr beginnen BeamtInnen mit Hilfe von Fußtritten und Faustschlägen gegen die Protestierenden, das gerade errichtete Zelt abzubauen.

    Mit der Begründung, daß mit der Genehmigung dieser Versammlung sämtliche Utensilien, die dem Winterschutz, "dem Sitzen" und "dem Liegen" dienen, verboten sind, greift die Polizei in der zweiten Nacht um 1.45 Uhr erneut an: "19 Schlafsäcke, 13 Decken, sieben Isomatten sowie Sitzunterlagen aus Pappe und Kunststoff" werden den Hungerstreikenden entrissen. Auch Wasserflaschen und Regenschirme werden mitgenommen. Sie verbieten sogar, daß sich die Menschen auf ihre Taschen oder ihre Kleidung legen oder setzen. So sind diese gezwungen, sich bei Temperaturen um sieben Grad auf den blanken Betonboden zu legen.

    Bei dieser Polizeimaßnahme, die von rassistischen Beleidigungen von Seiten der BeamtInnen begleitet wird, werden zwei Personen verletzt: Ein Flüchtling kommt mit einer Verletzung am Bein ins Krankenhaus, einem Mann aus Afghanistan wird die Nase angebrochen. Drei Iraner werden vorübergehend festgenommen. Die Festgenommenen werden beim Einsteigen in das Polizeifahrzeug erneut geschlagen, beschimpft, verspottet und ausgelacht, so der Aktivist Ashkan Khorasani.

    Als sich am nächsten Morgen 80 Personen vor der Moabiter Polizeiwache Perleberger Straße versammeln, um gegen die Festnahmen zu protestieren, kommt es zu weiteren gewalttätigen Attacken der Polizei und zu vier Festnahmen.

    Die Schikanen der Berliner Polizei halten auch in den nächsten Tagen an. Abhängig von den unterschiedlichen polizeilichen Einsatzleitern werden den Hungerstreikenden mal die Schlafsäcke ein paar Stunden lang gelassen – später dann sogar die Sitzpappen weggenommen.

    Am 1. November 12 entscheidet das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren, daß Zelte und Schlafsäcke nicht verwendet werden dürfen, weil sie der "Bequemlichkeit" der TeilnehmerInnen dienen würden und keinen Bezug zur gemeinsamen Meinungskundgabe hätten. Sitzunterlagen wie Kissen oder kleinere Pappen seien jedoch gestattet.

    Bei einem mehr als vierstündigen Gespräch der Protestierenden mit der Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Integration und Flüchtlinge, Maria Böhmer (CDU), zeigen sich die Politikerinnen äußerst betroffen und versprechen, sich "für eine politische Diskussion" über ein liberaleres Asylrecht einzusetzen.

    Die Flüchtlinge geben daraufhin bekannt, daß sie ihren Hungerstreik nach acht Tagen in Eiseskälte, bei Regen und Sturm zunächst unterbrechen, da "die ersten Schritte zur Anerkennung ihrer Anliegen erreicht" seien. Sie machen jedoch auch deutlich, daß sie ihren Kampf jederzeit wieder aufnehmen werden, wenn die verabredeten nächsten Schritte von Seiten der Politikerinnen nicht geschehen. Die Protestaktion am Brandenburger Tor geht allerdings weiter.

    Am 16. November nehmen 15 Personen den Hungerstreik wieder auf. Die Flüchtlinge nutzen jetzt einen Reisebus, den ein Berliner Busunternehmen zur Verfügung gestellt hat. Hier können sie sich zeitweilig aufwärmen und ausruhen.

    Am 30. November kommt unter Polizeischutz ein Abschleppwagen, um den Bus wegzutransportieren. Die von Streikenden und UnterstützerInnen gebildete Sitzblockade löst die Polizei mit Gewalt auf, wobei mindestens eine Person verletzt wird – eine andere Person wird festgenommen. Dann wird der Bus 300 Meter weiter in die Straße des 17. Juni geschleppt. Nachdem die Polizei ein Kontaktkabel an der Bus-Unterseite entfernt hat, ist auch ein Beheizen des Busses nicht mehr möglich.

    Am 2. November – nach 16 Tagen Hungern und nach insgesamt sechswöchigem Dauerprotest am Brandenburger

Tor – beenden die Flüchtlinge die Aktionen, um "neue Kraft" für ihren weiteren Kampf zu sammeln.

(siehe auch: "Flüchtlingsproteste im Jahre 2012")

taz 24.10.12; BM 24.10.12; Spiegel 24.10.12;

BeZ 26.10.12; taz 26.10.12;

TS 27.10.12; ND 27.10.12;

Spiegel 28.10.12; jW 29.10.12; SchwT 31.10.12;

taz 2.11.12; TS 2.11.12;

3. Pressemitteilung der Protestierenden 4.11.12;

epd 16.11.12; rbb 23.11.12;

TS 30.11.12; TS 2.12.12;

asylstrikeberlin.wordpress.com;

www.refugeetentaction.net

 

30. Oktober 12

 

Aufgrund des hohen Ausreisedruckes von Seiten der Ausländerbehörde Hamburg tritt eine Roma-Familie aus Mazedonien mit einem Reisebus die sogenannte freiwillige Rückreise an. An der mazedonischen Grenze werden das Ehepaar und die vier Kinder im Alter von 3, 7, 12 und 14 Jahren über Slowenien bis nach Österreich zurückgeschoben.

    Die Nacht zum 1. November verbringen sie bei Eiseskälte und Schnee im Freien, weil sie weder eine Anlaufstelle noch ein Amt genannt bekommen haben. Allein durch einen in der Bundesrepublik lebenden Verwandten, der sie nach 13-stündiger Fahrt und Navigation durch Handy-Kontakt in Österreich findet, kommen die völlig unterkühlten Menschen zurück nach Deutschland.

    Direkt von der Autobahn treffen sie um 17.30 Uhr bei ihrer Rechtsanwältin ein, die sie umgehend ins Krankenhaus bringt.

    Seit dieser extremen Erfahrung ist vor allem die junge Mutter psychisch erkrankt: Ihre schweren Depressionen mit Chronifizierungsgefahr und die Posttraumatische Belastungsstörung müssen stationär behandelt werden.

    Trotzdem ist die Familie auch im Herbst 2013 weiterhin von der Abschiebung bedroht, weil der Hamburger Senat keinen Winterabschiebestop beschließt.

FRat Hamburg 19.12.13;

Sigrid Töpfer – Rechtsanwältin

 

3. November 12

 

Wörth an der Isar im Bundesland Bayern. Um 1.00 Uhr meldet sich eine Bewohnerin des Flüchtlingsheimes bei der Einsatzzentrale des niederbayerischen Polizeipräsidiums und meldet einen Brand. Noch vor Eintreffen der Feuerwehr gelingt es den elf BewohnerInnen, drei Brandherde zu löschen. Als zwei Feuerwehrtrupps mit schwerem Atemschutz ins Gebäude zu Nachlöscharbeiten gehen, entdecken sie im vom Haupttrakt abgetrennten Garagentrakt ein weiteres Feuer.

    Die Polizei geht von vorsätzlicher Brandstiftung aus. Daß rassistische Motive hinter dem Anschlag stehen könnten, sei auch drei Tage nach Beginn der Ermittlungen nicht auszusschließen, allerdings gebe es bisher keine Hinweise darauf, sagt ein Sprecher der Polizei.

    Dagegen steht die Schilderung eines Mitglieds der Flüchtlingsorganisation Karawane Landshut: Die Hintertür des ehemaligen Gasthofes sei nicht verschließbar und offensichtlich der Zugang für die Brandstifter gewesen. Wasserleitungen seien geöffnet und der Waschraum neben der Küche unter Wasser gesetzt worden; die Inhalte der Kühlschränke seien auf dem Fußboden verteilt und mit Abfällen vermischt worden, und vor dem Anschlag waren rassistische Parolen an die Außenwände geschrieben worden.

    Zudem gebe es seit Monaten eine Hetzkampagne des neonazistischen Kameradschaftsverbands "Freies Netz Süd" (FNS) und dessen Unterorganisation "Nationales Bündnis Niederbayern" (NBN), in deren Verlauf die Flüchtlingsunterkunft mehrmals mit rassistischen Parolen beschmiert wurde und es Drohungen gegen MitarbeiterInnen des Landshuter Landratsamtes gab, so daß Staatsanwaltschaft und Polizei eingeschaltet wurden.

Polizei Niederbayern 3.11.12; dpa 3.11.12;

Karawane – Landshut 5.11.12;

AZ München 5.11.12;

SZ 6.11.12; Landshuter Ztg 6.11.12;

aida-archiv.de

 

6. November 12

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine abgelehnte Asylbewerberin soll zusammen mit ihrem minderjährigen Sohn nach Karatchi (Pakistan) ausgeflogen werden. Sie sitzt im Familienraum, weint und sagt laut, daß ihr Mann sie in Karatchi töten wird. Ihr Sohn, der auch die Vermittlerrolle zwischen Mutter und Bundespolizei übernimmt, versucht sie zu trösten.

    Die Abschiebung wird aufgrund passiven Widerstands abgebrochen.

Abschiebebeobachtung FFM 2012

 

15. November 12

 

Bundesland Sachsen – Gröditz im Landkreis Meißen. Am frühen Morgen brechen mehrere Jugendliche mit schwarzen Kapuzen, bewaffnet mit Knüppeln, in das Gröditzer Asylbewerberheim ein und brüllen ausländerfeindliche Parolen.

SäZ 24.11.2012

 

18. November 12

 

Bundesland Baden-Württemberg. Es ist kurz nach 23.00 Uhr in der staatlichen Flüchtlingsunterkunft der Reutlinger Carl-Zeiss-Straße, als ein eingeschaltetes Fernsehgerät in einem leeren Zimmer anfängt zu brennen. Bis die Feuerwehren aus Reutlingen und Betzingen den Brand löschen können, ist das Zimmer ausgebrannt. Dadurch, daß der gefährliche Bereich des Gebäudes rechtzeitig evakuiert wurde, kam niemand zu Schaden.

Polizei Reutlingen 18.11.12

 

19. November 12

 

Neuburg an der Donau in Bayern. Auf dem Landratsamt zieht ein 21 Jahre alter Flüchtling aus Afghanistan gegen 10.30 Uhr ein 15 Zentimeter langes Küchenmesser aus der Tasche und sticht sich – vor den Augen seiner Sachbearbeiterin – damit in den linken Oberschenkel.

    Dem gerufenen Notarzt gelingt es in einem günstigen Moment, dem Mann das Messer abzunehmen.

    Der abgelehnte Asylbewerber, der eine Verlängerung seines Aufenthaltes erwirken wollte, wird jetzt wegen Eigengefährdung in die psychiatrische Klinik eingewiesen.

DK 19.11.12; MM 19.11.12;

Welt 19.11.12; AA 19.11.12

 

19. November 12

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. An einem vorübergehend als Flüchtlingsunterkunft genutzten Gebäude in Bochum-Wiemelhausen wird festgestellt, daß in der vergangenen Woche insgesamt sieben Fensterscheiben eingeworfen und rassistische Schmierereien hinterlassen wurden. Zudem ist die Verteilung von Flugblättern mit entsprechenden Inhalten beobachtet worden.

    Die Ermittlungen wegen Volksverhetzung werden aufgenommen.

StA Bochum 12.3.14;

BT DS 18/203

 

23. November 12

 

Fürstenwalde im Bundesland Brandenburg. Am frühen Abend wird ein 25 Jahre alter Flüchtling aus Kenia, der mit dem Fahrrad unterwegs ist, von hinten mit einem Motorrad angefahren. Er stürzt und kugelt sich dabei das linke Schultergelenk aus. Es bremsen weitere Biker, steigen von ihren Maschinen, beschimpfen den am Boden Liegenden und treten auf ihn ein.

    Der Kenianer muß die Verletzungen der Schulter, des linken Knies und ein Leberhämatom stationär im Krankenhaus behandeln lassen. Nach der Entlassung wird er weiter psychotherapeutisch behandelt. Die Täter bleiben unbekannt.

Opferperspektive

 

29. November 12

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Am Morgen bricht ein Feuer in einem Mülleimer der Gemeinschaftsküche des Hallenser Flüchtlingsheimes aus. Die Bewohnerinnen und Bewohner versuchen zunächst, den Brand selbst zu löschen.

    Sechs Personen kommen mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus.

MVZ 29.11.12;

mdr 29.11.12

 

29. November 12

 

Bundesland Bayern. Auf dem Standstreifen der Bundesautobahn 93 (Innsbruck – Rosenheim) kontrollieren Polizeibeamte drei syrische Flüchtlinge, die einen erschöpften Eindruck machen. Sie geben an, daß sie in einem LKW von Italien nach Deutschland gebracht wurden und seit vier Tagen weder zu essen noch zu trinken bekamen.

BT DS 17/12147

 

2. Dezember 12

 

Bundesland Bayern. Vom Flüchtlingsheim in Kempten geht um 14.45 Uhr ein Notruf bei der Feuerwehr ein. Durch die starke Rauchentwicklung können die Rettungskräfte nur mit Atemschutzmasken ins Gebäude vordringen.

    In der Küche finden sie neben einem Herd – der offensichtlich auch die Brandursache ist – einen 44-jährigen Bewohner vor. Dieser ist kaum ansprechbar und wird mit schweren Rauchgasvergiftungen umgehend ins Krankenhaus gefahren. Weitere vier HeimbewohnerInnen werden durch Rauchgaseinatmung verletzt. Zwei von ihnen, ein 27- und ein 29-Jähriger, hatten anfangs versucht, das Feuer selbst zu löschen.

    Alle 50 BewohnerInnen mußten vorübergehend in Sicherheit gebracht werden.

dpa 2.12.12;

Polizei Kempten 3.12.12

 

8. Dezember 12

 

Landkreis Barnim im Bundesland Brandenburg. In einer Gartenlaube bei Althüttendorf wird der 28 Jahre alte Bernard Mwanzia (Benson / Benny) aus Kenia tot aufgefunden – er ist erfroren.

    Der Hergang läßt sich nicht vollständig aufklären. Festzuhalten ist nur, daß es vorher mehrere Vorfälle gab, die darauf hinwiesen, daß er akute psychische Probleme hatte. "Die Tatsache, daß er in keiner Behandlung war, sehen wir als Teil einer strukturellen Unterversorgung an, die – wie in diesem Fall – tödlich ausgehen kann", so die Sprecherin des Flüchtlingsrates Brandenburg.

    Bernard Mwanzia war dabei, ein neues Leben zu planen: eine neue Arbeit zu beginnen, eine Wohnung zu suchen und eines seiner drei Kinder zu sich zu holen.

rbb-online 11.12.12;

FRat Brbg 21.12.12;

FRat Brbg Infobrief Dez.12/Jan.13

 

10. Dezember 12

 

Berlin. Eine Frau aus Serbien wird mit ihren drei Kindern (1½, 13 und 14 Jahre alt) aus der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge (ZASt) in der Motardstraße abgeholt und abgeschoben.

    Die Frau leidet unter Hepatitis B in der chronischen Form und hatte bereits den ersten Termin bei einer Fachärztin für Lebererkrankungen wahrgenommen. In Kürze sollte über die Therapie entschieden werden, die jetzt nicht mehr stattfin

den kann.

    Die Abschiebung der Familie geschieht überraschend und ohne Vorankündigung.

Antirassistische Initiative Berlin;

FRat Berlin

 

10. Dezember 12

 

Berliner Ortsteil Niederschöneweide. In dem Flüchtlingsheim Köpenicker Landstraße findet der Hausmeister morgens um 7.05 Uhr einen Toten in einer der Wohnungen.

    Der 21 Jahre alte Mann aus Afghanistan ist durch einen Schnitt in den Hals getötet worden. Die 5. Mordkommission nimmt die Ermittlungen auf.

Polizei Berlin 10.12.12;

TS 11.12.12; Crime-Blog 11.12.12;

rbb-online 11.12.12

 

12. Dezember 12

 

Bundesland Niedersachsen. Das Gesundheitsamt für den Landkreis Goslar bestätigt, daß ein schwerer komplexer angeborener Herzfehler im Zusammenhang mit einer fehlenden Milz die 6-jährige Anita Memisevic aus Serbien derart schwächt, daß eine Abschiebung – auch in Hinblick auf die "bestehenden geringeren medizinischen Versorgungs- und Förderstandards" – nicht "empfehlenswert" ist. Da in dieser Stellungnahme die Formulierung "nicht reisefähig" fehlt, bittet die Ausländerbehörde das Gesundheitsamt um nachträgliche Korrektur. Dies ist auch im Februar 2013 noch nicht geschehen, so daß die zermürbende Ungewißheit der siebenköpfigen Familie Memisevic weiter anhält.

Schon am 14. Februar 12 sollte das Ehepaar Memisevic mit ihren fünf Töchtern im Alter von ein bis elf Jahren und deren Großmutter abgeschoben werden, was aufgrund der Feststellung eines Formfehlers des Niedersächsischen Innenministeriums abgewendet werden konnte. Das Innenministerium hatte zudem entschieden, eine Härtefallentscheidung für die Roma-Familie nicht zuzulassen. Die UnterstützerInnen aus der Kirchengemeinde Zellerfeld und des Vereins "Leben in der Fremde" hoffen jetzt zusammen mit der Familie auf eine humanere Wendung, weil der jahrelang als Hardliner agierende Innenminister Schünemann (CDU) nach den Landtagswahlen im Januar 2013 von dem SPD-Mitglied Boris Pistorius abgelöst wurde.

    Bereits Mitte März 2012 hatten der Arzt Dr. Till Liebau vom radiologie.zentrum.nordharz und seine Ehefrau Uta, als Vorstandsmitglied des Vereins "Leben in der Fremde", in einem Schreiben an den Niedersächsischen Landtag eine "Veränderung der Dienstanweisung für Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst" gefordert. Anhand des Schicksals der kleinen Anita Memisevic belegen sie die Absurdität, die Ausstellung einer Reisefähigkeitsbescheinigung von MedizinerInnen zu verlangen, wenn dadurch schwerstkranke Personen ins Elend abgeschoben werden können und damit in Lebensgefahr geraten. Sie bezeichnen derartige Verlangen als "politische Instrumentalisierung" und als "Missbrauch ärztlichen Handelns", damit "die Umsetzung eines politischen Willens ihre Rechtfertigung findet."

    Im Frühjahr 2013 stellt die Familie erneut einen Antrag bei der Härtefallkommission des niedersächsischen Innenministeriums – dieser wird schon in der Vorprüfung abgelehnt. Die Ausländerbehörde Goslar setzt daraufhin die "freiwillige" Ausreisefrist auf den 31. Juli. Frau Memisevic bricht unter der Last des monatelangen Nervenkrieges zusammen und muß sich in stationäre psychiatrische Behandlung begeben.

    Offensichtlich auf Druck der Flüchtlingsinitiativen stellt die Ausländerbehörde den Abschiebungstermin vorerst zurück. Als Begründung wird nicht die schwerkranke Anita angeführt, sondern daß Frau Memisevic sich noch im Krankenhaus befindet. Damit bleibt weiterhin offen, was geschieht, wenn es der Mutter wieder besser gehen sollte.

    Am 12. Februar 14 überreichen VertreterInnen des Vereins "Leben in der Fremde" und des "Roma Center Göttingen" der Staatsministerin im Kanzleramt für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoguz (SPD), eine Petition mit 6852 Unterschriften, um die Abschiebung der jetzt fast 9-jährigen Anita zu verhindern.

    Bei der letzten Untersuchung in der Universitätsklinik Göttingen wurde eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands festgestellt. Er ist so labil, daß sie es oft nicht schafft, zur Schule zu gehen. Ein fiebriger Infekt könnte ihren Tod bedeuten.

    In Serbien stände die Familie vor dem Nichts. Sie haben zuletzt in einem Haus ohne Dach in zwei Räumen gewohnt. Oft hatten sie nichts zu essen und haben im Winter gefroren.

    In Serbien ist den Roma in der Regel der Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Arbeit, Bildung, Wohnungen und oft auch zu sauberem Trinkwasser verwehrt.

Leben in der Fremde 6.2.12;

 taz 9.2.12;

Dr. Till Liebau und Uta Liebau;

Roma Center Göttingen 17.7.13;

taz 17.7.13; migazin.de 18.7.13;

Roma Center Göttingen 13.2.14

 

13. Dezember 12

 

Landkreis Ansbach in Bayern. In der Flüchtlingsunterkunft in Obereichenbach im Kattenbacher Weg wird ein verbrannter, an einer Wand befestigter Erste-Hilfe-Kasten entdeckt. Nach polizeilichen Ermittlungen ist das Feuer im Zeitraum zwischen 4.00 Uhr und 9.00 Uhr absichtlich gelegt worden. Danach erlosch der Brand von selbst.

Polizei Mittelfranken 14.12.12

 

17. Dezember 12

 

Landkreis Neckar-Odenwald in Baden-Württemberg. Im Morgengrauen kommen die örtlichen Polizisten in die Flüchtlings-unterkunft von Hardheim und dringen in das Zimmer der Roma-Familie Golja ein. Das Ehepaar, der 45-jährige Jasar Golja und seine 40 Jahre alte Frau Mirjana, und der 18 Jahre alte Emanuel sollen umgehend nach Frankreich zurückgeschoben werden. Die 23 und 21 Jahre alten Töchter sind davon noch nicht betroffen. Mirjana Golja, die unter einer traumatischen Belastungsstörung und Depressionen leidet und im Sommer zwei Monate lang in psychiatrischer Behandlung war, gerät in Panik und versucht, sich aus dem Fenster zu stürzen.

    Daraufhin werden sie und ihr Sohn von den Beamten mit äußerster Gewalt auf den Boden geworfen und in Handschellen gelegt. Es wird ihnen keine Zeit gewährt, Sachen zu pakken oder sich wenigstens umzuziehen, so daß Frau Golja im Schlafanzug und in Pantoffeln an die französische Grenze zum Flughafen nach Straßburg gefahren wird. Bei ihr sind noch ihr Mann und der Sohn. Die französischen Beamten lassen die drei mit der Maßgabe wieder frei, daß sie binnen zwei Tagen Frankreich wieder zu verlassen haben. So kehren sie zurück in die Bundesrepublik und können zwei Tage später die in Hardheim zurückgelassenen Töchter wieder in die Arme schließen.

    Ihre Rechtsanwältin stellt Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen das für die Abschiebung verantwortliche Regierungspräsidium Karlsruhe und die beteiligten Polizisten. Die Abschiebung ist der Familie nicht angekündigt worden, und ein Rücküberstellungsbescheid wurde ihr auch nicht vorgelegt. Die Hausärztin diagnostiziert bei Frau Golja eine Verstärkung der Traumatisierung durch die Abschiebung und veranlaßt eine stationäre psychiatrische Behandlung.

    Bereits im Jahre 1990 war das Ehepaar mit der damals 1-jährigen Tochter aus dem Slum Sutka bei Skopje in Mazedonien in die BRD gekommen und hatte Asyl beantragt. Hier wurden auch die zweite Tochter und der Sohn geboren. Nach dem Versuch, die Abschiebung durch ein Kirchenasyl zu verhindern, wurde die Familie 1998 abgeschoben. Bis zum Jahre 2010 lebte die Familie unter ärmlichsten Verhältnissen in einem nordserbischen Dorf nahe der ungarischen Grenze, bis sie wegen der anhaltenden sozialen und rassistischen Diskriminierungen und körperlichen Angriffe durch die serbische Mehrheitsbevölkerung erneut die Flucht ergriff. Sie versuchten es in der Schweiz und in Frankreich und lebten dort auch einige Monate ohne Papiere auf der Straße. Ende Februar 2012 kamen sie wieder nach Deutschland und stellten einen Asylfolgeantrag, dessen Bearbeitung das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) jedoch ablehnte, weil dessen Meinung nach das Verfahren in Frankreich stattfinden sollte.

    Nach dem Rückschiebeversuch geht es allen Familienmitgliedern schlecht. Frau Golja geht am 14. Januar 2013 ins Krankenhaus, und auch eine Tochter muß sich in psychiatrische Behandlung begeben.

    Wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und wegen Beleidigung während der versuchten Rückschiebung nach Frankreich wird gegen Mirjana Golja ermittelt. Auch wegen unerlaubter Einreise in die Bundesrepublik läuft gegen die Familie ein Verfahren.

FRat BaWü 7.1.13;

RNZ 12.1.13;

RNZ 28.1.13; StN 28.1.13

 

19. Dezember 12

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Ein 29 Jahre alter marokkanischer Flüchtling wird aus dem Rendsburger Abschiebegefängnis heraus nach zweiwöchiger Haft entsprechend dem Dublin-II-Abkommen nach Norwegen abgeschoben. Der Mann ist todkrank, leidet seit einer Krebsoperation vor sieben Monaten an einem Luftröhrenschnitt mit offener Wunde und an offenen Entzündungen im Mund und Geschwüren im Gesichtsbereich. Da er deshalb keine feste Nahrung zu sich nehmen konnte, verlor er in Haft erheblich an Gewicht.

    Obwohl die Diakonie in Schleswig-Holstein anbot, ihm einen Platz im diakonischen Hospiz "Haus Porsefeld" in Rendsburg mit einer palliativ-medizinischen Betreuung bereitzustellen, erfolgt die Rückschiebung gegen den Willen des Todkranken, der immer wieder große Angst vor der Rückkehr nach Norwegen äußerte.

FRat SH, DW SH,

Landesbeauftragter für Flüchtlings-,

Asyl- und Zuwanderungsfragen 21.12.12

 

28. Dezember 12

 

Bundesland Thüringen. Als ein 49 Jahre alter irakischer Flüchtling in der Bahnhofstraße von Sonneberg Pfandflaschen sammelt, wird er von drei jungen Männern beobachtet. Ein 20-Jähriger aus der Gruppe provoziert ihn zunächst mit dem "Hitlergruß" und verletzt ihn dann mit mehreren Fußtritten.

    Dem Iraker gelingt es, zur Polizei zu flüchten, die umgehend Fahndungsmaßnahmen einleitet. Sie finden die Gruppe schnell, so daß der Haupttäter festgenommen werden kann. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt.

ezra

 

28. Dezember 12

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In dem Flüchtlingsheim von Vockerode steht ein 27 Jahre alter Mann auf einem Balkon in der dritten Etage und droht mit Selbsttötung. Er ruft laut Gebete, hat zwei Küchenmesser in den Händen und hantiert zudem mit einem Besen. Er ist ein Flüchtling aus Somalia, der entsprechend der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückgeschoben werden soll.

    Polizeibeamte einer Verhandlungsgruppe und eines Sondereinsatzkommandos (SEK) werden angefordert, und das Heim wird von den BewohnerInnen geräumt. Über vier Stunden gelingt es den Einsatzkräften nicht, den Somalier zum Aufgeben zu bringen – allein die SEK-Beamten können ihn schließlich überwältigen.

    Er wird in eine psychiatrische Klinik nach Wittenberg gebracht.

    Der Mann gehört zu den 170 Flüchtlingen, die bis zum Jahresende aus dem rund 20 Kilometer entfernten Flüchtlingslager Möhlau nach Vockerode verlegt wurden. Die ehemalige Kaserne der Sowjetarmee in Möhlau hat seit Jahren wegen der katastrophalen Zustände dort in der Kritik gestanden.

    Der Umzug aus Möhlau war für die BewohnerInnen demütigend und erniedrigend. Sie mußten ihre Kleidung, die sie in Müllsäcken transportieren sollten, von den Angestellten der Ausländerbehörde durchsuchen lassen. Sämtliche Möbel – bis auf Wäschekörbe, Fernseher und HiFi-Geräte – durften nicht mitgenommen werden. Sogar Pfandflaschen wurden ihnen abgenommen. Zudem erfuhren sie erst in Vockerode, mit welchen drei weiteren Personen sie zukünftig in den Zwei-Raum-Wohnungen leben sollten.

    Auf einer Veranstaltung am 25. Januar 13, zu der eine Bürgerinitiative eingeladen hat, die sich um Dialog bemüht, werden von den OrtsbewohnerInnen massenhaft Vorwürfe gegen die Flüchtlinge laut. Sie werden für Zustände verantwortlich gemacht, die der noch nicht funktionierenden Infrastruktur zuzuschreiben sind. So wird ein Müllproblem beklagt

und die neuerdings vollen Busse, weil sich die Gemeinde strukturell noch nicht auf die 170 zusätzlichen Menschen umgestellt hat.

 mdr 28.12.12; MDZ 28.12.12;

sek-einsatz.de 28.12.12;

indymedia 28.12.12;

Flüchtlingsinitiative Vockerode;

Antirassistisches Netzwerk LSA

 

31. Dezember 12

 

Neustadt im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge im Bundesland Sachsen. Zwei unbekannte Täter werfen Silvesterknaller in das Treppenhaus des Flüchtlingsheimes Langburkersdorf in der Kirschallee. Durch die Explosionen wird die Glasverkleidung des Notausganges zerstört und die Rauchmeldeanlage ausgelöst.

    Zur Zeit des Anschlags halten sich drei Asylbewerber und eine Person vom Wachschutz im Hause auf – alle bleiben unverletzt.

Alternative Dresden News 31.12.12;

DNN 31.12.12; SachsenNews 31.12.12

 

31. Dezember 12

 

Bei einer Personenkontrolle im Zug EN 462 (Budapest – München) durch die Bundespolizei werden auf Höhe Rosenheim zwei Flüchtlinge aus Afghanistan festgenommen. Einer von ihnen weist Erfrierungen an den Zehen auf, die sich die Person vor sechs Tagen zuzog, als sie in der Gegend von Udine (Italien) bei sehr niedrigen Temperaturen zu Fuß unterwegs war.

    Diese Person wehrt sich gegen die polizeiliche Durchsuchung, so daß die Beamten "einfache körperliche Gewalt" anwenden, um den Widerstand zu brechen. Dabei zieht sie sich Hämatome und Abschürfungen am Handgelenk und an den Unterarmen zu – dann wird sie zur medizinischen Behandlung ins Krankenhaus Rosenheim gebracht.

BT DS 17/12147

 

 

 

 

Im Jahre 2012

 

Freiburg in Bundesland Baden-Württemberg. Als die 35-jährige Mazedonierin sich bei dem Frauenarzt Dr. Ulrich Clever vorstellt, hat sie schon innere Blutungen, und es geht ihr sehr schlecht. Fortgeschrittener Gebärmutterkrebs lautet die Diagnose, und die vierfache Mutter kommt ins Krankenhaus.

    Sie lebt seit langem ohne Papier in der Bundesrepublik und hat zuletzt als Haushaltshilfe bei einem deutschen Ehepaar mit drei Kindern gearbeitet.

    Da die Patientin auch nicht krankenversichert ist, müßte sie ca. 20.000 Euro für die Strahlen-Therapie aufbringen. Dies gelingt nicht – die Therapie bleibt aus, so daß die Frau ein halbes Jahr später der Erkrankung erliegt.

    Da diese dramatische Geschichte kein Einzelfall ist, weil Menschen ohne Papiere in der Krankenversorgung nur als absolute Notfälle (Unfall) behandelt werden dürfen – die meisten Kranken sich allerdings auch aus Angst vor der Weiterleitung ihrer Daten an die Ausländerbehörde meist sehr spät oder zu spät in einer Praxis vorstellen, hat sich die Zentrale Ethik-Kommission der Bundesärztekammer im Mai 2013 mit einer ausführlichen Stellungnahme an das Bundesinnenministerium gewandt.

    Die Ethik-Kommission fordert unter anderem: den Abbau der bürokratischen Hürden, keine Einschränkungen der notwendigen medizinischen Behandlung und verbindlichen Umgang mit der Schweigepflicht (d.h. keine Weiterleitung der Daten an die Ausländerbehörden) bei der medizinischen Versorgung von Menschen ohne Papiere.

Welt 3.5.13; NK 3.5.13;

Deutsches Ärzteblatt 3.5.2013

 

 

Im Jahre 2012

 

Im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) – im Bereich der zentralen Leistungsgewährung – hat sich ein Flüchtling in Selbstverletzungsabsicht mit einer Schere einen Unterarm aufgeschnitten.

BeZ 2.12.12;

Ausschuß für Gesundheit und Soziales am 25.2.13 ;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

 

 

Im Jahre 2012

 

Im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) – im Bereich der zentralen Leistungsgewährung – hat sich ein Flüchtling in suizidaler Absicht einem Fenster genähert, um sich hinauszustürzen.

BeZ 2.12.12;

Ausschuß für Gesundheit und Soziales am 25.2.12;

 

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

Im Jahre 2012

 

Im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) – im Bereich der Erstvorsprache – hat sich ein Flüchtling mit einem Messer selbst verletzt und wird von zwei Wachschützern überwältigt, wodurch Schlimmeres verhindert werden kann.

BeZ 2.12.12;

Ausschuß für Gesundheit und Soziales am 25.2.12;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

 

Im Jahre 2012

 

Der schleswig-holsteinische Landesbeirat gibt bekannt, daß es im Abschiebegefängnis Rendsburg zu fünf Selbstverletzungen von Gefangenen kam.

    Einer der Gefangenen ist der 21 Jahre alte Kurde Herr O. aus dem Irak. Er ist schwer traumatisiert und leidet zudem unter den Schmerzen der Folter- und Verletzungsnarben an seinen Unterarmen und der Stirn.

    Weil er nicht kooperieren wollte, war er von radikalen Islamisten im Irak entführt und eine Woche lang unter ständigen Todesandrohungen gefoltert worden – seine Peiniger haben unter anderem versucht, seine Tattoos an den Unterarmen mit einem Messer auszubrennen.

    Seitdem hat er massive psychische Probleme und erträgt die Abschiebehaft gar nicht, so daß er sich in Rendsburg mit einer Rasierklinge an seinem Hals selbst verletzt. Ein Psychologe stellt eine Posttraumatische Belastungsstörung mit Suizidalität und Zwangssymptomen fest.

    Er wird in der Haft so auffällig, daß ihm Psychopharmaka verabreicht werden müssen, wodurch sich seine Verfassung aber nicht bessert: Er ist weiterhin sehr angespannt, teilweise verwirrt, zeigt große Ängste und leidet unter Depressionen. Er berichtet von Intrusionen und Flashbacks, in denen er die traumatischen Erfahrungen wieder erlebt, zeigt Übererregungssymptome wie Zittern und motorische Unruhe und Schweißausbrüche. Er leidet unter Schlaf- und Konzentrationsstörungen und diffusen Schmerzzuständen.

    Trotzdem wird er vom Haftrichter nicht entlassen, denn ihm wird hier unterstellt, daß er simuliere.

    Schließlich wird er in ärztlicher Begleitung und mit Bundespolizeibeamten nach dem Dublin-II-Abkommen nach Norwegen zurückgeschoben.

Landesbeirat – Jahresbericht 2012